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in 2011 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/paganinieinebiogOOkapp
PAGANINI
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P AG ANINI
EINE BIOGRAPHIE
VON
DS. JULIUS KAPP
MIT 60 BILDERN
ERSTE UND ZWEITE AUFLAGE
VERLEGT BEI SCHUSTER & LOEFFLER
BERLIN UND LEIPZIG
1913
Alle Rechte, insbesondere das der
übersejsung vorbehalten
Copyright by Schuster & Loeffler
Berlin 1913
ML
Druck von Ernst Klöppel, Quedlinburg..
Seinem Freunde
Kurt von Neufville
Zur Einführung
Der „Virtuose" ist heutzutage stark in Mi&kredit,
die Konzerte, deren ursprüngliche Bestimmung als
festlicher Tummelplafe weniger Ausnahmekünstler doch
fraglos die Unterhaltung war, haben, indem sie gleich*
zeitig eine alltägliche, notwendige Erscheinung des Kunst-
lebens wurden, einen immer ernsteren Charakter ange-
nommen. Die auf allen Gebieten sich jeht breitmachende
Halbbildung hat auch das Konzertpublikum umgewandelt,
die nur einem engeren Kreis verliehenen Fähigkeiten,
ernsten und schweren Musikwerken mit Verständnis fol-
gen und dabei Genu& empfinden zu können, sind in der
modernen Gesellschaft zu einem Erfordernis für einen „ge-
bildeten" Menschen geworden, und wenn er sie eben nicht
besifet, so mu& er wenigstens so tun, als ob er sie hätte.
Er ist so gut erzogen, die Suggestion klangvoller Namen
ist so stark, da& er geduldig die längsten Klassiker über
sich ergehen lä&t und pflichtschuldig bei leichterer Kost ver-
ächtlich die Nase rümpft; das naive Empfinden ist durch
die „Kultur"-Maske eingeschläfert. Nur manchmal bricht
es elementar durch, und so kommt es dann, dafj dieselben
Menschen, die tags zuvor bei Beethovenschen Klängen
Weihestunden zu verleben oder in die Welt des Tristan
VII
unterzutauchen schienen, sich mit gleichem Behagen an
banalsten Operettenschlagern ergoßen und beim Dacapo-
brüllen heiser schreien; mit dem einzigen Unterschied
allerdings, daß das erstere Pose oder Selbstbetrug, das
zweite aber unverfälschte Gefühlsäußerung ist.
Früher war man ehrlicher gegen sich selbst und duld-
samer gegen andere. Die kleinere Schar ernster Musik-
freunde erbaute sich an gehaltvollen Kunstgenüssen, die
große Menge aber erfreute sich ohne falsches Getue an
leichterer Ware und ließ sich durch deren Meister in Tau-
mel versehen. Der Virtuose als solcher galt noch was,
und es war nicht, wie heute, jeder Stümper, der nur über
einen gewissen Grad von Kunstfertigkeit verfügt, ge-
zwungen, sich an Meisterwerken zu vergreifen. Daß wir
das Nur-Virtuosentum überwunden und aus den Konzert-
sälen verbannt haben, ist gewiß erfreulich, doch wir sind
allmählich in das Extrem verfallen, was notwendigerweise,
da die Menschen sich eben nicht ummodeln lassen, zur
Heuchelei führen mußte. Es ist daher sympathisch zu be-
grüßen, daß in neuerer Zeit, wo ja allgemein das Bestre-
ben hervortritt, jede Art Bevormundung abzustreifen, ein
veredeltes Virtuosentum (ein anderes wäre zum Glück jeßt
kaum möglich!) wieder zu seinem Recht kommen kann,
daß die ungewöhnliche Einzelpersönlichkeit sich aus der
endlosen Flut tüchtiger Durchschnittsmusikanten wieder
mehr abhebt, und auch im Publikum der einzelne größere
Freiheit genießt, seiner individuellen Geschmacksrichtung
zu folgen, daß er die blasiert-wohlwollende Beifallsbezeu-
gung mit ehrlicher, sich nun zu ganz anderen Wärmegraden
steigender Begeisterung vertauscht.
VIII
Eine solche Zeitströmung, deren Entwicklung wir deut-
lich erkennbar miterleben, lenkt unwillkürlich den Blick
auf jene Zeiten zurück, da einzelne Künstler meteorgleich
durch alle Länder der Erde zogen und überall, wohin sie
kamen, die Menschheit in Taumel versehten. Staunend
liest man die Berichte jener Vorgänge, und in dem in-
stinktiven Gefühl, dafe in unseren Tagen derartiges kaum
mehr denkbar wäre, sucht man der Rätsel Lösung, das
Geheimnis dieser Triumphe zu ergründen. Vor allem sind
es zwei Namen, die mit Feuerschrift am Virtuosenhimmel
eingebrannt sind: Franz Liszt und Nicolo Paga-
n i n i. Doch während die Künstlergestalt Liszts noch in
greifbaren Formen vor uns steht, ist die Erscheinung des
großen Geigers schon in nebelhafte Schleier gehüllt. Mit
dem Wort Paganini verbindet sich für die meisten Men-
schen unserer Zeit weniger die Vorstellung an eine be-
stimmte Persönlichkeit, als an etwas Unerhörtes, Spuk-
haftes, das durch sein seltsames Wesen und seine un-
heimliche Virtuosität die Welt in Staunen und Erregung
verseht hat. Man erzählt diese oder jene märchenhafte
Anektode, Genaueres wissen die wenigsten. Der Grund
hiervon ist wohl der, da| wir, abgesehen von Sammel-
werken der speziellen Violinliteratur, in deutscher Sprache
kaum eine umfassendere Würdigung dieses Künstlers be-
sten. Zwar war ihm schon 1830 in dem Prager Professor
S ch o 1 1 k y ein Biograph erstanden, doch sein Buch, das
überdies die wichtigste Zeit von Paganinis Leben nicht
mehr berücksichtigt, ist in seiner wahllosen und unüber-
sichtlichen Materialanhäufung ungenießbar geworden. Er-
wähnt man ferner noch die verdienstvolle, aber auch schon
IX
vor mehr als dreifeig Jahren erschienene knappe Skizze
von N i g g 1 i , so ist der Bestand an deutscher Literatur
über Paganini bereits erschöpft. Dafe trofe des nie ge-
schwundenen Interesses für diesen Hexenmeister sowohl
beim großen Publikum als vor allem bei der gewaltigen
Zahl der Geiger, die in ihm den König ihres Instruments ver-
ehren, bisher niemand es unternommen hat, Paganinis
wechselreiches Leben, das wie ein spannender Roman an
uns vorüberzieht, und die Bedeutung seines Virtuosentums
und seiner Werke in gröfeerem Rahmen zu beleuchten,
liegt wohl daran, dafe die Quellen zu dieser Arbeit heutzu-
tage nur sehr spärlich fliessen, die Forschungen sehr
mühevoll und zeilraubend sind und das Ergebnis meist
wenig ermutigend ausfällt.
Ein glücklicher Umstand enthob mich dieser Schwierig-
keifen und gestattete mir, aus dem Vollen zu schöpfen: Pa-
ganinis noch unveröffentlichter gesamter
N a ch 1 a fe. Dafe es mir möglich wurde, diesen für meine
Arbeit zu verwerten und dadurch eine Menge authenti-
schen, unbekannten Materials zutage zu fördern, verdanke
ich dem freundlichen Entgegenkommen des bekannten
Kunstantiguariats Jos. Baer in Frankfurt a. Main, das
diese wertvollen Schäfee sein Eigen nennt und mir in lie-
benswürdigster Weise zur Verfügung stellte, was im Ge-
gensafe zu egoistisch-kleinlichen Bedenken vieler Privat-
sammler wissenschaftlichen Forschungen gegenüber nicht
rühmend genug hervorgehoben werden kann. Dafe ich aufeer
diesem gänzlich neuen auch das im Laufe der Jahre in
Zeitschriften und Zeitungen angesammelte umfangreiche
Material fast lückenlos verwerten konnte, ermöglichte mir
die reichhaltige Sammlung des Kellerschen Musik-Archivs
der „B r ü ck e " in München, und wo selbst diese Quellen
versagten, namentlich bei der Beschaffung der seltenen Ab-
bildungen, da sprang mit unermüdlichem Eifer ein selbst-
loser Förderer meiner Arbeit ein: Franz Zelinka in
Wien.
Auch für den dem Musiker Paganini vorbehaltenen
Teil meines Buches gelang es mir, einen wertvollen Beitrag
zu erhalten, der für den Leser von besonderem Interesse
sein dürfte, da er der Feder des Mannes entstammt, der als
der Wiedererwecker der Paganinischen Technik gilt: Pro-
fessor O. S e v c i k , Leiter der Meisterschule an der k. k.
Akademie für Musik in Wien. Ihnen allen nochmals an
dieser Stelle meinen wärmsten Dank!
Berlin-Westend, am 1. Oktober 1913.
Dr. Julius Kapp.
XI
Inhalts -Verzeichnis
Zur Einführung VII
Der Roman seines Lebens
Der Aufstieg 1
Lucca 8
Quer durch Italien 15
Der Europäer 30
An der Seine und Themse 52
Der Absheg 70
Anhang: Biographische Tabelle öö
Berichte und Betrachtungen
Gerüchte über Paganini 101
Paganini und Hektar Berlioz 110
Berichte von Zeitgenossen 116
Der Künstler
Der Virtuose 131
Der Komponist 144
Anhang: Paganini-Bibliographie 159
Register 163
Abbildungen
DER ROMAN SEINES LEBENS
Der Aufstieg
Leise, auf den Zehenspißen, schlich der kleine Nicolo die
Stiege des elterlichen Hauses hinunter. Dicht an die
Häuserreihe geduckt, eilte er die schmale Gasse Passo di
Gatta Mora entlang, und erst, als er sich außer Sehweite
in Sicherheit wähnte, atmete er erleichtert auf und sog die
erfrischende Seeluft, die der Wind ihm vom Meere her
entgegentrug, mit vollen Zügen ein. Den Vater, der den
größten Teil des Tages im Hafen als Träger beschäftigt
war, hatte er vorhin bereits nachhause kommen hören, er
konnte sich jefet ungefährdet an seinen Lieblingspläfechen
tummeln. „Meinetwegen sollen sie mich wieder schlagen
und mich hungern lassen, wenn ich nachhause komme, was
tut's," dachte er, jeßt wollte er eine Stunde Freiheit ge-
nießen, und bald schlug ihn das so vertraute und doch im-
mer wieder von Neuem reizvolle Bild des stetig pulsieren-
den Lebens im Hafen seiner Vaterstadt Genua in Bann. Ja,
hätte er jefet seine Violine zur Hand, dürfte er hier drauflos-
geigen, so, wie es ihm ums Herz war! Zuhause in der
dumpfen Stube, unter dem strengen Zwang des hartherzi-
gen Vaters, mußte ihm die Freude an seiner geliebten
Musik verkümmern. Ein wildes Sehnen ergriff den schmäch-
tigen, blassen Knaben, loszukommen aus diesem Joch, sein
1 Kapp, Paganini.
Spiel vor der Menge ertönen zu lassen — berühmt zu wer-
den. Schon mit sechs Jahren hatte er begonnen, Violine
zu spielen, und sein Vater, Antonio Paganini, in den Muße-
stunden ein eifriger Guitarrespieler, war sein erster Lehr-
meister geworden. Mit unerbittlicher Strenge zwang er
das schwächliche Kind, vom frühen Morgen bis zum Abend,
unablässig zu üben, und als gar seiner phantastisch-bigot-
ten Frau Therese im Schlaf ein Engel geweissagt, daß ihr
Sohn Nicolo einst ein großer Violinspieler würde, steigerte
er noch seine Anforderungen, und wußte ihnen durch bru-
tale Strafen Geltung zu erzwingen.
Als der Vater ihn nichts mehr lehren konnte, war der
Knabe zu einem Musiker des Genueser Theaters, Gio-
vanni Servetlo, und bald darauf zu dem ersten Vio-
linisten der Stadt, Giacomo Costa, in die Lehre ge-
kommen. Unter solch sachkundiger Leitung machte er un-
geahnte Fortschritte, er spielte jeßt bereits allwöchentlich
beim Gottesdienst in der Kirche, und auch in größeren
Privatgesellschaften durfte er sich hören lassen. Doch sein
Sinn stand schon nach Höherem.
Als Nicolo sich gegen Abend, nachdem er einige Stun-
den am Hafen verträumt, mit recht gemischten Gefühlen
seinem Elternhause näherte, und schon von Ferne den Kopf
des Vaters am Fenster erblickte, war er über den ihn er-
wartenden Empfang durchaus nicht im Zweifel. Sein vor
wenigen Minuten noch so trofeiger Mut sank bedenklich, und
die zuvor zurechtgelegten schönsten Ausflüchte schienen
ihre Stichhaltigkeit einzubüßen. Da geschah etwas Un-
erwartetes. Statt der gefürchteten Prügel wartete seiner
eine Freudenbotschaft, die er sich kaum in seinen kühnsten
Zukunftsträumen auszumalen gewagt hätte. „Beeile dich,
fauler Schlingel," fährt ihn der Vater an, „zieh' deinen
Samirock an, nimm deine Geige und mach dich mit mir
auf den Weg. Du sollst heute abend im Konzert des Sän-
gers Marchesi ein Solo spielen. Aber dafe du dich zusam-
men nimmst und mir keine Schande machst!" Eine viel-
sagende Handbewegung begleitete diese halb stolzen, halb
drohenden Worte.
Als der kränklich aussehende Knabe, aus dessen
blassem, von tief schwarzen Locken umrahmtem Gesicht zwei
grofje, fieberhaft funkelnde schwarze Augen hervorstechen,
zaghaften Schrittes das Podium des dichtbesefeten Theater-
saales betritt, malt sich auf den Gesichtern der meisten
Zuhörer ein gewisses ungläubiges Erstaunen. Doch kaum
hat er den Bogen angesefet, kaum sind die ersten Töne
seiner Variationen über das französische Volkslied „Car-
magnola" verhallt, da hat er schon die vielköpfige Menge
zu atemlosem Lauschen gezwungen; je freier und wilder sein
Spiel, desto erregter werden die Hörer, und als er geendet,
durchbraust ein Sturm des Beifalls den Saal. Nicolos
Sehnen hat sich erfüllt, er ist mit einem Schlag ein berühm-
ter Künstler geworden, und als er wenige Tage später
ein eigenes Konzert veranstaltet, ist der Saal gedrängt voll
und des Jubels kein Ende.
Nun entschloß sich Vater Paganini, den Sohn nach
Parma zu bringen, um ihm von bewährten Meistern die
lebte Weihe des Musikers zuteil werden zu lassen. Als
sie hier den berühmten Alessandro R o 1 1 a aufsuchen woll-
ten, war dieser gerade bettlägerig. Seine Frau führte sie
in ein Nebenzimmer, wo zufällig eine Violine und das
neueste Konzert des Meisters auf dem Tisch lagen. Auf
einen Wink des Vaters ergriff Nicolo das Instrument und
spielte das Konzert tadellos vom Blatt. Plöfelich öffnete
sich die Verbindungstür des Zimmers, und Rolla, der nicht
l*
hatte glauben wollen, dajs ein Knabe solches vollbringe,
steckte seinen Kopf herein. „Sapristi," entfuhr es ihm,
als er den kleinen Teufelskerl sein kaum beendetes neuestes
Werk aus dem unleserlichen Manuskript mit solcher
Meislerschaft herunterspielen sah. Nicolo wurde sein
Schüler. Daneben erhielt er von G i r e 1 1 i und später
von Paer theoretischen Unterricht und begann, wie er
schon mit acht Jahren für den Vater eine Sonate zu kompo-
nieren versucht hatte, nun kunstgerecht Eigenes aufzuzeich-
nen. Nachdem er seine Studien beendet, veranstaltete er
in Parma zwei gro£e Konzerte, bereiste mit seinem Vater
die Städte der Lombardei, wo er überall Ruhm und Geld
gewann, und kehrte wieder in seine Heimatstadt zurück.
An dem Herumziehen in der Welt, dem lockenden, bunt-
schillernden Reiz des Virtuosentums hatte der kaum er-
wachsene Knabe gro&en Gefallen gefunden, nur Eines da-
ran war ihm verhalt: die scharfe Aufsicht des Vaters,
dessen unerbittliche Strenge er immer drückender empfand.
Wie gern hätte er sich von ihm losgemacht, um allein zu
reisen, doch der harte Mentor war nie von seiner Seite ge-
wichen, und auch nach der Rückkehr ins Elternhaus über-
wachte er die Arbeiten des Sohnes und zwang ihn durch
Einschließen in das Zimmer, in täglichem zehn- bis zwölf-
stündigen Üben an der Vervollkommnung seiner Einger-
fertigkeit weiter zu arbeiten. Da griff Nicolo zu einer List,
um sich endlich der Fesseln zu entledigen. Alljährlich fand
am Martinstag in dem Städtchen Lucca ein großes Musikfest
statt, zu dem von weit her eine Menge Volks zusammen-
strömte. Diese Gelegenheit hatte sich Nicolo zu seinem
Befreiungsplan ausersehen. Unablässig bestürmte er den
Vater, ihn in Lucca auftreten zu lassen, und nach langem
Weigern willigt dieser endlich ein, daß er allein dorthin
reise, da er selbst in Genua zurückgehalten war. In Lucca
feierte er einen vollen Triumph. Doch statt nachhause zu-
rückzukehren, zog er hinaus in die Welt. Die Gefangen-
schaft war zu Ende, und das Leben lag nun vor ihm ausge-
breitet mit all seinen Reizen und Lockungen, nach denen
schon so oft ein wildes Begehren in ihm aufgestiegen, das
zu stillen ihm aber immer versagt war. Jefet war er der
Herr! Er besafe zwar bei seiner primitiven Erziehung nichts
als seine Geige und sein südländisches Künstlertempera-
ment in voller naturwüchsiger Wildheit. Doch gerade diese
waren die unwiderstehlichsten Werber für seine Wünsche.
Er stürzte sich mit der Gier eines Verschmachtenden in den
Strudel des Lebens, taumelte von Genufe zu Genufe. Die
Liebe und der Spieltisch waren die zwei Gottheiten, denen
er unermüdlich opferte. An den jungen Künstler drängten
sich natürlich auch Leute recht fragwürdiger Art heran, und
seine Unerfahrenheit liefe ihn leicht ein Opfer ihrer Ver-
führungen werden. An gar manchem Abend verlor er im
Spiel den Ertrag mehrerer Konzerte, und sein Leichtsinn
brachte ihn in Verlegenheiten, aus denen ihn nur seine
Kunst oder ein glücklicher Zufall erretten konnte. So war
er eines Tages, als er in Livorno konzertieren sollte, ge-
nötigt, da er sein Instrument am Hasardtisch verspielt, die
Hilfe eines reichen französischen Musikfreundes in An-
spruch zu nehmen. Dieser lieh ihm für den Abend eine
wundervolle Guarnerius. Als Paganini sie nach dem Kon-
zert dankerfüllt ihrem Besser zurückgeben wollte, machte
er sie ihm, begeistert durch seine Kunst, zum Geschenk, da
sie nach dieser Stunde von keiner andern Hand mehr „ent-
weiht" werden solle. Dieses wertvolle Instrument wurde
Paganinis Lieblingsgeige. Bis zu seinem Tode hat er sie in
allen Konzerten gespielt.
Wiederholt entschwand Paganini in jenen Jahren auf
Monate hinaus den Blicken der Welt. Ein Liebesabenteuer
hatte ihn in das verschwiegene Schloß irgend einer Schönen
entrückt, in deren Banden er schmachtete und deren Reize
und Liebeswonnen er in Tönen besang. Neben der Violine
bediente er sich bei seinen Kompositionen mit Vorliebe der
Guitarre, auf der er in gleicher Weise Meister war. Zahl-
reiche Sonaten, Menuetts für Guitarresolo, oder Duette und
Quartette für Guitarre und Violine, geziert mit Widmungen
an schöne Frauen, wie „alla Sigra Dida suo obbidientissimo
servitore ed implacabilissimo amico" oder „alla gentilis-
sima Signora Emilia di Negro" oder „per la Signora Ma-
rina" u. a. legen von sü|en Schäferstunden beredtes Zeug-
nis ab. War der Liebesrausch verflogen, so tauchte der
geheimnisvolle Zauberer, an dessen rätselhaftes Ver-
schwinden sich die phantastischsten Märchen ketteten, plöh-
lich in einer anderen Stadt wieder auf und trieb die Menge
durch sein immer dämonischer erklingendes Spiel zur Ra-
serei. Trofe seiner glänzenden Erfolge und der dadurch
bedingten reichen Einnahmen stürzte Paganini die Spiel-
leidenschaft immer wieder in Schulden. Ein Zufall befreite
ihn von diesem Laster. Ein reicher Musikfreund bot ihm
für seine Geige eine beträchtliche Summe. „Da ich infolge
Spielverluste gerade in gro&er Geldverlegenheit war," er-
zählt Paganini, „schwankte ich bereits, ob ich dieses Aner-
bieten nicht annehmen sollte. Mein ganzer Besife war
30 Franken, denn meine Wertsachen, Uhren, Ringe und
dergl., waren bereits auf dem Pfandhaus. Da holte mich
ein Freund zu einer Spielpartie für den Abend ab, und ich
beschloß, mein lefetes Geld daran zu wagen und, wenn mir
auch diesmal das Glück nicht hold sein sollte, die Geige zu
verkaufen und nach Petersburg auszuwandern, um dort
mein Glück zu versuchen. Schon war meine Barschaft auf
3 Franken zusammengeschmolzen, und ich sah mich im
Geist bereits auf der Reise in die Fremde, als plöfelich das
Spielglück umschlug, mir meine Geige rettete und mich wie-
der sicheren Grund unter den Fü&en gewinnen lie&. Von
diesem Tage an entsagte ich dieser verachtenswerten Lei-
denschaft, der ich einen Teil meiner Jugend geopfert." Aus
dem Spieler und Verschwender wurde gar bald ein spar-
samer, ja geldgieriger Kapitalist. Die Leidenschaft für das
schöne Geschlecht dagegen zählte ihn auch fernerhin Zeit
seines Lebens zu ihren treuesten, unermüdlichsten Dienern.
II.
Lucca
In dem anmutigen Lucca, dessen erstes Betreten für
Paganini einst von so tiefgehender Bedeutung geworden
war, sollte sich noch einmal eine entscheidende Wandlung
seiner Lebensbahn vollziehen. Es war allerdings nicht mehr
das unscheinbare Provinzstädtchen, in dem der kleine Wun-
dermann beim Volksfest billige Triumphe gefeiert hatte,
inzwischen war es eine fürstliche Residenz geworden.
Nachdem im Jahr 1799 die Franzosen Lucca beseht haften,
hatte es Napoleon I. zur Hauptstadt des Fürstentums
Piombino ernannt, mit dem er seine Schwester Maria Anna
Elise und ihren Gemahl Feiice Bacciocchi belehnte. Wie
alle von dem großen Korsen gestifteten Staatswesen diente
auch dieses kleine italienische dem neuen Herrscherpaar in
erster Linie zur Erhöhung des Lebensgenusses. Die Re-
gierungstaten beschränkten sich in der Hauptsache auf den
erforderlichen Erlafe zur Herbeischaffung der bei einem
Leben in verschwenderischer Pracht und sinnenfrohen Lust-
gelagen doch niemals ausreichenden Geldmittel. Marie
Elise, ein leidenschaftliches, üppiges Weib, ihrem Bruder,
dem „König Lustig", in allem blutsverwandt, war die glanz-
volle Sonne jener buntschillernden Feste, die nun fast un-
unterbrochen die biederen Bürger Luccas in Atem hielten.
8
Sie war ständig umschwärmt von einer Trabantenschar
lebenslustiger Cavaliere, die sie umgirrten und — nicht
immer vergebens — auf Erfüllung geheimer Wünsche hoff-
ten. Doch diese schwüle Atmosphäre reinen Sinnenge-
nusses vermochte auf die Dauer die auch nach tieferem Er-
leben sich sehnende geistvolle Frau nicht zu befriedigen.
Das Erscheinen einer überragenden Persönlichkeit muffte
gleich einer Erlösung aus dieser Umgebung diensteifriger
Hofschranzen auf sie mit suggestiver Gewalt wirken. Unter
den Veranstaltungen des alljährlich im Herbst mit großem
Pomp begangenen Festes der Kreuzeserhöhung stand 1805
ein Konzert des schon damals in Oberitalien gefeierten
Paganini vornan. Als der Künstler auf dem Podium er-
schien, erregte sein seltsames Äußere, das gesucht Exal-
tierte seines Benehmens, wie seine ganze Erscheinung bei
der zahlreich versammelten Zuhörerschaft, unter der sich
die ganze Hofgesellschaft befand, Erstaunen, ja spöttische
Heiterkeit. Doch kaum waren die ersten Töne seines In-
struments erklungen, da hafte sich schon atemlose Span-
nung der Hörer bemächtigt. Noch blifeen nur einzelne Ton-
funken durch das Ritornell des Orchesters ohne Vollendung
einer Phrase oder Auflösung einer Dissonanz, doch bald
formt sich ein schmelzender, süfeer Gesang, so bestrickend
ihn nur eine Geige hervorzaubern kann, der sorglos und
unbekümmert über alle Schwierigkeiten hinwegschreitet.
Unvermittelt zucken dazwischen die kühnsten Blifee teuf-
lischen Humors, zersehenden Hohns. Die gleich schwarzen
Edelsteinen aus dem blassen Anflife des unheimlichen Gei-
gers glänzenden Augen entzünden sich zu lieferer Glut,
funkeln immer drohender, die Töne der Geige werden wil-
der, überstürzen sich in halsbrecherischen, mit an Zauberei
grenzender Schnelligkeit und Sicherheil ausgeführten
Sprüngen und Läufen, heftige Zuckungen schütteln gleich
Fieberschauern den schmächtigen Körper, wie in wahn-
sinniger Liebespein schlägt er das Instrument, ein Stampfen
des Fu&es — das Orchester stürmt darein, und in einem
donnerähnlichen Tosen des Beifalls löst sich die atembe-
nehmende Spannung der Hörer. Der Künstler scheint ihn
kaum zu beachten, ein leises Lächeln umspielt seinen leicht
geöffneten Mund, sein Blick fällt in eine Loge, aus der ihm
von zarter Hand ein Strau| dunkelroter Nelken zugeworfen
wird. An die Brüstung gelehnt, steht Marie Elise, trunkenen
Blicks das Bild dieses seltsamen Mannes in sich aufneh-
mend, dessen Spiel mit dämonischer Gewalt ihr Innerstes
aufgewühlt, ihre Nerven zur Raserei gepeitscht, ihr körper-
lichen Schmerz und ungekannte Lust bereitet hat.
Noch am selben Abend unterzeichnet Paganini einen
Vertrag, der ihn zum Kammervirtuosen der Fürstin und zum
Hofkapellmeister der Oper ernannte. Zwar waren die Be-
dingungen keine glänzenden, und sein Unabhängigkeits-
drang lie| sich nur schwer überwinden; doch diesmal lockte
ihn ein Magnet, der stärker war, und der ihm winkende
Lohn schien ihm jedes Opfer wert: die Gunst einer Herrin.
Marie Elise gewährte sie ihm rückhaltlos. Paganini diri-
gierte die Opernaufführungen, denen der Hof beiwohnte,
und veranstaltete alle vierzehn Tage ein großes Konzert, in
dem er sich als Solist hören liefe. Dazwischen spielte er
häufig in privaten Soireen bei Hof. Um ihm hier eine wür-
dige Stellung zu schaffen und vor allem ihm zu ermöglichen,
bei allen Hoffestlichkeiten zu erscheinen, verlieh ihm die
Fürstin den Rang eines Offiziers ihrer Leibwache. An der
künstlerischen Entwicklung ihres neu gewonnenen Freun-
des nahm sie regen Anteil und ward nicht müde, ihn zu
immer neuen Errungenschaften in der Technik seines In-
10
sirumenles anzuspornen. Paganini kam den Wünschen der
geliebten Frau mit Eifer nach und wartete fast in jedem
seiner Hofkonzerte mit neuen Kunststückchen auf. So ver-
dankt auch sein berühmtes Spiel auf einer Saite, durch
das er später die Welt in Staunen versehen sollte, dem
Liebesidyll am Hof zu Lucca seine Entstehung. Daß es der
Künstler mit der Treue gegen die fürstliche Freundin dabei
allerdings nicht so genau nahm und daneben auch noch
für andere galante Abenteuer Lust und Gelegenheit fand,
gesteht er selbst. „Ein hübsches Weib, zu der ich schon
lange insgeheim in Liebe entbrannt war, wohnte stets den
musikalischen Soireen bei, und ich fühlte, daß auch sie mir
zugetan. Doch zwangen uns wichtige Gründe, unsere Lei-
denschaft klug zu verbergen, was jedoch ihr Feuer nur noch
stärker anfachte. Eines Tages versprach ich ihr eine musi-
kalische Huldigung, die unserer Liebe ihre Entstehung ver-
danken sollte, und ich kündigte für das nächste Hofkonzert
eine Neuigkeit an unter dem Titel „Liebesszene". Man war
allgemein sehr gespannt, und das Erstaunen erreichte den
Höhepunkt, als ich das Podium mit einer nur mit zwei Sai-
ten bespannten Violine betrat. Ich hatte nur die G- und
E-Saite aufgezogen, die eine sollte die Empfindungen des
jungen Mädchens, die andere die leidenschaftlichen Liebes-
beteuerungen des Mannes zum Ausdruck bringen. Ich be-
gann nun eine Art Zwiegespräch, in dem den zartesten
Liebesgeständnissen Ausbrüche glühender Eifersucht folg-
ten. Drohungen und Klagen, Zorn und Freude, Schmerz
und Glückseligkeit lösten sich ab. Schließlich kam es wie-
der zur Versöhnung, und die beiden Liebenden führten,
ausgelassener denn je, einen Pas de deux aus, den ein
glänzendes Finale krönte. Diese Novität machte Glück:
die Dame meines Herzens lie£ mich durch glühende Blicke
11
Verheißung erhoffen, und die Fürstin Elise überschüttete
mich mit Lobsprüchen. Sie meinte: „Da Ihr das Unmög-
liche leistet, sollte Euch da nicht eine einzige Saite zur Be-
tätigung Eures Talentes genügen?" Ich versprach sofort
den Versuch zu wagen. Der Gedanke beschäftigte unab-
lässig meine Phantasie, und wenige Wochen später schrieb
ich, als Huldigung zu des Kaisers Namenstag, meine mili-
tärische Sonate „Napoleon" für die vierte Saite. Am 15.
August 1807 spielte ich sie vor einer glänzenden Hof-
gesellschaft, und der Erfolg übertraf meine kühnsten Er-
wartungen. Von dieser Zeit rührt meine Vorliebe für die
G-Saite her, und da man stets Neues darauf von mir zu
hören wünschte, machte ich täglich Fortschritte in dieser
Kunst, bis meine Sicherheit darin immer vollkommener
wurde."
Da der Zauber, der ihn einst an Lucca gefesselt, immer
mehr zu verblassen begann, gewann die Sehnsucht zum
ungebundenen Umherschweifen in Paganini wieder die
Oberhand. Er erbat daher einen längeren Urlaub, der
ihm auch gewährt wurde, und konzertierte in mehreren
Städten Oberitaliens. In T u r i n wurde er von Marie Elises
Schwester, der Fürstin Maria Pauline Borghese gastlich
aufgenommen und verbrachte in der Nähe dieser ebenso
hübschen wie leichtlebigen Frau mehrere Wochen unge-
störten Liebesglücks. Schließlich tauchte er, nachdem er in
Livorno längere Zeit durch eine Unterleibserkrankung ans
Bett gefesselt worden war, von der er sich nie mehr völlig
erholen konnte, in F I o r e n z auf. Hierhin riefen ihn seine
Hofverpflichtungen. Marie Elise war inzwischen von Napo-
leon zur Herzogin von Toskana ernannt worden, und der
ganze Hofstaat von Lucca nach Florenz übergesiedelt. Zur
Feier des Friedensschlusses zwischen Frankreich und
12
Osterreich fanden hier, im Oktober 1809, gro&e Musikauf-
führungen statt, bei denen Paganini, als Kammervirtuose
der Herzogin, natürlich nicht fehlen durfte. Nach Beendi-
gung des Festes erhielt Paganini von Marie Elise ein präch-
tiges Florentinisches Mosaik aus Edelsteinen zum Ge-
schenk. Es scheint, daß der einst so glühenden Leiden-
schaft zwischen diesen beiden Menschen hier noch ein
stürmischer Liebesherbst vergönnt war, ehe der auf die
Dauer nicht zu fesselnde Künstler, dessen Feld nur die
weite Welt sein konnte, für immer von dannen zog. Nach-
dem Paganini nach einer erneuten erfolgreichen Konzert-
tournee durch die Städte der Lombardei nochmals zu län-
gerem Aufenthalt nach Florenz zurückgekehrt war, führte
schließlich ein an sich bedeutungsloser, von ihm wohl ab-
sichtlich provozierter Vorfall den schon lang drohenden
Bruch herbei. Der Künstler erschien eines Abends zum
Hofkonzert nicht in seinem gewohnten schwarzen Kleid,
sondern in der Uniform seiner Hofcharge. Auf die Auf-
forderung der Herzogin, das Konzert nicht in Uniform zu
leiten, entgegnete er, daß er zum Tragen dieser Kleidung
berechtigt sei, und daß das Verleihungsdekret keinerlei
Ausnahmefälle vorschreibe, und froh nochmaligen Befehls
verharrte er bei seiner Weigerung. Ja, um zu zeigen, daß
er im Recht sei und vor nichts zurückschrecke, ging er nach
Schluß des Konzertes bei Beginn des Hofballes ostentativ
in seiner Uniform im Saale auf und ab. Doch zog er es
vor, die weitere Entwicklung dieser Angelegenheit, die ihm
unter Umständen eine Freiheitsstrafe hätte eintragen kön-
nen, garnicht abzuwarten, und entwich noch in derselben
Nacht aus Florenz. Und weder die weitestgehenden Ver-
sicherungen, noch die flehentlichsten Bitten und Beschwö-
rungen der geliebten Fürstin vermochten ihn zur Rückkehr
13
zu bewegen. Der Magnet, der ihn einst so leicht in Lucca
gefesselt, halte seine Kraft eingebü&t, und die Luft der
wiedergewonnenen Freiheit umwehte ihn viel zu ver~
lockend, als dal er jemals wieder auf sie freiwillig zu ver-
zichten gewillt war.
14
III.
Quer durch Italien
Paganinis Flucht endete in Mailand, einer Stadt, die er
sehr ans Herz schloS und in die er in der Folgezeit
immer wieder gern zurückkehrte. An einem der ersten
Abende besuchte er die Scala. Man gab das von Sü&mayer
in Musik gesefete Ballet „II noce di Benevenlo" von Vigano.
Eine Szene daraus, in der ihm besonders eine Hoboenstelle,
die das Näseln der auftretenden alten Hexen komisch nach-
ahmen sollte, belustigte, regte ihn zu seinen weltberühmten
Variationen le Streghe (Die Hexen) an, deren Thema
er der Sü&mayerschen Musik entnahm und in denen auch
die bewußte Hoboenstelle, die er täuschend auf der Geige
nachahmte, nicht fehlen durfte. Noch während der Arbeit
an dieser neuen Komposition, die den Glanzpunkt seines
ersten Mailänder Konzerts bilden sollte, erlitt er einen
neuen Anfall seines Unterleibsleidens, das ihn Monate lang
am Auftreten verhinderte. Erst am 29. Oktober 1813 konnte
er sich zum erstenmal in der Scala vor dem Mailänder
Publikum hören lassen, und namentlich die Hexenvari-
ationen steigerten die Begeisterung zur Raserei. Dieser
denkwürdige Abend, dem im Lauf der Jahre in Mailand
noch sechsunddreiljig mit gleichem Enthusiasmus aufge-
nommene folgten, trug als erster den Ruhm des Künstlers
15
über die Grenzen seines italienischen Vaterlandes hinaus
und lenkte die Augen von ganz Europa auf diesen sagen-
umwobenen Wundermann. In der Leipziger musikalischen
Zeitung erschien nämlich im Anschluß an dieses Konzert
eine ausführliche Besprechung, die erste in deutscher
Sprache. Sie lautete: „Herr Paganini aus Genua, der in
Italien allgemein für den ersten Violinspieler unserer Zeit
gehalten wird, gab im hiesigen Theater alla Scala eine
musikalische Akademie, worin er ein Violinkonzert von
Kreuzer (E-moll) und zu Ende Variationen auf der G-Saite
spielte. Der Zulauf war außerordentlich: alles wollte die-
sen Wundertäter sehen und hören, und alles wurde auch
wirklich auf die frappanteste Weise überrascht. Paganini
ist ohne Zweifel in gewisser Hinsicht der erste und größte
Violinspieler der Welt. Sein Spiel ist wahrhaft unbe-
g r e i f 1 i eh. Er hat gewisse Gänge, Sprünge und Doppel-
griffe, die man noch von keinem Violinspieler, wer er auch
sei, gehört hat; er spielt (mit einer ganz eigenen Appli-
katur) die schwersten zwei-, drei- und vierstimmigen Säfee;
ahmt viele Blasinstrumente nach; er gibt in den aller-
höchsten Tönen ganz dicht am Steg die chromatische Scala
so rein zu hören, daß es beinahe unglaublich scheint; er
spielt zum Erstaunen die schwierigsten Säfee auf einer
Saite, kneipt auch wohl, im Scherze, auf den anderen den
Baß dazu; oft überzeugt man sich kaum, daß man nicht
mehrere Instrumente höre; kurz, er ist einer der künst-
lichsten Violinspieler, die je die Welt gehabt hat. Daß
er in seiner Akademie Furore macht, werden Sie sich den-
ken. Einige unparteiische Musikkenner bemerkten jedoch
mit Recht, da| er das Kreuzersche Konzert garnicht im
Sinne des Komponisten gespielt, ja manches darin fast un-
kennbar gemacht habe. Hiergegen haben seine Varia-
16
tionen auf der G-Saite (die er wegen des lauten Geschreis:
„Bis!" widerholte) jedermann in Verwunderung gesefet:
denn wahrlich, eben so was hat noch niemand gehört. Frei-
lich befriedigte dieser in seiner Art einzige Künstler mit
einer Akademie das hiesige Publikum nicht, und so gab
er denn in einem Zeitraum von sechs Wochen e 1 f Aka-
demien, teils in der Scala, teils im Teatro Carcano. Be-
sonderen Beifall erhielten seine Variationen, betitelt „le
Streghe". Paganini hat auch mehrmals am hiesigen Hofe
gespielt."
Fünfzehn Jahre lang durchzog nun Paganini als ge-
feierter Virtuose und Nationalheros alle Städte Italiens,
vom äußersten Norden bis zu den südlichen Gestaden Sizi-
liens. Einem leuchtenden Meteor gleich tauchte sein Name
unvermutet an irgendeinem Konzertsaal auf, die großen, so
charakteristischen Anschlagzettel: „Paganini farä
sentire il suo Violin o" („Paganini wird seine Geige
ertönen lassen") lockten wie durch Zauberkraft unwider-
stehlich die Menge an, und erschien er dann selbst, der
blasse, geheimnisvolle Mann, so peitschte sein Spiel das
leidenschaftliche Temperament seiner Landsleute zu wilden
Orgien auf, die noch lange nachzitterien, wenn sein Sieges-
zug ihn bereits längst an einen anderen Ort geführt. Er
spielte am liebsten nur Stücke eigener Komposition, in
denen er all seine Teufelskünste loslassen konnte. Von
ihnen waren nur die Orchesterstimmen der Begleitung
aufgezeichnet, und diese wurden, um jede Möglichkeit des
Kopierens zu verhindern, unmittelbar vor jeder Probe und
jedem Konzert ausgeteilt und sofort nach Schluß des
Stückes wieder eingesammelt. Eine Niederschrift seines
eigenen Soloparts, den er beim Spiel sehr frei behandelte
und durch Improvisation und Extempores schmückte, hat
Kapp, Paganini.
17
zu seinen Lebzeiten kein menschliches Auge erspäht. Wenn
Paganini, was aber immer seltener geschah, Werke frem-
der Komponisten zum Vortrag brachte, so konnte er meist
der Versuchung nicht widerstehen, sie mit allerhand Ara-
besken, eigenen Zutaten und dergleichen auszuschmücken
und seiner Eigenart anzupassen. „Es ist meiner Natur
entgegen," schreibt er einmal, „fremde Kompositionen zu
spielen, Entlehntes vorzutragen; nicht als ob ich das Vor-
liegende nicht zu spielen vermöchte. Man weife sehr genau,
da§ ich das schwerste Solo a vista spiele; aber ich will
meine Eigentümlichkeit behaupten: ein Wunsch, dessen Ver-
wirklichung mir umso weniger verdacht werden sollte, als
er ja auch den Forderungen des Publikums vollkommen zu
entsprechen scheint." Auf seine ans Wunderbare gren-
zende Fähigkeit im a vista-Spiel war er sehr stolz, und
viele seiner Konzertprogramme tragen am Fufe den Ver-
merk: „Es steht jedermann frei, dem Konzertgeber be-
liebig ausgewählte Musikstücke vorzulegen, die er vom
Blatte spielen soll." Gern gab er auch die Geschichte zum
Besten, da& man ihm bei einer derartigen Begebenheit zu-
fällig die Notenstimme verkehrt auf das Pult gestellt, was
ihn aber durchaus nicht gehindert habe, das Stück ebenso
fließend herunterzuspielen, als stünden die Noten aufrecht.
Da| Paganini im Gefühl seiner unbegrenzten Sicherheit,
verleitet durch die Sensationswirkung seiner Kunststück-
chen, namentlich beim italienischen Publikum, häufig die
Linie, die Kunst und Taschenspielerei scharf trennt, über-
schritt und sich im Nachahmen von allerlei Tierlauten und
anderen wohlfeilen Manchen produzierte, ist gewife, mufe
aber dem Geschmack seiner Zeit und der schädlichen Ein-
wirkung des Jahrzehntelangen Herumziehens als wandern-
der Virtuose zugute gehalten werden und kann als flüchtig
18
vorüberhuschender Schatten seine hellstrahlende Künstler-
schaft nicht verdunkeln.
Wiederholt fa&te Paganini den Entschluß, seine italie-
nischen Triumphzüge zu unterbrechen und vor dem weiteren
Forum der nordeuropäischen Kunstfreunde wertvolleren
Lorbeer zu erringen. Doch jedesmal vereitelte seine
schwächliche Gesundheit, die fast alljährlich auf Monate
durch Rückfälle seines Unterleibsleidens gefährdet war,
diesen Plan. Dem Künstler auf all den vielverschlunge-
nen Pfaden seiner italienischen Fahrt zu folgen, ist kaum
mehr möglich, wäre auch wenig unterhaltsam, da die
Triumphe und Feste sich überall in gleicher Weise wieder-
holten. Nur wenige Erlebnisse heben sich noch heute ganz
von selbst aus diesem allgemeinen Rahmen heraus.
Als Paganini im Frühjahr 1816 in Genua weilte, er-
reichte ihn die Nachricht, da£ der berühmte französische
Geiger L a f o n t in Mailand eingetroffen sei, um dort Kon-
zerte zu veranstalten. Sofort brach er dorthin auf, um
sich selbst ein Urteil über das Spiel seines Rivalen zu bil-
den und nötigenfalls seinen Mann zu stehen. „Lafonts
Spiel," erzählt Paganini, „machte mir viel Freude. Acht
Tage nach dem seinigen gab auch ich ein Konzert im
Scalatheater, um ihm Gelegenheit zu geben, nun auch mich
kennen zu lernen. Am anderen Morgen schlug mir Lafont
vor, gemeinsam in einer Akademie aufzutreten. Ich lehnte
dies zunächst ab mit der Begründung, dafe derartige Ver-
anstaltungen sehr gefährlich seien, da das Publikum darin
einen Zweikampf erblicke und notwendig einen Besiegten
haben wolle; im gegebenen Falle wäre dies umso unver-
meidlicher, da Lafont für den ersten Violinspieler Frank-
reichs gelte, während man ihn unverdienterma|en für den
besten Geiger Italiens anspreche. Lafont liefe diese Gründe
2* 19
nicht gelten, und es blieb mir daher nichts übrig, als den
hingeworfenen Handschuh aufzunehmen. Ich überliefe ihm
die Zusammenstellung des Programms, um aber mit glei-
chen Waffen zu kämpfen, verzichtete ich freiwillig auf das
Spiel mit einer Saite. Ich begann mit einem eigenen
Konzert, dem Lafont eines der seinen folgen liefe, worauf
wir gemeinsam ein Doppelkonzert von Kreufeer spielten.
Hierbei hielt ich mich an den Stellen, wo die beiden In-
strumente zusammengehen, streng an die Noten, in den
Solis aber liefe ich meiner italienischen Phantasie freien
Lauf und improvisierte zu der Orchesterbegleitung, was
meinem Rivalen wenig zu behagen schien. Hierauf spielte
Lafont seine Variationen über ein russisches Thema, und
ich beschlofe das Konzert mit meinen Hexenvariaiionen.
Lafont besafe vielleicht den Vorzug gröfeerer Tonschönheit,
aber der Beifall des Publikums bewies mir, dafe ich in die-
sem Wettstreit keineswegs den Kürzeren gezogen hatte."
Es war natürlich ein törichtes Unterfangen des Franzosen,
Paganini auf italienischem Boden den Rang ablaufen zu
wollen. Mochte er ihm in getragenem klassischen Stil,
an Tonfülle und edlem Vortrag überlegen sein, so war er
ihm an Originalität und technischem Können, was vor dem
grofeen Publikum natürlich den Ausschlag geben mufete,
nicht entfernt gewachsen.
Kurz darauf führte Paganini der Zufall mit einem an-
deren Meister seines Instruments zusammen, von dessen
Richtung ihn allerdings eine noch tiefere Kluft trennte,
dem Deutschen Ludwig Spohr. Paganini weilte meh-
rere Monate in Venedig, nicht um zu konzertieren, sondern
um sich von einem schweren Krankheitsfall zu erholen.
Häufig trug der Abendwind den Luslwandlern am Lido
geisterhaft berückende Weisen zu, deren Ursprung niemand
20
kannte. Sie entstammten der Geige Paganinis, der oft
stundenlang auf dem Friedhof am Lido sa| und die tief
melancholische Stimmung der Abenddämmerung leise in
Tönen ausklingen lief*. Einem künstlerischen Waffengang
mit Spohr, dessen Können er volle Gerechtigkeit wider-
fahren lieB und den er den „vorzüglichsten Sänger" auf
seinem Instrument nannte, wich Paganini wohl in dem
richtigen Empfinden des zwischen ihnen bestehenden un-
vereinbaren Kontrastes aus. „Heute früh," heilt es in
Spohrs Autobiographie unterm 20. Oktober 1816, „war
Paganini bei mir, um mir viel Schönes über das Konzert
zu sagen. Ich bat ihn sehr dringend, mir doch nun einmal
etwas vorzuspielen, und mehrere Musikfreunde, die eben
bei mir waren, vereinigten ihre Bitten mit der meinigen. Er
schlug es uns aber geradezu ab und entschuldigte sich mit
einem Sturze, dessen Folgen er noch in den Armen spüre.
Nachher, als wir allein waren und ich nochmals in ihn drang,
sagte er mir, seine Spielart sei für das gro&e Publikum
berechnet und verfehle bei diesem nie seine Wirkung; wenn
er mir aber etwas spielen solle, so müsse er auf eine
andere Art spielen, und dazu sei er jefet viel zu wenig
im Zuge; wir würden uns aber wahrscheinlich in Rom oder
Neapel treffen, dann wolle er sich nicht länger weigern.
Ich werde also wahrscheinlich von hier abreisen müssen,
ohne den Wundermann gehört zu haben." Als Spohr
sein Spiel endlich vierzehn Jahre später in mehreren Kon-
zerten kennen gelernt hatte, vermochte er keine reine
Freude daran zu empfinden. „Seine linke Hand," so schrieb
er damals, „so wie die immer reine Intonation schienen mir
bewunderungswürdig. In seinen Kompositionen und seinem
Vortrag fand ich aber eine sonderbare Mischung von
höchst Genialem und kindisch Geschmacklosem, wodurch
21
man sich abwechselnd angezogen und abgestoßen fühlte,
weshalb der Totaleindruck nach öfterem Hören für mich
nicht befriedigend war." Die Welten der beiden Meister
waren eben zu verschiedene!
Nicht lange nach der Begegnung mit Spohr kreuzte
noch ein dritter Rivale Paganinis Weg: der junge Pole
Joseph Lipinski, derselbe, der fünfundzwanzig Jahre
später unter Richard Wagner erster Konzertmeister des
Dresdner Hoftheaters war. Die Kunde von des italienischen
Meisters kühnen Triumphen hatte ihn veranlagt, die weite
Reise von Lemberg über die Alpen anzutreten, allerdings
nicht in der Absicht, ihn, wie einst Lafont, als Gegner in
die Schranken zu fordern, sondern aus reiner Begeisterung
für seine Kunst und in dem Bestreben, aus Paganinis Spiel
zu lernen. In Venedig und Verona forschte er vergeblich
nach dem Meister, erst in Mailand erfuhr er, daß dieser in
Piacenza weile, und er traf dort gerade noch rechtzeitig
ein, um dessen Konzert hören zu können. Anderentags
machte er des Künstlers Bekanntschaft, und Paganini schloß
den jungen Kunstgenossen, dessen Talent ihn aufrichtig
interessierte, bald so sehr in sein Herz, daß er viel mit
ihm zusammen musizierte, ja ihn aufforderte, in mehreren
seiner Konzerte mitzuwirken. Er suchte ihn sogar schließ-
lich zu einer gemeinsamen Kunstfahrt durch Italien zu be-
wegen. Dies mußte Lipinski ablehnen, da ihn seine
Verpflichtungen wieder in die Heimat riefen, aber er
schied in aufrichtiger Freundschaft von dem bewunderten
Meister, dessen Lehren er viel verdankte, und gab seiner
Verehrung einige Jahre später durch die Widmung einer
seiner Kompositionen öffentlich Ausdruck.
Von italienischen Künstlern schloß sich Paganini enger
nur an Rossini an, mit dem er bei einem Aufenthalt in
22
Bologna Freundschaft geschlossen hatte. In R o m traf er
nach Jahren wieder mit ihm zusammen. Er fand den
Freund in arger Bedrängnis. Rossinis neue Oper „Ma-
thilde von Chabran" sollte im Apolloiheater ihre erste Auf-
führung erleben. Da hatte am Tag der Generalprobe den
Kapellmeister der Schlag gerührt, und ein Ersatzmann war
nicht rechtzeitig zu beschaffen. Sofort sprang Paganini
in die Bresche. Eine flüchtige Durchsicht der Partitur machte
ihn mit den Intentionen des Komponisten vertraut, und am
Abend leitete er die Probe mit einem Feuer, da| er alle
Mitwirkenden zur höchsten Leistungsfähigkeit hinriß. Um
das Orchester besser anspornen zu können, spielte er den
ganzen Part eine Oktave höher auf seiner Geige mit. Die
Erstaufführung der Oper am folgenden Tage wie die drei
nächsten Wiederholungen sahen Paganini am Dirigenten-
pult. Er errang dem Werk des Freundes einen vollen Er-
folg. Rossini hat ihm diesen echten Freundschaftsdienst
nie vergessen. Charakteristisch ist sein Ausspruch: es sei
ein Glück für die italienischen Tondichter, da£ Paganinis
von eiserner Willenskraft gestähltes Talent sich nicht auf
das Opernkomponieren geworfen habe, da er sonst so-
wohl ihn wie alle anderen Rivalen in den Schatten gestellt
hätte.
An diesen römischen Kapellmeistertriumph schloß sich
Paganinis erster Besuch N e a p e 1 s an. Dafj bei dem heiß-
blütigeren Temperament seiner Hörer hier im Süden die
Wogen der Begeisterung noch wilder sich aufbäumten, als
im Norden seines Vaterlandes, war vorauszusehen. Die
Tollheit feierte hier Orgien. Leider sollte für den Künstler
die Erfüllung seines jahrelang gehegten Wunsches, ein
Aufenthalt in Neapel, durch einen erneuten schweren
Krankheitsanfall empfindlich getrübt werden. Mitten aus
23
seinen Triumphen heraus warf ihn ein Unwohlsein aufs
Krankenlager. Er hatte zwei Zimmer im Quartier Petrajo
inne. Sein Zustand verschlimmerte sich von Tag zu Tag,
und bald verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, er sei
von der Schwindsucht befallen. Da der Eigentümer seiner
Wohnung diese Krankheit für ansteckend hielt und fürchtete,
der Maestro möchte bei ihm sterben, liefe er kurz ent-
schlossen das Bett des Kranken mit all seinem Hab und
Gut ins Freie schaffen und überliefe ihn dort seinem Schick-
sal. Zufälligerweise kam der Paganini befreundete Cellist
Ciandelli dazu und liefe den Ärmsten in eine behagliche, ge-
sunde Wohnung bringen, nicht ohne zuvor dem neapolita-
nischen Gefühlsmenschen für seine Rohheit eine tüchtige
Tracht Prügel verabfolgt zu haben. Bald war Paganini wie-
der soweit hergestellt, dafe er seine unterbrochenen Kon-
zerte zu Ende führen konnte. '
Dafe der gefeierte Mann selbst seinen Italienern nicht
alles ungesühnt zu bieten wagen durfte, zeigt ein in man-
cher Hinsicht charakteristischer Vorfall in Ferrara. Er
hatte hier ein Konzert angezeigt, in dem die Sängerin Mar-
colini mitwirken sollte. In lefeter Stunde sagte sie jedoch
infolge einer gegen Paganini gesponnenen Intrige ab.
„Sie will mich rasend machen! Ich weife, dafe man mich in
Verlegenheit sehen will, aber das soll ihnen nicht gelingen,"
tobte er. Mit inständigen Bitten bestürmte er die ihm be-
freundete, mit einer kleinen, aber anmutigen Stimme be-
gabte Tänzerin Pallerini, für die Sängerin einzuspringen.
Nachdem er noch eingehend mit ihr zur Guitarre geprobt,
erklärte sie sich bereit. Doch abends vor dem Publikum war
sie befangen und sang ihre Arie sehr zaghaft. Trofedem
ermunterten sie die Hörer durch freundlichen Beifall, als sie
aber geendet, ertönte, vermutlich von einem Freund der
24
Marcolini, ein gelles Pfeifen. Paganini wütete und schwor,
sich und seine Freundin für die ihnen angetane Schmach zu
rächen. Das lebte Stück seines Programmes sollte nach
Ankündigung allerhand scherzhafte musikalische Nach-
ahmungen bringen. Nachdem er das Zwitschern der Vögel,
den Hahnenschrei, das Bellen der Hunde, das Miauen der
Kafee und ähnliche Imitationen hatte vernehmen lassen, trat
er dicht an die Rampe des Podiums und rief, indem er auf
das täuschendste das J-A des Esels nachahmte: „Questo
e per guello che ha fischiato!" („Dies für den Pfeifer!")
Im Saal erhob sich ein wüstes Lärmen, doch Paganini ließ
sich nicht einschüchtern, und triumphierend sein J-A hinaus-
schmetternd, verlief er das Podium. Dieses Impromptu
schien jedoch für ihn gefährlich werden zu wollen, die
Menge stürmte ihm nach und drohte mit Tätlichkeiten, und
nur unter dem Schüfe der Polizei gelang es ihm, unversehrt
seinen Gasthof zu erreichen. Hier erst erfuhr er die Auf-
klärung der ihm ganz unverständlichen Empörung. Die
Einwohner der um Ferrara gelegenen Ortschaften sehen mit
Verachtung auf die Ferraresen herab, bezeichnen sie mit
Esel, und wenn sie aus Ferrara heimkehren, pflegen sie auf
die Frage „wo warst du?", nur mit J-A zu antworten.
Das Konzertpublikum hatte daher in Paganinis Rache eine
allgemeine Beschimpfung der Stadt gesehen. Zum Über-
fluß fühlte sich die Behörde noch veranlaßt, dem Künstler
für alle Zeiten das Auftreten in Ferrara zu untersagen.
Ein Aufenthalt in Venedig im Frühjahr 1824 wurde
für Paganinis Leben von einschneidender Bedeutung. Eine
kleine Sängerin am Samueltheater hatte es ihm angetan.
Was ihn, dem die schönsten und vornehmsten Frauen sich
hingaben, der von einem galanten Abenteuer zum andern
flatterte, gerade an jene unbedeutende, nicht einmal son-
25
derlich hübsche Choristin fesselte, ist eines jener Liebes-
rätsel, deren Lösung der nüchterne Verstand dem kleinen
Schalk Amor überlassen mufe, der ihm ja so gern ein
Schnippchen schlägt. „Ich bin weder jung noch schön, im
Gegenteil ich bin sehr hä|lich gewesen," gesteht Paganini
später einmal selbst, „aber wenn die Frauen meine Musik
hören, den Schmelz meiner Töne, weinen sie alle, dann
werde ich ihr Idol und sie liegen mir zu Fü&en." Vielleicht
war es gerade das ungebildete Kind der Mailänder Vor-
stadt, die im Gegensafe zu seinen Salonliebschaften ur-
wüchsige Sinnlichkeit, die ihn an der jungen A n t o n i a
B i a n ch i bezauberte. Er nahm sie zu sich und förderte
durch eifriges gemeinsames Studium ihre Gesangskunst bis
zu einem solchen Grade, da& sie schon am 21. Mai in
seinem Konzert in Genua als „virtuose forestiera" vor das
Publikum seiner Vaterstadt treten konnte. Nach weiteren
Konzerten in Mailand, Triest, Rom und Neapel begab sich
das junge Paar nach Sizilien, dessen Klima Paganinis an-
gegriffenem Gesundheitszustand sehr förderlich war. Hier
verweilten sie in ungestörter Zurückgezogenheit und sü&em
Nichtstun über ein volles Jahr. Das Glück erreichte den
Höhepunkt, als ihnen ein Knabe geboren, der stolz
A ch i 1 1 e genannt und des Vaters Abgott wurde. Der Er-
holungsaufenthalt auf Sizilien und mehr wohl noch das ge-
regelte Leben hatte Paganinis Körper neu gekräftigt; mit
frischem Mut begann er, ehe er die nun fest beschlossene
Reise ins Ausland antreten wollte, unter Mitwirkung seiner
Geliebten eine gro&e Abschiedstournee durch Italien, ober
die Bianchi, die in den Konzerten meist Arien von Pacini
sang, schreibt um jene Zeit ein Kritiker der „Leipziger All-
gemeinen musikalischen Zeitung": „Ihre Stimme ist schön
und rührend; die Töne weich, voll, rund, subtil und, wo es
26
Not tut, auch kräftig durchgreifend; ihr Triller in der Höhe
wie in der Tiefe musterhaft; Methode, Portamento, Volubi-
lität bewunderungswürdig; innige Empfindung und Aus-
druck, sich assimilierend mit den Sphaerenklängen ihres
Kunstfreundes, da| die gegenseitige magnetische An-
ziehungskraft unverkennbar hervortritt." Doch mit der
Rückkehr in die grogeWelt, in die Atmosphäre der Konzert-
säle und Salons, war es um die Harmonie und das Liebes-
glück der beiden geschehen. Die Leidenschaft war wohl
bei beiden längst gekühlt, schroffe Charaktergegensäfee
traten jefet unangenehm hervor, bei ihr launenhafte Herrsch-
sucht und Geldgier, bei ihm kleinlicher Geiz und Unbestän-
digkeit. Da Paganini mehrfach andere intime Beziehungen
anknüpfte, die Bianchi ihm aber scharf nachspionierte, so
kam es zu wüsten Eifersuchtsszenen, die bei den durch
Erziehung und Bildung wenig gebändigten elementaren Ge-
fühlsäugerungen der beiden nicht selten zu Tätlichkeiten
ausarteten. Namentlich an den Geigen ihres ungetreuen
Gemahls lieg Antonia wiederholt ihre Wutanfälle aus.
Das Verhältnis wurde immer unhaltbarer. Sie begleitete ihn
noch bis zur ersten Station im Ausland, nach Wien, doch
hier kam es wegen des Ertrags eines zu ihrem Benefiz ver-
anstalteten Konzertes, den ihr Paganini nur zur Hälfte zu-
gestehen wollte, zu einem heftigen Streit, und als sie we-
nige Tage später außerdem noch begründeten Anlag zur
Eifersucht zu haben glaubte, ver'ieg sie nach einer furcht-
baren Szene die Stadt und kehrte nach Italien zurück. An
Stelle der ihr früher notariell zugesicherten jährlichen
Rente forderte sie eine einmalige Abstandssumme, die ihr,
wie aus Paganinis Notizbuch hervorgeht, im Betrag von
10 593, 10 Lire ausgehändigt wurde. Der kleine Achille blieb
beim Vater zurück. In Paganinis Briefen an seine Freunde
27
zittert dieses schmerzliche Erlebnis, der häßliche Bruch
eines Verhältnisses, das über vier Jahre gewährt, aus dem
er wenigstens den Sohn, als das höchste Kleinod seines
Lebens gerettet hatte, noch lange nach. Allerdings trübt
ihm dabei die Verbitterung und die Erinnerung an die aus-
gestandenen Qualen den Blick für frühere glücklichere Zei-
ten: „Du glaubst," helfet es in einem Brief aus Wien an
einen Freund in der Heimat, „dafe dieses Weib mir im
Krankheitsfall nüfelich gewesen wäre. Mein Lieber, gerade
wenn ich krank bin, fühle ich den Vorteil, sie nicht um mich
zu haben. Mag es Mangel an Herz oder Verstand bei ihr
gewesen sein, aber gerade bei solchen Gelegenheiten tat
sie nie das, was gerade not war. Ich will hier nicht die
vielen schmerzlichen Wunden wieder aufreihen. Jene Elende
wollte nie üben, noch überhaupt etwas tun, und bei den
kleinsten Arbeiten klagte sie, dafe ich sie wie eine Sklavin
behandele. Sie erzählte Gott und der Welt Geschichten
von ihrer Schande. Vergeblich suchte ich sie zu zügeln.
Immer von Neuem, mit allem, was sie tat, reizte sie mich.
Diese traurige Geschichte ganz herzuzählen, wäre zu lang
und zu bitter. Als ich sie kennen lernte, war sie eine kleine,
unbedeutende Sängerin, ich machte sie fähig, in Konzerten
aufzutreten. Sie hatte kaum ein Hemd anzuziehen, jefet
besifet sie eine prächtige Garderobe, Juwelen und Kapita-
lien! Sie verbitterte mein Leben, solange sie mit mir zu~
sammen war, und jefet, wo ich sie los bin, hat sie, wie ich
weife, nur e i n Bestreben, mich schlecht zu machen. Die
gerechten Menschen werden zwischen mir und ihr richten.
Einem Freunde wie Dir gegenüber wollte ich mal mein
Herz ausschütten, nicht um mich zu rechtfertigen, sondern
um mir Luft zu machen." Ein anderes Mal heifet es: „Wie
ich Dir eben sagte, ist die Bianchi immer gemeiner gewor-
28
den, sie hat mir Streiche in allen Tonarten gespielt. Sie
wurde lächerlich anmalend, aus Habgier nach 2000 Talern
lie| sie mich keinen Augenblick in Frieden und eines
Abends hat sie mich und ihren Sohn im Stich gelassen und
ist nach Mailand zurückgekehrt mit den Brillanten, die ich
ihr gekauft und allem Geld. Wenn ihr sie zufällig seht und
reden hört, so glaubt nichts von ihrem Geschimpfe über
mich. Achille ist lieb und hübsch, ich habe ihn immer bei
mir, und er ist es, der mich am Leben erhält."
29
IV.
Der Europäer
Am 16. März trifft in unserer Kaiserstadt Italiens be-
rühmtester Violinspieler, der Ritter Nicolo Paganini
ein, der sich einmal entschlossen hat, eine Kunstreise außer-
halb Italiens zu unternehmen, um dem kunstsinnigen
Wien zuerst seine Leistungen zu widmen, ein Beweis von
Achtung, der gewiß die verdiente Anerkennung widerfahren
wird." Diese und ähnliche geschickt verbreitete Ankündi-
gungen versehten alle Musikfreunde Wiens in Erregung.
„Paganini ist dal" ging es von Mund zu Mund. Endlich
sollte man diesen geheimnisvollen Zauberer, von dessen
schier unglaublichen Künsten man die tollsten Märchen ver-
nommen, dessen Persönlichkeit und Lebensschicksale in
ein gruseliges, rätselvolles, mystisches Dunkel gehüllt
waren, von A.ngesicht zu Angesicht sehen, seinen Tönen
lauschen dürfen. Anfangs war man den überschwenglichen
Berichten aus Italien mißtrauisch und mit Spott über das
heiße südländische Temperament und die geringen An-
sprüche nicht sehr verwöhnter Hörer begegnet, als aber
einer nach dem andern, den sein Weg gen Süden geführt,
mit begeisterten Worten immer neue Wunderdinge und
Seltsamkeiten von diesem modernen Hexenmeister zu be-
richten gewußt, da war dem biederen Wiener das ungläu-
30
bige Lächeln vergangen. Mit dem Verstand vermochte er
derartiges nicht zu fassen, mit richtigen Dingen konnte das
nicht zugehen, und nun glaubte er fest an all den Teufels-
spuk, den schon ängstliche Gemüter in Italien zur be-
quemen Lösung dieser Rätsel sich zusammenphantasiert.
Er hatte nicht umsonst die Schilderungen seines Lieblings-
schriftstellers E. T. A. Hoffmann in atemloser Erregung ver-
schlungen und sich in den romantischsten Phantastereien
ein geistiges Gegengewicht zu den reizlosen Vorgängen
des unter dem schweren Druck einer reaktionären Strö-
mung geknechteten Alltags geschaffen. In Paganini schien
nun gar der Kapellmeister Kreisler in all seiner unheim-
lichen Dämonie wiedererstanden, zur greifbaren Wirklich-
keit geworden zu sein. Kein Wunder daher, da& die Kunde
seiner Ankunft in Wien eine kleine Revolution hervorge-
rufen hatte und trofe noch nie dagewesener Eintrittspreis-
höhe schon Tage zuvor keine einzige Karte für das Kon-
zert mehr aufzutreiben war. Endlich war der ungeduldig
erwartete Tag da, und schon drei Stunden vor Beginn
herrschte in dem Konzertsaal ein beängstigendes Ge-
dränge. Geduldig harrte man dem Ereignis entgegen, und
je weiter der Zeiger der Uhr vorrückte, desto höher stieg
die Spannung, die fühlbar über der Menge lagerte. Sa&
irgendwo in den Reihen ein Glücklicher, der Paganini schon
gesehen oder wenigstens Näheres über ihn gehört hatte,
so umdrängten ihn die Nachbarn und lauschten atemlos
seinen Erzählungen. „Aber ganz gewife," erklang aus einer
dichten Gruppe die durchdringende Stimme eines vor-
nehm gekleideten Jünglings, der heftig gestikulierte und
den ungläubig den Kopf schüttelnden Nachbar, der es
wagte, an seinen Worten zu zweifeln, mit wütenden, ver-
ächtlichen Blicken ma&. „Ich habe selbst in Mantua das
31
Gefängnis gesehen," bekräftigte er nochmals, „in dem
Paganini vor Jahren seine Strafe abgebüßt hat. Er hatte
sich in ein bildschönes Weib verliebt und war mit ihr aus
ihrer Vaterstadt in ein verborgenes Liebesversteck geflüch-
tet. Doch bald war die Schöne der Einsamkeit überdrüssig
und sehnte sich nach anderen Zerstreuungen als der Ge-
sellschaft ihres Geliebten. Paganini verfolgte sie mit wahn-
sinniger Eifersucht, und eines Tages, als sie ihm offen ein-
gestand, daß sie seiner überdrüssig sei, geriet er in solche
Raserei, daß er mit einem Messer auf sie losstürzte und sie
lebensgefährlich verleßte. Er wurde verhaftet und zu
mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Man gestattete ihm
ausnahmsweise, seine Geige mit in seine Zelle zu nehmen.
Doch eine Saite nach der anderen fiel der feuchten Kerker-
luft zum Opfer, und schließlich blieb nur noch die wider-
standsfähigere G-Saite gebrauchsfähig. Paganini war nun
gezwungen, auf dieser einen Saite all das hervorzuzaubern,
was ihm früher alle vier erklingen liegen. Immer neue
Mittel und Wege fand er aus und bald hatte er in dem
Spiel auf der einen Saite eine solche Meisterschaft er-
langt, dag er die andern garnicht mehr vermiete. Und das
ist die Ursache," schloß triumphierend der Redner, denn
sein zäher Widersacher war längst ganz verstummt, „zu
Paganinis Vorliebe für das Spiel auf der G-Saite und seine
unerreichbare Fertigkeit." Beifällig nickten ihm die Hörer
zu, nur einem schien diese Lösung von Paganinis Zauberei
zu harmlos. „Mag sein," sagte er geringschätzend, „daß
gerade das sich auf solche Weise erklären läßt, aber seine
ganze Hexerei hat der Mann nicht im Gefängnis erlernt.
Denn das könnt' schließlich auch ein anderer nachmachen.
Nein, es ist ein offenes Geheimnis, daß er mit dem Teufel
im Bunde steht, und schon wiederholt sah man in seiner
32
Nähe, wenn sich mitten in seinem Spiel sein Gesicht zu
einem bizarren Lächeln verzieht, das jedermann, der ihn
nur einmal gesehen, auffällt, eine seltsame Gestalt ihm zu-
nicken, die ebenso schnell und spurlos wieder verschwun-
den, wie sie erschienen ist. Ihr braucht ihn ja nur genau anzu-
sehen, wenn er da oben auf dem Podium steht; das sieht
doch jedes Kind, da& da kein normaler Mensch aus Fleisch
und Blut steht, sondern ein Dämon, der durch seinen Höl-
lenspuk unsere Sinne umgaukelt. Mir kann der Teufel
aber nix anhab'n, i hab zwei geweihte Rosenkranzerl ei-
gesteckt." Gerade wollte der vornehme Jüngling diesem
vorsichtigen Wiener Pfiffikus mit höhnischem Spott zu
Leibe, da begann das Orchester das erste Stück. So an-
dächtig man sonst den vertrauten Klängen einer Haydn-
schen Symphonie lauschen mochte, diesmal war alle Mühe
der tüchtigen Kapelle vergebens. Es gelang ihr nicht, das
Wirren und Summen im Saal zu bannen, nur widerwillig
lie§ die Menge die tändelnden Weisen an ihr Ohr klingen,
für sie war es heute taub. Die Symphonie schien diesmal
dreimal so lang, sie wollte überhaupt kein Ende nehmen.
Endlich war der Schlu|akkord verklungen, ein flüchtiges
Beifallszeichen, da stand auch schon alles auf den Stühlen,
in fieberhafter Spannung richteten sich aller Blicke nach der
kleinen Türe, aus der nun der gro&e Unbekannte heraus-
treten sollte. Doch vergebens reckten sich die Hälse, ver-
gebens suchte jeder den Vordermann, den er zum Teufel
wünschte, zu überragen — noch blieb das Podium leer.
Wachsende Unruhe zieht durch den Saal, man murrt, ver-
einzeltes Zischen lä&t sich hören, da, als die über Gebühr
aufgereizte Nervenspannung des Publikums umzuschlagen
droht, zeigt sich eine schwarze, erschreckend dürre Ge-
stalt, die mit langsamem, seltsam schleppendem Schritt vor
3 Kapp, Paganini. JJ
an die Rampe schreitet. In den lang herabhängenden
schwarzen Locken und dem stark gekräuselten Backenbart
birgt sich ein schmales, bla&gelbes Gesicht, dessen unbe-
weglicher, steinerner Ernst zu der stechenden Lebhaftigkeit
des sprühenden, dunkeln Auges einen sonderbaren Kontrast
bildet. Unter der stark hervorstechenden Adlernase ein fest
zusammengekniffener Mund, der Trob und Ironie aus-
drückt. Ein altmodischer, schwarzer Frack schlottert um
die unheimliche Gestalt, die sich jefet in seltsam eckigen
Bewegungen vor dem Publikum verneigt. Eine wunder-
bare Mischung von Tragischem und Komischem, von ern-
stem Leid und diabolischer Bosheit vereinigt sich in die-
sem Menschen, dessen Anblick die Lachmuskeln der Menge
reizt und sie doch in atemberaubender Beklemmung fesselt.
Sowie er die Geige anseht, kommt Leben in die zuvor
starre Gestalt. Beim Spiel ist der rechte Fufj vorgeschoben
und gibt bei bewegten Passagen heftig den Takt an. Bei
schwierigen Stellen bildet sein Körper eine Art Dreieck,
da sich der Leib dann übermäßig einbiegt, während Kopf
und der rechte Fu| vorstehen. Er wirkt so völlig als Kari-
katur, die der Hörer Lachen herausfordert, wenn nicht
der unheimliche Ernst in seinen Gesichtszügen ihn erstarren
lie^e. Seltsam, wenn er scheinbar verfehlte Passagen
zwei-, drei-, ja viermal wiederholt, bis er den höchsten
Flageoletton endlich erhascht, ihn dann förmlich züchtigt
und zum Instrument hinauspeitschf. Phantastisch, wenn er
wie im Zweikampf mit einem Unsichtbaren, ihn scharf ins
Auge fassend und in den leeren Raum hinausstarrend nach
einer überwundenen Schwierigkeit plöfelich mit Fu& und
Bogen ausfällt, als versehe er dem Gegner siegend einen
Hieb oder Stich, da£ der Bogen blitzschnell und schwirrend
durch die Luft saust! le länger Paganini spielte, desto
34
zwingender, ja dämonischer wurde seine Macht über die
Hörer, und als er zum Schlug in seinen Variationen auf
der G-Saite alle Register seines unheimlichen Könnens
anklingen liefe, brach im Saal ein Toben aus, das selbst die
enthusiastischsten Beifallsorgien seiner italienischen Tri-
umphe übertraf. Und wenn der Jüngling, der vor Beginn
des Konzerts seinen abergläubischen Landsmann wegen
seiner Teufelsgeschichte hatte verspotten wollen, dieses
jefet noch versucht hätte, so hätte er wohl vielen ebenso
Gesinnten predigen müssen.
Die Ereignisse des Abends fanden in der Presse be-
geisterten Widerhall. Die Berichterstatter wetteiferten ge-
radezu in der Verherrlichung des Künstlers, und auch sie
bemühten sich vergeblich, in allerhand mehr oder minder
phantastischen Märchen die Lösung dieser Wunder zu er-
gründen. Einer verstieg sich allen Ernstes zu der Behaup-
tung, er habe deutlich während der Hexenvariationen Sa-
tan in höchst eigener Person neben dem Geiger auf dem
Podium stehen sehen. Derartige Exaltiertheiten waren
natürlich dazu angetan, die an sich schon brennende Neu-
gier auf den unheimlichen Mann bei der Menge noch stär-
ker anzufachen. Obwohl Paganinis Konzerte in kurzen
Zwischenräumen aufeinander folgten, war es stets unmög-
lich, die Schar der Einlafe Heischenden auch nur annähernd
im Saal unterzubringen. Der Künstler war jefet in Wien
Mode geworden! Und was das zu bedeuten hat, kann nur
ein Kenner dieser wegen ihrer jäh auflodernden Augen-
blicksbegeisterung und ihres überschwänglichen Personen-
kultes berüchtigten Stadt ganz ermessen. Wo Paganini
selbst sich blicken liefe, war er stets umringt von einer
Schar lärmender Enthusiasten und liebestoller Weiber, und
wenn man seiner selbst nicht habhaft werden konnte, so
3* • 35
suchte man sieh wenigstens mit Nachbildungen und hr~
innerungszeichen an dem Vergötterten zu berauschen. In
jedem Schaufenster prangte sein Bild, jeder Gebrauchs-
gegenstand ward mit seinem Portrait geziert. Da gab
es Paganinis aus Zuckerguß, die Bäckerinnung kündigte
als neueste Delikatesse Paganini-Brefeeln an, in den Re-
staurants wiesen die Speisekarten nur noch Gerichte ä la
Paganini auf, die Brödchen präsentierten sich als „Paga-
ninisemmel" in Geigengestalt, und was der Torheiten
mehr waren. Die Mode natürlich stand ganz im Zeichen
dieses neuen Gottes. Da& die Damen Locken und halb-
offene Zöpfe nach seinem Vorbild trugen, gehörte je^t
zum guten Ton, auch die Hüte waren alle zugestuht ä la
Paganini, ja selbst die in Wien so beliebten Giraffenhand-
schuhe wurden treulos beiseite getan. Als der Urheber all
dieses Unheils eines Tages selbst in einem Handschuh-
laden ein ihm vorgelegtes Paar ä la Giraffe zurückwies:
„No, no, Signora, d'una altera bestia!" brachte man ihm
Handschuhe ä la Paganini, auf deren einem seine Geige, auf
dem anderen der Bogen zu sehen war. Der Paganini-
taumel verbreitete sich wie eine ansteckende Krankheit
über ganz Wien, die Wibblätter hatten fürstliche Zeiten,
und die Karikaturen aus dieser Zeit sind Legion. Doch
auch zu ernsten Lob- und Preisgesängen griff man in die
Harfen, und fast täglich erschienen neue Huldigungs-
gedichte der überschwänglichsten Art. Die populären Kon-
zerte von Straufj, Lanner und Ziehrer wiesen mit Vorliebe
Kompositionen über Paganinische Themen auf, und die
Vorstadttheater nufeten die günstige Konstellation aus
durch Aufführungen von Possen, deren Held der neue
Hexenmeister war. Paganini lieg alles ruhig über sich
ergehen, ja er leistete durch absichtlich zur Schau getra-
36
genes exaltiertes Wesen den seinen immer kühnere Sum-
men erkletternden Einnahmen nur förderlichen Märchen
noch Vorschub. Nur das immer wieder auftretende Ge-
rücht, er habe im Gefängnis gesessen, veranlagte ihn zu
einem öffentlichen Dementi, das aber in der wenig be-
stimmten Form seiner Abfassung kaum Glauben fand.
Nachdem Paganini in Wien innerhalb von vier Wochen
zwanzig eigene Konzerte veranstaltet und mehrfach bei
Hof gespielt hatte, wofür er „taxfrei" zum Kammervirtu-
osen ernannt und vom Kaiser mit einer goldenen Tabatiere
mit Namenszug in Brillanten beschenkt worden war, ver-
sammelte er noch ein leßtes Mal zu einem großen Ab-
schiedskonzert all seine Verehrer um sich. Für dieses hatte
er ein neues Konzert (Es-dur) komponiert und sich von
einem gewissen Panny eine große achtsäbige Orchester-
Sonate für die G-Saite „Der Seesturm" schreiben lassen,
die aber von der Kritik als „kleinliche Tonmalerei, die nicht
vor das Forum der Kunst gehört", abgelehnt wurde. Nur
die von Paganini selbst komponierten Schluß-Variationen
haften dem Stück schließlich beim Publikum einen Erfolg
erstritten.
Zur Erholung von den anstrengenden Wiener Wochen
begab sich Paganini zu mehrmonatlichem Aufenthalt nach
Karlsbad, um dann von hier aus seine Kunstfahrt durch
Deutschland anzutreten. Aber gleich die erste Station
Prag stand unter einem zwiefachen Unstern. Ein Teil
der Kritik fiel, gereizt durch die übertriebenen Wiener Be-
richte, gehässig über ihn her und suchte ihn als Charlatan
zu entlarven. Da diese „vergifteten Prager Zeilungs-
artikel", wie Paganini sie einmal nennt, in fast alle grö-
ßeren Blätter Deutschlands übergingen, bereiteten sie dem
Künstler viel Verdruß, und begeistert stimmte er daher
37
dem Plan eines neugewonnenen Verehrers, des Prager
Professors Schottky, bei, der es unternehmen wollte, seine
Biographie zu schreiben und ihn gegen alle derartigen
Anwürfe zu verteidigen. Zu dem Ärger über diesen
Skandal, der auch auf den Besuch seiner Konzerte sehr
ungünstig eingewirkt, kam noch eine mehrwöchentliche,
schmerzhafte Erkrankung. Eine schlecht, oder, wie Paga-
nini schreibt, „eselhaft" ausgeführte Zahnoperation führte
zu einer Entzündung des Unterkiefers, bei der er die
ganze untere Zahnreihe einbüßte; des Unheils nicht ge-
nug, trat noch eine Kehlkopfentzündung hinzu, die zwar
nach langwieriger Behandlung nachzulassen begann, sich
aber zu einem immer heftiger wiederkehrenden chroni-
schen Leiden entwickelte. Endlich, zu Beginn des neuen
Jahres (1829), war er wieder soweit hergestellt, daß er seine
Reise fortsehen konnte. Über Dresden und Leipzig,
wo aber wegen unbilliger Forderung der Konzertdirektion
das Konzert in lefeter Stunde unterblieb, wandte er sich
sofort der preußischen Residenz zu. liier hatte ihm Meyer -
beer, den er vor Jahren in Oberitalien zum Freund ge-
wonnen, bereits die Wege geebnet, namentlich den Hof
und die Gesellschaft für ihn günstig gestimmt. Auf sein
Gesuch an den König, dessen Dringlichkeit er mit den Wor-
ten begründete: „Mein schlechter Gesundheitszustand
zwingt mich, die Zeit zu nüfeen, da mir meine Leiden nur
Augenblicke des Waffenstillstands bewilligen," wurde ihm
für sein Konzert das Opernhaus überlassen. Der Erfolg
übertraf die kühnsten Erwartungen. Mit den Worten: „Ich
bin von neuem in Wien," kennzeichnete Paganini selbst am
treffendsten die Situation. „Zum erstenmal," schreibt er
in jenen Tagen an seinen italienischen Freund Germi, „fand
ich im frostigen Berlin eine Theaterdirektion, Virtuosen
38
usw., die sich anständig und zuvorkommend benahmen,
worüber ich sehr überrascht und dankerfüllt bin. Die
Feinde Spontinis und Meyerbeers waren von Anfang an
natürlich auch die meinigen, noch ehe sie mich gehört.
Sie zeigten sich sogar im Konzertsaal feindselig, doch
schon nach 25 Takten begannen sie, ganz ohne es zu mer-
ken, enthusiastisch zu applaudieren. Die Begeisterung
wurde derart, da& ich kaum weiterspielen konnte. Ich bin
jefet im Begriff, als Überraschung für den König Variationen
über die Nationalhymne zu komponieren. Ich amüsiere
mich hier sehr, namentlich in der großen Oper, von deren
Güte man sich, wenn man nicht dabei war, keinen Begriff
machen kann. Spontini und Meyerbeer haben mich mit
Liebenswürdigkeiten überhäuft und mir, wo sie nur
konnten, geholfen." Der Erfolg Paganinis in Berlin war
so ungeheuer, da| er seinen Plan, sich sofort von dort
nach London zu begeben, aufgab und immer neue Kon-
zerte ankündigte, in deren jedem der Taumel der Hörer
noch um einige Grade zunahm. Die Wiener Narrheiten
wurden hier wenn möglich noch überboten. Doch nicht
nur die Menge, auch die ernste Musikkritik leistete dem
Künstler begeistert Gefolgschaft. So schreibt Rellstab,
Berlins angesehenster Referent: „Ich habe es gehört, aber
ich glaube es doch nicht. Alle gro|en Geiger sind
etwas, haben einen Stil, man kann ihnen folgen und der
gewaltige Spohr, der sü&e Polledro, der feurige Lipinski,
der elegante Lafont haben mir blo& Bewunderung abge-
lockt. Paganini aber ist nicht er selbst, er ist Lust, Hohn,
Wahnsinn und glühender Schmerz, bald dies und jenes;
die Töne sind ihm nur Mittel, sich auszusprechen, und selbst
die Rührung, die er bereitet, zerstört er im Augenblick
durch grelle, unschöne Striche, durch freche, unpassende
39
Capricios. Er krafei und schabt manchmal ganz uner-
wartet, wie wenn er sich schämte, einem weichen, edlen Ge-
fühle soeben gehuldigt zu haben,und im Augenblick, wo man
sich unwillig abwenden möchte, hat er deine Seele schon
wieder mit einem goldenen Faden umschlungen und droht
sie dir aus dem Leibe zu ziehen. In der Tat, Paganini
leistet das Unglaubliche. Er überwindet keine Schwierig-
keiten, denn für ihn gibt es keine, Doppelgriffe sind ihm
Kinderspiel, er macht sie nur, um auszuruhen, aber drei-,
vierstimmig spielen, das gilt etwas. Zweistimmige Säfee
pizzicato und zugleich eine Melodie mit dem Bogen spie-
len, das ist so eines von den kleinen Zauberstückchen
dieses Hexenmeisters. Das Publikum fing an mitzuspielen.
Einzelne Seufzer und Atemzüge des Bogens (denn anders
kann man es nicht nennen) wurden mit dumpfem Gemurmel
von tausend Menschen begleitet, man vernahm sonst keine
Regung. Als er endlich in Flüstertönen die Melodie wie-
der brachte, war es, wie wenn er allein im Saale wäre;
jeder hielt den Atem an, aus Furcht, dem Geiger könnte
die Luft ausgehen. Wie nun aber endlich der Schlu&iriller
kam, da brach der Jubel durch. Die Damen legten sich
über die Brüstungen der Gallerie heraus, um zu zeigen,
da& sie applaudierten; die Männer stiegen auf die Stühle,
um ihn zu sehen und ihm zuzuschreien; ich habe die Ber-
liner noch nie so gesehen. Man brachte ihm einen Pelz,
er hüllte sich, blaf$ wie der Tod, hinein, trocknete sich den
Schweif von der Stirn und sank förmlich in einen Stuhl."—
Den königlichen Hof verpflichtete sich Paganini durch
ein zugunsten der von Überschwemmungen heimgesuchten
Stadt Danzig veranstaltetes Wohltätigkeitskonzert, in dem
er in Anwesenheit des Monarchen seine neuen Variationen
über „Heil Dir im Siegerkranz" vortrug. Friedrich Wil-
40
heim stellte ihm daraufhin für sein Abschiedskonzert das
Opernhaus unentgeltlich zur Verfügung und übersandte ihm
nachstehendes Handschreiben: J'ai resolu de vous donner
avant Votre depari de ma capitale une margue de la
satisfaction gue j'ai eprouvee en assistant ä vos concerts.
La nature Vous a departi un rare talent gue Vous avez
cultive avec un esprit original. Les sons gue Vous tirez
de guelgues cordes vont ä l'äme et excitent dans le coeur
de vos auditeurs les emoiions les plus rares. Je Vous ai
nomme mon premier Maitre de concert honoraire et Vous
autorise ä porter ce iitre." Willkommener als diese wenig
bedeutende „Ernennung" wäre Paganini ein — Orden ge-
wesen! Mehrere Wochen, nachdem er Berlin verlassen
hatte, wandte er sich an den Fürsten Radziwill mit der
Bitte, ihm diese Auszeichnung nachträglich noch auszu-
wirken. „Es ist nicht Eitelkeit," schreibt er, „was mich
hierzu drängt, aber ich weifj deren Wert zu schälen, wenn
sie aus den Händen eines so großen Herrschers kommt,
und sie scheint mir die beste Antwort zu sein für diejeni-
gen, die nicht aufhören, Betrügereien zu erfinden, um mein
Leben zu verleumden. Meine Ehre und Ruhe sind also in
Ihrer Hand, und Ihre Freundlichkeit allein kann mir die
grö|te aller Tröstungen verschaffen."
Das zu des Künstlers Verdruß leider erfolglos ge-
bliebene Bittgesuch, das weniger der Eitelkeit als dem
Geschäftssinn entsprungen war, deckt sich ganz mit einer
Lebensregel, die Paganini in jenen Tagen seinem einzigen
Schüler, dem neapolitanischen Cellisten C i a n d e 1 1 i ,
einschärfte. „Ich schicke Ihnen hier die Empfehlungsbriefe
für Mailand," schreibt er ihm, „und werde mein Möglichstes
für Sie tun. Aber Sie dürfen nun nicht glauben, da£ dies
genügt, sondern müssen sich selbst weiterhelfen. Sich
41
Gott vertrauen, ohne selbst mehr zu tun, ist gefährlich, da
Gott uns eifrig zu sehen wünscht. Es gehört sich also in
unserem Metier für einen Anfänger, sich äußerst tätig und
gewandt zu zeigen, sich im richtigen Augenlick Empfeh-
lungen zu verschaffen, viele Treppen zu steigen und, wenn
es nötig ist und man es ohne Gemeinheit tun kann, manches
zu schlucken. Man mufj Hindernisse voraussehen und ge-
schickt sondieren, um die Fallen der vielen „gentlemen",
mit denen man stets zu tun hat, zu meiden. Kurz: es ge-
nügt nicht, da& man spielen kann, man mu| auch in der
Welt auftreten können, d. h. man mu& Lebenskünstler
sein." Er selbst war einer der größten Lebenskünstler
aller Zeiten, und ein gut Teil der glänzenden äußeren
Triumphe seiner Kunstfahrten sind der sehr geschickten
Aufmachung und Ausnutzung aller gegebenen Faktoren und
Konstellationen gut zu schreiben.
Nachdem sich Paganini die Hauptstadt des Nordens
Untertan gemacht, durchstreifte er zwei Jahre lang in die
Kreuz und Quer das deutsche Land, und es gibt kaum ein
millelgro&es Städtchen innerhalb der deutschen Grenz-
pfähle, deren Bewohner er nicht vorübergehend in Er-
regung verseht hätte. Bei diesen Fahrten, die stets im
Reisewagen zurückgelegt werden mußten, litt der an das
wärmere Klima Italiens gewöhnte kränkliche Mann un-
sagbar unter Kälte. Die Kutsche mu|te daher stets dicht
verschlossen sein, er selbst lehnte in einer Ecke, auch im
heißesten Hochsommer in dichte Pelze gehüllt, schlief oder
unterhielt sich angeregt mit dem ihn meist begleitenden
bezahlten Impresario. Für die Naturschönheiten der Um-
gebung hatte er durchaus keinen Sinn und würdigte die
herrlichsten Gegenden auf der Durchfahrt kaum eines
Blickes. Sein ganzes Reisegepäck bestand aus einem
42
großen, recht abgenufefen Geigenkasten, der gleichzeitig
als Geldbüchse und zur Aufbewahrung der Leibwäsche
diente, einer Handtasche und einer Hutschachtel. C'est
tout! In einem Jahreskalenderbuch pflegte er unter dem
betreffenden Datum den Namen der Stadt einzutragen, in
der er zu spielen beabsichtigte, und später den Ertrag des
Konzertabends in preu|ischen Talern beizufügen. Größere
Abrechnungen und dergleichen vermerkte er dagegen in
einem roten Notizbuch, das er ständig bei sich führte und
vor jedermann geheim hielt. In dieses Buch, von dessen
geheimnisvollem Inhalt man wilde Märchen erzählte, trug
er alle größeren Einnahmen und Ausgaben, Besorgungen,
Notizen, Briefentwürfe, Adressen, kurz alles mögliche in
anscheinend wirrem Durcheinander ein, sodaß es für einen
Uneingeweihten kaum entzifferbar schien. Bei näherem
Zusehen erkennt man jedoch bald, daß die Hieroglyphen
sich leicht enträtseln, wenn man nur einige Seiten über-
schlägt, da nach einem ganz regelmäßigen System die
verschiedensten Eintragungen mit überspringen mehrerer
Seiten ineinander eingefügt sind. Diese dürftigen Uten-
silien bildeten die gesamte Ausrüstung des herumziehen-
den „Königs der Geiger". War Paganini an seinem Be-
stimmungsort angelangt, so stieg er in irgendeinem nicht
zu teueren Gasthof ab. Komfort verlangte er nicht, und es
war ihm ganz gleichgültig, ob er eine einfache Dachkammer
oder ein Prunkgemach bezog. Nur möglichst ruhig ge-
legen sollte das Zimmer sein, am liebsten nach einem stillen
Hof hinaus.. Ähnlich anspruchslos war er bei den Freuden
der Tafel. „Wenig essen und trinken hat noch niemand
geschadet," war hierbei sein Leitspruch. Vormittags blieb
er meist nüchtern oder trank höchstens, wenn er den Tag
über reisen mußte, eine Tasse Schokolade, auch die
43
Abendmahlzeit bestand regelmäßig aus wenigen leichten
Speisen, oft nur aus einer Tasse Kamillentee. An Konzert-
tagen befand er sich häufig in seltsamer Erregung. Er
schlief tief in den Tag hinein, bis er sich zur Probe be-
geben mußte. Üben hat ihn nie ein Mensch gehört. Im
Konzertsaal versicherte er sich vor Beginn der Probe per-
sönlich, daß sich auch nirgends Zuhörer verborgen hätten,
und konnte er deren Anwesenheit nicht hindern, so mar-
kierte er nur vereinzelte Stellen. Mit dem Orchester ver-
fuhr er peinlich genau und ließ des geringsten Fehlers
wegen ein Stück wiederholen. Nicht selten, wenn etwas
nicht gehen wollte, kam es zu leidenschaftlichen Wutaus-
brüchen und italienischen Schimpfworten, war er dagegen
befriedigt, so kargte er auch nicht mit seinem Lob. „Bravis-
simo! Siete iutti virtuosi!" Die Forte-Stellen konnten
ihm nicht kräftig genug gebracht werden, und sein „Parlez
donc plus haut! Courage, Messieurs!" klang häufig da-
zwischen. Hatte er eine Solostelle, auf die sich natürlich
die Orchesterleute gespißt hatten, so warf er meist bloß
wenige Noten hin und sagte lächelnd: „Et cetera, Mes-
sieurs." Jeder Effekt sollte für den Konzertabend selbst
aufgespart bleiben. Überall, wo Paganini auftrat, waren
die Billetpreise auf den zwei- bis dreifachen Betrag erhöht,
der billigste Plaß kostete bei seinen Konzerten in Deutsch-
land nie unter zwei Taler, ein für damalige Zeit abnormer
Preis. Meist waren die Säle troßdem überfüllt. Seine erste
Frage, wenn er das Haus am Abend betrat, war, ob der
Saal gut beseßt sei, und wenn die Antwort bejahend aus-
fiel, murmelte er: „Allons, allons, ce sont de braves gens";
wenn nicht, so wurde er leicht nervös und es konnte zu
Wutausbrüchen kommen. So hat er eines Abends, wie
Berlioz erzählt, aus Ärger über einen schwach beseßten
44
Saal den Spiegel im Foyer des Theaters zerschlagen. Um
die Neugier des Publikums zu reizen, ließ er gewöhnlieh,
nachdem die vorangehende Nummer, für die er übrigens
mit Vorliebe eine der von ihm so sehr verehrten Sympho-
nieen Beethovens bestimmte, verklungen war, eine Zeit-
lang auf sein Erscheinen warten. Sein Spiel griff ihn meist
sehr an. „Wenn ich das Podium betrete," schreibt Paga-
nini einmal, „bin ich ein ganz anderer Mensch. Es über-
fällt mich ein Ernst, den ich nicht zu bemeistern weiß, bis
die Töne endlich mich fortziehen, denen ich dann willenlos
folgen möchte." Nach Beendigung eines großen Konzert-
stückes zeigt er ganz ähnliche Symptome, wie ein Mensch,
der einen Anfall von Epilepsie hatte; er ist leichenblaß,
seine feuchte und kalte Haut ist mit Schweiß bedeckt, man
fühlt kaum seinen Puls, und seine Augen starren wie
geistesabwesend ins Leere. Erst allmählich erholt er sich
wieder. Der Künstler war natürlich nicht an allen Aben-
den gleich gut disponiert. Es mißlang ihm dann mancherlei.
„Wäre ich in Paris," pflegte er dann zu sagen, „so würde
ich heute meinen Bogen nicht anrühren." Meist spielte er
sich aber auch an solchen Tagen rasch in Feuer. Dem
Urteil des Publikums und der Kritik legte er großes Ge-
wicht bei, er sammelte auf das Sorgfältigste alles, was
über ihn geschrieben wurde, und ließ sich, da er außer
italienisch nur die französische Sprache beherrschte, jedes
Wort, das er nicht verstand, genau übersehen. Und begeg-
nete er der Menge als ganzes, als Publikum, naturgemäß
verbindlich, so sah er mit grenzenloser Verachtung auf den
einzelnen Mann des Volkes herab. „Que me veut cet
animal?" war sein Ausdruck, wenn sich jemand an ihn
wandte. Untergebene behandelte er sehr schlecht, war er
z. B. mit seinem Postillon zufrieden, so beschränkte sich
45
sein Lob auf die höfliche Konsiatierung: „Das Rindvieh
fährt gut," und wagte gar jemand für geleistete Dienste
ein Trinkgeld zu fordern, so sefete es italienische Kraft-
ausdrücke schlimmster Sorte.
Von rührender Hingabe und Geduld war Paganini da-
gegen im Verkehr mit seinem Söhnchen Achille, von dem er
sich nie trennte, und der ihn auf allen Reisen begleitete.
„Der kleine Achille wird täglich schöner, er gefällt jeder-
mann, die Damen reiben sich um ihn. Er ist mein Trost
und mein ganzes Glück," hei&t es in einem Brief des stolzen
Vaters aus Wien. Wenn man in Paganinis Zimmer eintrat,
in dem stets die genialste Unordnung herrschte, sah man
Achille mitten zwischen den verschiedenartigsten Spiel-
zeugen sifeen, die der Vater mit rührender Sorgfalt für
ihn aufgestöbert, und wenn man Glück hatte, so konnte
man eine urdrollige Szene erleben: Paganini in Pantoffeln,
eine schwarzseidene Schlafmü&e auf dem Kopf, eine lange
braune Hausjacke um die Schultern und eine gelbe Hals-
binde lose um den Hals geschlungen, übte sich mit dem
Kleinen, der ihm kaum bis an die Kniee reichte, im Fechten.
Achille ging mit seinem großen Säbel auf den Vater los,
dieser wich immer weiter zurück, ihn unter Lachen be-
schwörend: „Halt ein, Liebling, ich bin schon verwundet."
Doch der ließ nicht eher ab, bis er seinen riesengroßen
Gegner wanken und aufs Bett niederfallen sah. Paganini
erlaubte nicht, daß ein anderer den Kleinen wusch oder
ankleidete. Er tat dies stets selbst. Aber Achille war sehr
wasserscheu, und da seßte es manchen Strauß. Doch ver-
lor sein Vater nie die Geduld und wurde nie böse, er
bat ihn inständig, überhäufte ihn mit Liebkosungen und
Süßigkeiten und erreichte auf diese Weise endlich sein
Ziel. Er ließ den Knaben ganz frei aufwachsen, wie es ihm
46
gefiel. Als ihn eines Tages ein Freund gerade während
Achilles Toilette zur Probe abholen kam, klagte er: „Das
arme Kind langweilt sich; ich weil nicht, was ich tun soll,
ich bin schon ganz erschöpft durch das viele Spielen mit
ihm. Ich habe den ganzen Morgen mit ihm gefochten; ich
trug ihn herum, machte ihm Schokolade, doch jefet wei& ich
nichts Neues mehr mit ihm anzustellen." Als Achille endlich
mühsam zurechtgemacht war, wollte der Vater in aller Eile
seine eigene Toilette beenden. Doch seine sämtlichen Klei-
dungsstücke waren verschwunden. An der Miene des Klei-
nen, der vergnüglich seinen Vater mit langen Schritten
suchend im Zimmer herumsteigen sah, merkte er, was los
war. Doch auf seine Frage: „Wo hast du meine Sachen
hingeschafft?" tut der kleine Strick, als wü&te er von nichts.
Nach langem Suchen finden sich endlich die Stiefel, unter
dem Bettkissen versteckt, die Cravatte in einem anderen
Kissen, der Rock im Koffer und die Weste in der Tischschub-
lade. ImTriumph zogPaganini jedesmal das gefundene Stück
an und ging, nachdem er eine Prise Tabak genommen, von
neuem eifrig ans Suchen, stets in Begleitung von Achille,
dem es einen diebischen Spafe machte, den Herrn Papa
immer da suchen zu sehen, wo nichts versteckt war. End-
lich war alles aufgestöbert, und der Künstler konnte sich in
die Probe begeben. Mit sieben Jahren sprach Achille be-
reits fließend italienisch, französisch und deutsch, soda& er
dem Vater Dolmetscherdienste zu leisten vermochte. „Mein
lieber Achille," schreibt dieser anDonizetti, „ist meine größte
Freude. Er entwickelt sich prächtig an Schönheit und
Talent; er spricht schon tadellos Deutsch und dient mir als
Ubersefeer. Er liebt mich zärtlich und ich, ich vergöttere ihn."
Die Triumphe Paganinis in deutschen Landen zeigen
fast überall das gleiche Gesicht. Abgesehen von dem
47
äußeren Blendwerk seines Viriuosentums, wurde man
auch seinem Künstlerium hier am ehesten gerecht, und ge-
rade aus diesen Jahren besifeen wir die zuverlässigsten
Schilderungen seiner Persönlichkeit. Ein durch eine Er-
krankung Achilles auf mehrereMonate ausgedehnter Aufent-
halt in Frankfurt a. Main gab dem dortigen Kapellmeister
Guhr Gelegenheit, Paganinis Spiel und Technik eingehend
zu beobachten und in einer längeren Abhandlung uns ein
getreues Bild dieser Hexenkünste festzuhalten, während
wir seinen Hamburger Konzerten eine farbenprächtige
Vision aus der Feder Heinrich Heines verdanken, die mit
zu dem Besten zählt, was über Paganini je geschrieben
wurde:
„Ich glaube, es ist nur einem einzigen Menschen ge-
lungen, die wahre Physiognomie Paganinis aufs Papier
zu bringen; es ist ein tauber Maler, Namens Lyser, der in
seiner geistreichen Tollheit mit wenigen Kreidestrichen den
Kopf Paganinis so gut getroffen hat, daf; man ob der
Wahrheit der Zeichnung zugleich lacht und erschrickt. Nur
in grell schwarzen, flüchtigen Strichen konnten jene fabel-
haften Züge erfa|t werden, die mehr dem schweflichten
Schattenreich als der sonnigen Lebenswelt zu gehören
scheinen. „Wahrhaftig, der Teufel hat mir die Hand ge-
führt," beteuerte mir der taube Maler, als wir zu Hamburg
vor dem Alsterpavillon standen, an dem Tage, wo Paganini
dort sein erstes Konzert gab. „Ja, mein Freund," fuhr er
fort, „es ist wahr, was die ganze Welt behauptet, da& er
sich dem Teufel verschrieben hat, Leib und Seele, um der
beste Violonist zu werden, um Millionen zu erfiedeln, und
zunächst, um von der verdammten Galeere loszukommen,
wo er schon viele Jahre geschmachtet. Denn, sehen Sie,
Freund, als er zu Lucca Kapellmeister war, verliebte er sich
48
in eine Theaterprinzessin, ward eifersüchtig auf irgend
einen kleinen Abbate, ward vielleicht cocu, erstach auf gut
italienisch seine ungetreue Amata, kam auf die Galeere zu
Genua und, wie gesagt, verschrieb sich endlich dem Teufel,
um loszukommen, um der beste Violinspieler zu werden,
und um jedem von uns diesen Abend eine Brandschafeung
von zwei Talern auferlegen zu können .... Aber, sehen
Sie, alle guten Geister loben Gott! sehen Sie, dort in der
Allee kommt er selber mit seinem zweideutigen Famulol"
In der Tat, es war Paganini selber, den ich alsbald zu
Gesicht bekam. Er trug einen dunkelgrauen Oberrock, der
ihm bis zu den Füfjen reichte, wodurch seine Gestalt sehr
hoch zu sein schien. Das lange schwarze Haar fiel in ver-
zerrten Locken auf seine Schultern herab und bildete wie
einen dunklen Rahmen um das blasse leichenartige Gesicht,
worauf Kummer, Genie und Hölle ihre unverwüstlichen
Zeichen eingegraben hatten. Neben ihm tänzelte eine
niedrige, behagliche Figur, pufeig prosaisch: rosig ver-
runzeltes Gesicht, hellgraues Röckchen mit Stahlknöpfen,
unausstehlich freundlich nach allen Seiten hingrü|end, mit-
unter aber voll besorglicher Scheu nach der düstern Ge-
stalt hinaufschielend, die ihm ernst und nachdenklich zur
Seite wandelte. Man glaubte das Bild von Refesch zu sehen,
wo Faust mit Wagner vor den Toren Leipzigs spazieren
geht. Der taube Maler kommentierte mir aber die beiden
Gestalten in seiner tollen Weise, und machte mich beson-
ders aufmerksam auf den gemessenen breiten Gang des
Paganini. „Ist es nicht," sagte er, „als trüge er noch immer
die eiserne Querstange zwischen den Beinen? Er hat sich
nun einmal diesen Gang auf immer angewöhnt. Sehen
Sie auch, wie verächtlich ironisch er auf seinen Begleiter
manchmal hinabschaut, wenn dieser ihm mit seinen prosai-
schen Fragen lästig wird; er kann ihn aber nicht entbehren,
1 40
4 Kapp, Paganini. ^ '
ein blutiger Kontrakt bindet ihn an diesen Diener, der eben
kein anderer ist als Satan. Das unwissende Volk meint
freilieh, dieser Begleiter sei der Komödien- und Anek-
dotenschreiber Harrys aus Hannover, den Paganini auf
Reisen mitgenommen habe, um die Geldgeschäfte bei sei-
nen Konzerten zu verwalten. Das Volk wei| nicht, da& der
Teufel dem Herrn Georg Harrys blo£ seine Gestalt abge-
borgt hat, und dafj die arme Seele dieses armen Menschen
unterdessen neben anderem Lumpenkram in einem Kasten
zu Hannover so lange eingesperrt sifet, bis der Teufel ihr
wieder ihre Fleisch-Enveloppe zurückgibt, und er vielleicht
seinen Meister Paganini in einer würdigeren Gestalt, näm-
lich als schwarzer Pudel, durch die Welt begleiten wird."
War mir aber Paganini, als ich ihn am hellen Mittag
unter den grünen Bäumen des Hamburger Jungfernstiegs
einherwandeln sah, schon hinlänglich fabelhaft und aben-
teuerlich erschienen: wie mu&te mich erst des Abends im
Konzert seine schauerlich bizarre Erscheinung über-
raschen. Das Hamburger Komödienhaus war der Schau-
plajs dieses Konzertes, und das kunstliebende Publikum
hatte sich schon früh und in solcher Anzahl eingefunden,
dafs ich kaum noch ein Pläfechen für mich am Orchester er-
kämpfte, jedes Auge war nach der Bühne gerichtet. Jedes
Ohr rüstete sich zum Hören. Mein Nachbar, ein Pelz-
makler, nahm seine schmufeige Baumwolle aus den Ohren,
um bald die kostbaren Töne, die zwei Taler Entreegeld
kosteten, besser einsaugen zu können. Endlich aber, auf
der Bühne kam eine dunkle Gestalt zum Vorschein, die der
Unterwelt entstiegen zu sein schien. Das war Paganini in
seiner schwarzen Gala: der schwarze Frack und die
schwarze Weste von einem entsefelichen Zuschnitt, wie er
vielleicht am Hofe Proserpinens von der höllischen Etikette
vorgeschrieben ist; die schwarzen Hosen ängstlich schlot-
50
ternd um die dünnen Beine. Die langen Arme schienen noch
verlängert, indem er in der einen Hand die Violine und in
der anderen den Bogen gesenkt hielt und damit fast die
Erde berührte, als er vor dem Publikum seine unerhörten
Verbeugungen auskramte. In den eckigen Krümmungen
seines Leibes lag eine schauerliche Hölzernheit und zu-
gleich etwas närrisch Tierisches, dafj uns bei diesen Ver-
beugungen eine sonderbare Lachlust anwandeln mu|te;
aber sein Gesicht, das durch die grelle Orchesterbeleuch-
tung noch leichenartig weiter erschien, hatte alsdann so
etwas Flehendes, so etwas blödsinnig Demütiges, da& ein
grauenhaftes Mitleid unsre Lachlust niederdrückte. Hat er
diese Komplimente einem Automaten abgelernt oder einem
Hunde? Ist dieser bittende Blick der eines Todkranken,
oder lauert dahinter der Spott eines schlauen Geizhalses?
Ist das ein Lebender, der im Verscheiden begriffen ist und
der das Publikum in der Kunst-Arena, wie ein sterbender
Fechter, mit seinen Zuckungen ergöfeen soll? Oder ist es
ein Toter, der aus dem Grabe gestiegen, ein Vampyr mit
der Violine, der uns, wo nicht das Blut aus dem Herzen,
doch auf jeden Fall das Geld aus den Taschen saugt?
Solche Fragen kreuzten sich in unserem Kopfe, wäh-
rend Paganini seine unaufhörlichen Komplimente schnitt;
aber alle dergleichen Gedanken mußten stracks verstum-
men, als der wunderbare Meister seine Violine ans Kinn
sefete und zu spielen begann." — — —
Auf dieser Fahrt durch Deutschland ging auch Paga-
ninis sehnlicher Wunsch nach einer höheren äu|eren Aus-
zeichnung in Erfüllung. Vom westfälischen Hofe wurde
ihm der Titel eines Barons und Comturs verliehen, und
stolz tragen seine Visitenkarten (lila mit Goldrand) jefet die
Aufschrift: „Le Baron N. Paganini. Commandern" et Cheva-
lier de plusieurs ordres."
4* 51
V.
An der Seine und Themse
Als Paganini in Paris erschien, stand dort in allen
Gebieten des kulturellen und sozialen Lebens das Ba-
rometer auf Sturm. Der Kampf der Romantik gegen die
Gesefee und Fesseln der klassischen Richtung tobte in allen
Zweigen der Kunst. Die Julirevolution hatte überall die
jungen Brauseköpfe aufgereizt und ihrem kühnen, in gött-
licher Frechheit über alle herkömmlichen Schranken dahin-
stürmenden Wollen den Weg freigemacht. Alle Bande
waren gesprengt, der entfesselten Phantasie gehörte das
Feld. Auf eine Kunstepoche, die in akademisch-klassi-
schen Doktrinen zu erstarren drohte, folgte jefet als Re-
aktion eine Zeit wildesten Uberschwalls, radikalster Neu-
erungssucht. Je toller, verblüffender, desto besser! Ehe
sich aus diesem genieschwangeren Tasten und Suchen eine
neue, in sichere Bahnen geleitete moderne Kunst heraus-
schälen konnte, feierte sie eine ausgelassene Walpurgis-
nacht, vor der sich die Anhänger der alten Schule scheu
bekreuzigten, der aber das grofee Publikum, dem dieser
kraftvolle Frühjahrssturm ein wohliges Gruseln, eine ner-
venkifeelnde Spannung schuf, willig, wenn auch meist ohne
tieferes Verständnis, Gefolgschaft leistete.
52
Es lä&l sich daher leicht nachfühlen, welche Sensation
in dem in solcher Gärung befindlichen Paris die Ankündi-
gung einer Erscheinung wie der Paganinis hervorrufen
mu&le, von deren unerhörten, noch nie dagewesenen Neu-
erungen man auch hier wahre Wunderdinge vernommen,
die man längst mit fieberhafter Spannung herbeigewünscht
hatte. Endlich, nachdem die Zeitungen schon so häufig
das falsche Gerücht seiner Ankunft verbreitet hatten, traf
er Ende Februar 1831 in der Seine-Stadt ein. Trofe drei-
fach erhöhter Eintrittspreise vermochte der gro&e Saal des
Opernhauses die Zahl der Besucher an seinem ersten
Konzertabend nicht zu fassen. „Es war eine göttliche, es
war eine diabolische Begeisterung," berichtet Ludwig
Boerne von diesem denkwürdigen Ereignis, „ich habe so
etwas in meinem Leben nicht gesehen noch gehört. Dieses
Volk ist verrückt und man wird es unter ihm. Sie horch-
ten auf, dag ihnen der Atem verging, und das notwendige
Klopfen des Herzens störte sie und machte sie böse. Als
er auf die Bühne trat, noch ehe er spielte, wurde er zum
Willkommen mit donnerndem Jubel empfangen. Und da
mu§te man diesen Todfeind aller Tanzkunst sehen, in der
Verlegenheit seines Körpersl Er schwankte umher wie ein
Betrunkener. Er gab seinen eigenen Beinen Fußtritte und
stiel sie vor sich hin. Die Arme schleuderte er bald him-
melwärts bald zur Erde hinab; dann streckte er sie nach
den Kulissen zu und flehte Himmel, Erde und Menschen
um Hilfe an in seiner großen Not. Dann blieb er wieder
stehen mit ausgebreiteten Armen und kreuzigte sich selbst.
Er war der prächtigste Tölpel, den die Natur erfinden kann,
er war zum Malen. Himmlisch hat er gespielt. In Frankfurt
halte er mir bei weitem nicht so gut gefallen; das machte
die Umgebung."
53
Unter der durch das Spiel des sagenumwobenen Ita-
lieners elektrisierten tobenden Menge sa& in einer Ecke
des Saales still in sich gekehrt ein schmächtiger, zwanzig-
jähriger Jüngling. Nur die feurig unter einer wüsten Haar-
mähne hervorfunkelnden Augen liefen die gewaltige Er-
regung erkennen, die sein Inneres durchwühlte und ihn am
liebsten hätte aufschreien lassen wie ein verwundetes Wild.
Weltentrückt starrte er auf jenen seltsamen Mann da vor
sich auf der Bühne, dessen Erscheinen ihm blifeartig den
eigenen Zukunftsweg, nach dem er seit lange tastend in
der Irre ging, erhellt hatte. Franz Liszt war es, in dem
diese schicksalsschwere Stunde den Virtuosen der Zukunft,
der einst sogar noch Paganinis Triumphe in den Schatten
stellen sollte, gebar. Des Geigers fabelhaftes Können ließ
ihn ahnen, welche Leistungsmöglichkeiten auch seinem In-
strument noch innewohnen müßten, und er, der sich schon
die ganze klavierspielende Welt Untertan gemacht, schwur
sich einen heiligen Eid, nicht eher zu rasten, als bis er in
seinem Kunstgebiet mindestens dem von Paganini Er-
reichten Ebenbürtiges geleistet. Mit Feuereifer ging er ans
Werk. Für jedermann unsichtbar sa& er, der schon als
Knabe keine technischen Schwierigkeiten mehr gekannt,
ganze Tage vor seinem Instrument und übte. „Entweder
ich werde närrisch oder der Künstler, den die Welt jefet
braucht," stand mit ehernen Lettern vor seinem geistigen
Auge. Paganinis kurz zuvor veröffentlichte „24 Capricci"
waren die Zauberfibel, an deren Geheimnissen er zum Zau-
berer reifen sollte. Bei dem Versuch, diese technischen
Wunder auf dem Klavier nachzuahmen, erschlossen sich Liszt
allmählich immer neue Wege, aus denen er sich schließlich
eine ganz eigene Technik des Klavierspiels gewann. So
war der größte Meister der Geige, ohne es zu ahnen, zum
54
Anreger und Lehrmeister des gewaltigsten Klaviertitanen
geworden.
Paganini gab in Paris hintereinander elf Konzerte,
die ihm zusammen über 160 000 Franken einbrachten. Wie
einst in Wien und Berlin, so verbreitete sich jefet auch über
Paris diese neueste Krankheit, die akut und sehr heftig
auftretende, unheimlich ansteckende „Paganinitis", eine
Epidemie, deren Verlauf glücklicherweise in den meisten
Fällen ungefährlich blieb und mit Entfernung des Bazillen-
trägers sofort erlosch. Weniger angenehm waren ihrem
Erreger die Begleiterscheinungen, die sich, wie bisher über-
all, so auch in Paris einstellten und zwar hier in einem so
heftigen Grade, daB Paganini es für gut befand, dagegen
Front zu machen. Er tat dies in einem offenen Brief an
den Herausgeber der Revue musicale, Professor Fetis:
„Das französische Publikum hat mich mit soviel Beweisen
seiner Bewunderung und mit solchen Beifallstürmen über-
schüttet, da| ich wohl oder übel glauben mufe, da§ ich in
meinen Konzerten nicht allzuviel hinter dem glanzvollen
Ruf, der, wie man sagt, mir nach Paris vorausgeeilt war,
zurückgeblieben bin. Hegte ich daran noch Zweifel, so
würden sie zerstreut durch die Emsigkeit, mit der die
Künstler meine Gestalt wiederzugeben sich bemühen, durch
die Unzahl von guten und schlechten Paganini-Porträts,
die Paris überschwemmen. Doch diese Geschäftsspeku-
lation begnügte sich nicht bei Porträts. Als ich gestern das
Boulevard des Italiens entlang ging, sah ich in einem
Schaufenster eine Lithographie: „Paganini im Ge-
tan g n i s". Gut, sagte ich mir, das sind halt die Dunkel-
männer, die eine Verleumdung, von der ich seit fünfzehn
lahren verfolgt werde, geschickt zu ihrem Vorteil auszu-
nüfeen suchen. Doch ich ging lächelnd heran, um mir die
55
Einzelheiten, mit denen die Phantasie des Zeichners diese
Mystifikation ausgestattet, zu betrachten. Da sah ich mich
plöfelich von einer großen Menschenmenge umringt, die
meine Gestalt mit der jenes Jünglings, der auf der Litho-
graphie wiedergegeben war, verglich und konstatierte,
da& ich mich seit der Zeit meiner Gefangenschaft stark
verändert habe. Da merkte ich erst, da& diese Tölpel die
Sache für ernst nahmen, und da& die Spekulation mit dem
Bild keine schlechte war. Die Herren Zeichner stellen mich
als Gefangenen dar, doch was mich ins Gefängnis gebracht
hat, wissen sie wohl ebensowenig, wie ich selbst und die
Erfinder dieser Anekdote. Hierfür gibt es mehrere Fas-
sungen, die alle als Vorlage für ein Bild dienen könnten!
Z. B. erzählt man sich, daß ich einen Nebenbuhler bei
meiner Geliebten ertappt und ihn tapfer von hinten, als er
sich nicht zur Wehr sefeen konnte, niedergestochen habe.
Andere wieder behaupten, da& ich meine wütende Eifer-
sucht an der Geliebten selbst gekühlt hätte, doch über die
Art und Weise, wie ich ihrem Leben ein Ende gemacht, ist
man sich nicht ganz einig. Die einen lassen mich zum
Dolch greifen, die anderen sie langsam mit Gift zu Tode
martern. Kurz, jeder lä&t da seine eigene Phantasie spie-
len, die Lithographen könnten es ja ebenso machen! Ich
selbst erlebte vor ungefähr 15 Jahren in Padua folgendes:
Am Tage nach einem erfolgreichen Konzert sefete ich
mich, ohne da& man mein Eintreten bemerkt hatte, an die
table d'hote. Einer der Gäste schwärmte in schmeichel-
haften Worten vom Eindruck des vergangenen Abends.
Sein Nachbar stimmte ihm begeistert bei, fügte aber hinzu:
„An der Geschicklichkeit Paganinis ist schließlich nichts
Verwunderliches, er verdankt sie seinem achtjährigen
Aufenthalt im Kerker, während dessen er eben nichts an-
56
deres hatte als seine Geige. Er war zu dieser langen Bu£e
verurteilt worden, weil er feige einen meiner Freunde, der
sein Nebenbuhler war, niedergestochen hatte." Alles be-
zeugte seinen Abscheu über das Verbrechen. Da wandte
ich mich an denjenigen, der meine Lebensgeschichte so
genau zu kennen schien, mit der Bitte, mir zu sagen, wo
und wann dieses Abenteuer sich abgespielt habe. Aller
Augen waren auf mich gerichtet, und das Erstaunen war
unbeschreiblich, als man in mir die Hauptperson dieser
tragischen Geschichte erkannte. Der Erzähler geriet in
arge Verlegenheit. Jefet war es schon nicht mehr sein
Freund, der ums Leben gekommen war; er hatte sagen
hören . . . man hatte ihm bestätigt ... er hatte geglaubt
. . . aber es wäre möglich, daB ein Irrtum vorliege usw. —
So spielt man mit dem guten Namen eines Künstlers, weil
die Alltagsmenschen in ihrer Faulheit es nicht fassen kön-
nen, da| er als freier Mann ebenso fleiBig geübt haben
könne, wie hinter SchloB und Riegel. In Wien stellte ein
noch lächerlicheres Gerücht die Leichtgläubigkeit der Ent-
husiasten auf die Probe. Ich hatte dort meine Variationen
Le Streghe (Die Hexen) mit groBem Effekt gespielt. Ein
Herr mit blassem Teint, melancholischem, seltsamem We-
sen versicherte, an meinem Spiel durchaus nichts Er-
staunliches gefunden zu haben: denn er habe deutlich
während der Hexenvariationen den Teufel neben mir
stehen und mir die Hand und den Bogen führen sehen.
Seine verblüffende Ähnlichkeit mit meinen eigenen Ge-
sichtszügen verrate deutlich meine Herkunft; er war rot ge-
kleidet, hatte Hörner auf der Stirn und einen Schwanz
zwischen den Beinen. Es ist klar, daB nach einer so ge-
nauen Beschreibung die Wahrheit des Gehörten auBer
Zweifel stand, und daB nunmehr viele Leute überzeugt
57
waren, hinter das Geheimnis meiner „Bravourleistungen"
gekommen zu sein. Lange Zeit beunruhigten mich der-
artige Gerüchte, und ich bemühte mich, sie als Unsinn zu
entlarven. Ich wies darauf hin, da& ich seit meinem vier-
zehnten Jahr ununterbrochen öffentlich in Konzerten mich
zeige, da| ich sechzehn Jahre lang als Kapellmeister am
Hofe zu Lucca angestellt war, und dafe im Falle der Rich-
tigkeit meine achtjährige Gefangenschaft wegen Tötung
meiner Geliebten oder meines Nebenbuhlers sofort hätte
bekannt werden müssen, oder ich bereits mit sieben
Jahren eine Geliebte gehabt haben müfete. Ich rief in Wien
das Zeugnis des italienischen Botschafters an, der erklärte,
mich seit ungefähr zwanzig Jahren als Ehrenmann zu ken-
nen, und brachte dadurch das Gerücht vorübergehend zum
Schweigen. Doch es bleibt bei solchen Dingen immer
etwas haften, und ich war daher nicht erstaunt, ihm hier
wieder zu begegnen. Was ist da nun zu tun? Ich sehe
keinen anderen Weg, als es geduldig über mich ergehen zu
lassen, da§ die Böswilligkeif der Menschen sich auf meine
Kosten gütlich tut. Ich halte es jedoch für meine Pflicht, zum
Schluß noch auf ein Ereignis hinzuweisen, das den über
mich umlaufenden beleidigenden Gerüchten Nahrung ge-
boten hat. Ein Violinist, namens Duranowski, liefe sich 1793
in Mailand von zwei üblen Kumpanen verleiten, eines
Nachts auf einen reichen Priester einen Mordanschlag aus-
zuführen. Zum Glück sank einem der Schuldigen kurz vor
der Tat der Mut und er denunzierte seine Helfershelfer.
Die Polizei lauerte Duranowski und seinem Komplizen am
Tatorte auf und verhaftete sie. Sie wurden zu 20 Jahren
schweren Kerkers verurteilt, aber der General Menou gab,
nachdem er Gouverneur von Mailand geworden, nach zwei
Jahren dem Künstler die Freiheit zurück. Auf dieser Grund-
58
läge, es ist kaum zu glauben, hat man die Geschichte über
mich erfunden. Es handelte sich um einen Geiger, dessen
Namen auf i endete, also war es Paganini. Da man sich
über jede Wahrscheinlichkeitsmöglichkeit glatt hinwegseht,
so bleibt mir nichts anderes übrig, als nachzugeben. Es
bleibt mir nur die eine Hoffnung, da§ nach meinem Tode
die Verleumdung ihr Opfer freilassen wird und dafe die,
die sich so grausam wegen meiner Triumphe an mir ge-
rächt, wenigstens meine Asche in Frieden lassen werden."
Dieser Appell an die Öffentlichkeit, der, soweit er sich
auf Tatsachen zu stüfeen sucht, durchaus unrichtige An-
gaben enthält, verhallte ungehört, und auch Paganinis lebte
Hoffnung, dafe nach seinem Tode all diese Gerüchte ver-
stummen würden, sollte nicht in Erfüllung gehen. Zu all
dem Gerede, das den Künstler reichlich ärgerte, gesellte
sich unerwartet noch ein Vorfall, der in Paris böses Blut
machte und die durch Paganinis Verteidigungsbrief etwas
herausgeforderte öffentliche Meinung gegen ihn heftig an-
schwellen liefe. Man hatte ihn aufgefordert, bei einem im
Opernhaus veranstalteten Wohltätigkeitsballfest mitzu-
wirken, und er hatte dies als seiner unwürdig abgelehnt.
Er wurde daher in den Zeitungen heftig angegriffen und
des Geizes und kaltherzigen Egoismus beschuldigt. Pa-
ganini suchte zwar sofort durch eine öffentliche Erklärung
den Entrüstungssturm zu bannen. „Einige Zeitungen ver-
künden," lautet seine Zuschrift an die Revue musicale,
„da| ich mich geweigert habe, bei einem von der National-
garde für den 11. April im Opernhaus vorbereiteten Ball-
fest zu Gunsten der Armen zu spielen. Ohne mich hier in
Erörterungen einzulassen, inwieweit es für einen Künstler
angängig oder überhaupt möglich wäre, sich mit oder ohne
Orchester an einer derartigen Veranstaltung zu beteiligen,
59
beschränke ich mich auf folgende Darlegungen, als ein-
ziger Antwort auf die gegen mich gerichteten Beschuldi-
gungen. Der Saal des Opernhauses stand mir für kom-
menden Sonntag zur Verfügung für eines meiner Konzerte,
und ich habe keinen Augenblick gezögert, ihn für die Vor-
bereitungen des Balls der Nationalgarde am folgenden Tag
freizugeben; dieser Verzicht bedeutet für mich ein Opfer
oder wenigstens den Aufschub einer Einnahme von 15- bis
20 000 Frcs. Ich füge noch hinzu, dafj ich es in Wien,
Berlin und allen Städten, in denen ich länger verweilte, für
meine Pflicht hielt, für die Armen zu spielen, und da(s ich
sicher gerade in Paris, wo man mich mit solchem Wohl-
wollen überhäufte, hiervon keine Ausnahme machen werde.
Ich bitte Sie daher, möglichst bald bekannt zu geben, da&
der Ertrag einer meiner nächsten Soireen in der Oper in
vollem Umfang für die Armen der Stadt bereitgestellt wird."
Dieses so angekündigte Wohltätigkeitskonzert fand auch
wenige Tage später statt, d. h. Paganini stellte die Ein-
nahme seines nächsten Konzertes, die übrigens die schlech-
teste von allen seinen Pariser Konzerten war, am Tag da-
nach wohltätigen Stiftungen zur Verfügung. Der Aufent-
halt in Paris war ihm durch all diese Streitigkeiten ziem-
lich verleidet, er brach ihn daher, früher als ursprünglich
geplant, ab, um noch den Schluß der Saison in London für
sich ausnützen zu können. Vor der Abreise richtete er an
den Dirigenten seiner Pariser Konzerte, Kapellmeister
Habenek, ein schmeichelhaftes Dankschreiben. „Ich will
Paris nicht verlassen," hei&t es darin, „ohne Ihnen meinen
Dank auszusprechen für die Mühe, die Sie auf die Leitung
meiner Konzerte verwandten und Ihr großes Talent, das mit
zu meinen Erfolgen beitrug. Man hatte mir das Orchester
der Pariser Oper sehr gerühmt, aber Sie und Ihre trefflichen
60
Leute haben meine Erwartungen weit übertroffen. Erst in
Paris fand ich das erste Orchester Europas, das mir meine
Musik so zu Gehör brachte, wie ich sie mir gedacht, und
das mich vollendet begleiten konnte."
Der Aufenthalt in London begann mit einem herben
Mi&klang. Der Direktor der italienischen Oper, ein ge-
wisser Laporle, figurierte als Paganinis Manager; er hatte
aber im Vertrauen auf die Neugier und Reklamesucht seiner
Landsleute den Bogen zu straff gespannt und für das erste
Konzert des italienischen Weltwunders auf englischem Bo-
den so unerhörte Preise angekündigt (sie schwankten zwi-
schen 262 Frcs. für eine Loge und 12,50 Frcs. für den
billigsten Einzelplatz), dag sich in der Presse ein Ent-
rüstungssturm erhob und das Publikum die Gefolgschaft
verweigerte. Paganini sagte daher „gesundheitshalber"
einen Tag vor dem fesigese&ten Termin das Konzert ab
und kündigte für wenige Tage später ein neues Konzert
zu normalen Preisen an. In einem Rundschreiben an die
Presse suchte er den üblen Eindruck seines verunglückten
Debüts zu verwischen und als Mi|verständnis hinzustellen:
„Die knappe Zeit, die mir vor dem angekündigten Konzert
im Kings Theatre zur Verfügung stand, erlaubte mir nicht,
mich um die Organisation selbst zu kümmern. In allen
Städten, in denen ich bisher konzertierte, wurden die Ein-
trittspreise verdoppelt. Wie man mir nun sagte, sind die
Preise der Pläfee hier an sich weit höher als anderwärts,
und darin liegt der Grund, da| mein Manager, der wie
sonst bei mir üblich verfuhr, die Preise in fast lächerliche
Höhen hinaufschraubte. Ich unterwerfe mich natürlich den
Gewohnheiten, die in der englischen Metropole üblich sind,
und hoffe mir die Achtung des Publikums, dessen Protek-
tion mir der höchste Gewinn ist, zu erringen."
61
Weniger nachgiebig zeigte sich der Künstler dem eng-
lischen Hof gegenüber. Er forderte für seine Mitwirkung
in einem Hofkonzert 100 Pfund, und als man ihm die Hälfte
bot, antwortete er, Seine Majestät könne ihn noch viel billi-
ger hören, wenn sie seine Konzerte im Theater besuche,
aber feilschen liege er nicht mit sich. Die englische Presse
blieb nach wie vor ihm wenig günstig gesinnt und brand-
markte bei jeder Gelegenheit das Ausplünderungssystem,
das dieser geizige Ausländer in England betreibe. Das
Publikum liefe sich aber dadurch nicht beirren und drängte
sich in hellen Scharen zu seinen Konzerten. An fünfzehn
Abenden liefe sich Paganini in London hören und erzielte
dabei eine Einnahme von rund 260 000 Francs! Hierzu
kamen noch zuvor unerhörte Beträge, die ihm in hoch-
aristokratischen Kreisen für Soireen geboten wurden und
für Privatstunden, die er vornehmen Ladies erteilte, die
darauf brannten, diesen Höllensohn einmal aus nächster
Nähe zu sehen und sich rühmen zu können, seinen Unter-
richt genossen zu haben: ein Scherz, den sich der Künstler
mit tausend Mark für die Stunde bezahlen liefe!
Als die Konzert-Einnahmen in London nachzulassen
begannen, folgte auf das lefele, allerlebte, unwiderruflich
lefete, das wirklich lebte Konzert, und Paganini trat eine
Reise durch die Provinz an, auf der er alle gröfeeren und
mittleren Städte der drei Königreiche heimsuchte. Für die
Tournee hatte er sich einem spekulativen englischen Im-
presario „verkauft", wie die Zeitungen verächtlich berich-
teten, d. h. er erhielt eine bestimmte feste Monatseinnahme,
wogegen er verpflichtet war, überall aufzutreten, wo sein
Impresario, der allein das Risiko und den Gewinn an
allen Veranstaltungen trug, Konzerte arrangierte. Paga-
nini wurde damit der Begründer eines Systems, das später
62
von vielen Künstlern, die der geschäftlichen und organisa-
torischen Schwierigkeiten ihres Berufs ledig sein wollten,
nachgeahmt wurde. Damals war es noch etwas Unerhör-
tes, und diese „Erniedrigung zum willenlosen Werkzeug
eines Geschäftsmannes" wurde dem Künstler als schmach-
voll angerechnet. Auch auf diese Fahrt durch das englische
Land folgte ihm der Groll der Presse nach. So versah
eine Zeitung in Bristol die Anzeige seiner Konzerte mit fol-
gender Randbemerkung: „Mitbürger, mit dem Gefühl tief-
sten Abscheus kündige ich die bevorstehenden Konzerte
Paganinis in unserer Stadt an. Was sollen diese in den
gegenwärtigen Zeiten des Unglücks und der Not? Über-
all werden Sammlungen für die Armen veranstaltet, wozu
kommt aber dieser fremde Geiger? Er will das den Elen-
den bestimmte Geld entführen. La§t Euch durch die „musi-
kalischen Ungeheuerlichkeiten" dieses Fremden nicht be-
hexen, der nur die Naivität John Bulls ausbeuten will."
Doch das Publikum folgte überall willig seinem Ruf, und
reich beladen mit dem Golde Albions kehrte Paganini nach
neunmonatlichem Verweilen auf englischem Boden und
Absolvierung von insgesamt 132 Konzerten nach Paris
zurück.
Hier hatte indes ein anderer, noch unheimlicherer
Spielmann zum Tanz aufgespielt, dessen Weisen die Mas-
sen noch unwiderstehlicher niederzwang, als der Zauber-
bogen des Genuesen: der Tod wütete mit Hilfe eines furcht-
baren Genossen, der Cholera, in den Mauern der Stadt
und raffte ein blühendes Menschenleben nach dem anderen
dahin. Paganini schreckte selbst vor dem Wettstreit mit
diesem furchtbaren Nebenbuhler nicht zurück. Neunmal
lud er die Pariser während dieser entsefelichen Wochen der
Trauer und Todesangst zu Konzerten in die gro|e Oper,
63
und wenn die Einnahmen auch nur ein Viertel der Höhe des
Vorjahres erreichten, so konnte er doch mit seinem Publi-
kum zufrieden sein. Das- zweite dieser Konzerte hatte den
grö|ten Zulauf: es fand zu Gunsten der Cholerakranken
statt.
Ungefährdet von der todbringenden Seuche verliefe
Paganini nach drei Monaten wieder die Seinestadt, um, wie
im Vorjahr, während der Sommermonate in England
frischen Lorbeer zu erringen. Wenn er auch diesmal wieder
mit Begeisterung aufgenommen wurde, so drängte sich die
Menge doch nicht annähernd so gierig zu seinen Konzerten
wie früher, und der Ertrag der diesmaligen zwölf Lon-
doner Soireen war nur ein Viertel des vorjährigen. Nach
einer kürzeren Tour durch Südengland kehrte der Künst-
ler im Herbst wieder nach Paris zurück, wo er abgesehen
von einem Abstecher nach Rouen und Le Havre, den Winter
verbrachte, ohne wesentlich hervorzutreten. Erst im Früh-
jahr 1833 begann er wieder einen Zyklus von Konzerten in
der gro&en Oper. Sehr verübelt wurde ihm seine Weige-
rung, an einer zugunsten der englischen Schauspielerin
Henriette Smithson veranstalteten Matinee mitzuwirken.
Diese wenige Jahre zuvor in Paris überschwänglich ge-
feierte Künstlerin, jefet Braut Hektor Berlioz', hatte mit
ihrem englischen Theater falliert und war in Not geraten.
Alle bekannteren Pariser Künstler, so Chopin, Liszt, Hiller,
kamen bereitwillig der bedrängten Kollegin zu Hilfe und
beteiligten sich an einem von Berlioz veranstalteten Bene-
fizkonzert. Nur Paganini schloß sich aus. Er wurde des-
halb heftig angegriffen. „Paganini hat eine Contribution
von sieben- oder achtmalhunderttausend Francs in Eng-
land einzutreiben geruht," schreibt bissig l'Europe litte-
raire, „der Zauber seines Bogens ist mächtiger als das
64
Szepter vieler Herrscher . . . MiP; Smilhson bittet von
ihrem Schmerzenslager aus Herrn Paganini ein kleines
Stückchen um ihretwillen zu spielen . . . Herr Paganini
lehnt abl Primo mihi (Erst komme ich), diese Devise des
Egoismus kann zuweilen gerechtfertigt sein, doch in diesem
Fall gewif; nicht. Es scheint aber, da{j Herr Paganini den
unabänderlichen Entschlu| gefaxt hat, gar nie zu dem Nach-
safe cras tibi (Dann kommst du) weiter zu schreiten." —
Im Mai begab sich Paganini zum dritten Mal nach Eng-
land und kehrte nach einer leidlich erfolgreichen, aber an-
strengenden Konzertsaison im Herbst wieder nach Paris
zurück, um den in diesem Jahr wieder heftiger auftretenden
körperlichen Leiden durch Ruhe und sorgsame Pflege wirk-
samer entgegenarbeiten zu "können. Nachdem sich sein
Befinden langsam gebessert hatte, trat er Ende Februar
1834, ohne den Winter über in Paris im Konzertsaal auf-
getreten zu sein, eine Rundreise durch Belgien an. Doch
diese endete mit einem eklatanten Mi&erfolg. Nachdem er
schon infolge der He^e der katholischen Presse, die das
Volk vor den Hexenkünsten dieses „Verdammten" warnte
und sich im Anschluß an die Pariser Ereignisse über seinen
Geiz in hä|lichster Weise erging, in den meisten Städten
vor leerem Saal gespielt hafte, wurde er in Brüssel bei
seinem Erscheinen im Theälre de la Monnaie ausgelacht,
mit Kosenamen wie „schwarzes Skelett" u. a. begrü|t,
und auch sein Spiel vermochte die boshafte Heiterkeit der
Hörer nicht zu beschwichtigen. Paganini zog es daher vor,
so schnell wie möglich dieses ungastliche Land zu verlassen,
und begab sich von neuem nach England. Doch auch hier
blieb der Erfolg diesmal in bescheidenen Grenzen. Eine
solche, immerhin einseitige Ausnahmeerscheinung wie er
mu§te eben bei allzu häufiger Wiederkehr ein gut Teil ihres
5 Kapp, Paganini.
65
geheimnisvollen Reizes einbüßen. Der mystische Schleier
schwand allmählich, was an dieser seltsamen Erscheinung
die ersten Male frappiert und eben durch das Fremdartige
hingerissen hatte, verlor auf durch Wiederholung abge-
stumpfte Sinne immer mehr an Einwirkung, der Rausch
verflog und es blieb — nicht am wenigsten dank der
hämisch zersehenden Zeitungsangriffe — eine Art Kaßen-
jammer zurück. Man schämte sich gewissermaßen seiner
ersten übertriebenen Huldigungen und ließ den Künstler
das jefet entgelten.
Zu allem Überfluß endete diesmal die englische Reise
noch mit einem großen öffentlichen Skandal. Kaum war
Paganini auf der Rückreise in Boulogne-sur-mer einge-
troffen, als die französischen Zeitungen spaltenlange Be-
richte über eine geheimnisvolle Entführung einer Sechzehn-
jährigen durch ihn aus London brachten. Sein Londoner
Impresario, ein Mr. Watson, beschuldigte ihn, seine Toch-
ter, der er die Ehe versprochen und die er mit kostbaren
Geschenken verblendet habe, zur Flucht aus England be-
tört zu haben. Er war den Flüchtigen nachgeeilt und hatte
durch die' Behörden in Boulogne die Auslieferung seiner
Tochter erzwungen. „Was Paganini betrifft," fügten die
Zeitungen boshaft hinzu, „so soll er durch diese Ent-
täuschung nicht sonderlich erschüttert worden sein: die
Schöpfungen seines Genies, diese himmlischen Geliebten,
die er mit einem einzigen Strich seines Zauberbogens um
sich erwecken kann, dürften ihn leicht trösten über den Ver-
lust einer gewöhnlich Sterblichen . . ." Paganini vertei-
digte sich in einem langen „Offenen Brief", stellte den Mr.
Watson als ein gänzlich verkommenes Subjekt dar, der
schon mehrfach im Gefängnis gesessen, seine Frau ins
Elend gestoßen habe, mit einer Maitresse schlimmster
66
Sorte lebe und seine Kinder bis aufs Blut peinige und aus-
nüfee. Die Tochter habe er zur Konzertspielerin ausbilden
wollen, da sie sehr talentiert sei, der Vater habe dies aber
aus Eigennufe abgelehnt. „Um sich den Mißhandlungen zu
entziehen," fährt Paganini fort, „floh sie aus dem Hause
ihres Vaters und kam, eingedenk meines Anerbietens, aus
eigenem Antrieb zu mir und bat um meinen Schüfe
und Hilfe. Ich habe also Miß Watson keineswegs entführt,
wie der Betrüger von Vater mich zu beschuldigen wagte.
Wenn ich diese verwerfliche Absicht gehegt hätte, so wäre
nichts leichter als das gewesen, denn während Watson im
Gefängnis saß, aus dem ihn meine Freigebigkeit auslöste,
war seine Tochter frei und allein, da seine Geliebte jede
Nacht das Haus verließ, um den Gefangenen zu erfreuen.
Doch, ich gestehe es kühn, Miß Watson war überzeugt, daß
sie in mir den Beschüfeer finden würde, den sie brauchte,
und den Beistand, den ihr ihr Erzeuger versagte ... Ich
folgte also einer selbstlosen und edelwollenden Regung,
die anstelle des Tadels und einer niederträchtigen Beschul-
digung, das Lob eines jeden anständigen Menschen, der
fähig ist, eine gute Tat zu würdigen, verdiente. Für die-
jenigen, die in meiner Handlung eine Ausschweifung und
schändliche Regungen erkennen wollen, habe ich nur mit-
leidige Verachtung übrig." Auf diesen stolzen Rechtferti-
gungsversuch des Künstlers erwiderte die Presse, zwar ver-
blümt, aber doch deutlich genug, aaß sie den Beteuerungen
des berühmten Paganini, „dessen Lob als Künstler sie so
oft gesungen, dessen Charaktereigenschaften aber ihn als
Menschen schon so häufig kompromittiert hätten", keinen
Glauben schenke. Auch eine nochmalige Entgegnung auf
diese beleidigende Beschuldigung vermochte die öffentliche
Meinung nicht zu Gunsten des Künstlers umzustimmen.
5* 67
Kaum war Paganini nach diesem peinlichen Vorfall in
Paris eingetroffen, so eröffnete der allmächtige Kritiker des
„Journal des Debats", Jules J a n i n , gestüfet auf die
Paganini ungünstige Stimmung des Publikums, einen hef-
tigen Federkrieg gegen ihn. „Wie empfing man zuerst
dieses groteske Etwas, diesen lebenden Leichnam Paga-
nini bei uns! Man hätte die Mauern von Paris gestürmt,
wenn die Tore nicht weit genug gewesen wären! . . . Um
ihn zu hören, überwand man sogar die Furcht vor der Cho-
lera. Und heute? Jefet ist er für uns tot! Als Künstler ist
er tot! Der Geizhals hat den Künstler in ihm getötet An
jenem Tag, an dem Paganini, goldbeladen aus London
zurückgekehrt, sich weigerte, in dem Benefiz für einige
arme englische Schauspieler (Harriett Smithson), deren
lebte Hilfsquellen erschöpft waren, zu spielen, verlor er
bei uns jeden Kredit. Er kann reisen in Frankreich, wohin
er will, seine Geige wird überall in ihrem Kasten bleiben
müssen, zu unnüfeem Schweigen verdammt!" Indem er
ihm die traurigen Erfahrungen in Belgien und London vor
Augen stellt, weist er ihm in lefeter Stunde noch einen Weg
zur Rettung: Paganini gebe ein grofees Konzert zu Gunsten
der Überschwemmten von Saint-Etienne und alles soll ver-
gessen sein. Die Presse wird ihm das Publikum wieder zu-
führen. Da Paganini dieser Aufforderung nicht nachkam,
so erneuerte Janin seine Angriffe in verschärfter Form in
einem sechsspaltigen Feuilleton: „Paganini und die Über-
schwemmten von Saint-Etienne." Paganini erkannte, dafj
die Situation für ihn verloren war. Weitere Konzertreisen
versprachen für die nächste Zeit doch nur geringen Ertrag,
und da ihm der Aufenthalt in Frankreich wie England durch
die Vorfälle der legten Zeit begreiflicherweise arg verleidet
war, überdies seine Gesundheit nach den Anstrengungen
68
und Aufregungen der ununterbrochenen Virtuosenfahrten
dringend einer längeren Erholungszeit bedurfte, so zog er
es vor, allen Weiterungen aus dem Wege zu gehen. In
einem kurzen Brief an die „Debats" erklärte er, er sei krank
und könne, nachdem er schon seit drei Monaten in Frank-
reich nicht mehr konzertiert habe, auch jefet nicht spielen;
er begebe sich nach dem Süden. Mißmutig und verfolgt
von dem Hohn der Gegner, verlief er Paris, in das er vor
drei Jahren als Triumphator eingezogen, und kehrte nach
einer Abwesenheit von über sechs Jahren, während deren
er die Huldigungen von halb Europa empfangen und uner-
hörte Reichtümer gewonnen hatte, in sein Heimatland
zurück.
69
VI.
Der Abstieg
Von seinen Landsleuten wurde Paganini bei der Heim-
kehr mit fürstlichen Ehren empfangen. In jeder Stadt,
durch die er kam, feierte man ihn durch prunkvolle Feste,
und enthusiastische Dilettanten wetteiferten mit den nam-
haftesten Dichtern des Landes in Hymnen und Volksgesän-
gen zu seinem Ruhm. Die Wogen nationaler Begeisterung
gingen hoch, und man beweihräucherte in dem zum Natio-
nalheros erhöhten Mann sich selbst, das Italienertum. Paga-
nini beabsichtigte sich in Oberitalien anzusiedeln und hielt
Umschau nach einem hübschen Landsife. Er wählte eine
größere Besitzung unweit Parmas, dessen prächtiges, mit
breiter Säulenterasse umgebenes Herrenhaus, Villa Gajone,
ihn wegen der gesunden ländlichen Lage mitten in dichtem
Cypressenwald derart entzückte, dajj er sofort den Kauf
abschloß Hier verbrachte Paganini künftighin den grölten
Teil des Jahres und unternahm nur selten, wenn irgendein
Kunstereignis seiner harrte, kürzere Abstecher in umlie-
gende Städte.
Es beschäftigten ihn verschiedene wichtige Pläne.
Vor allem gedachte er seine Kompositionen zu veröffent-
lichen und in einer umfassenden Violinschule das Ge-
heimnis seiner Kunst der Welt zu erschließen. Einer der
70
grö&len Pariser Musikverleger hatte ihm schon vor Jahren
ein glänzendes Angebot für seine Manuskripte gemacht,
doch war das Geschäft an Paganinis unmöglichen Geld-
forderungen gescheitert. Jefet wollte er die Werke im
Selbstverlag erscheinen lassen, um die kaufmännische Ver-
wertung restlos für sich ausnüben zu können. Da| dieser
Plan bereits bestimmte Formen angenommen, beweist eine
Aufstellung von Paganinis Hand, die sich in seinem Nach-
laß gefunden hat. Er stellte hier unter der Überschrift
„Verzeichnis von Musikstücken zum Druck" achtundzwan-
zig der bekanntesten Nummern seines Repertoires zusam-
men und versah die Liste mit dem Vermerk „druckfertig".
Da& es schließlich doch nicht zur Verwirklichung dieses Ob-
jektes kam, mag darin seinen Grund gehabt haben, da& in
Paganini der Komponist immer noch im Kampf mit dem
Virtuosen lag. Hatte er sich nun auch vorübergehend auf
sein idyllisches Landgut zurückgezogen und für absehbare
Zeit größeren Konzertreisen abgeschworen, so hatte er
doch nicht für immer darauf verzichtet, und er fürchtete
wohl durch Bekanntgabe seiner Werke das Interesse für
seine späteren Virtuosenfahrten abzuschwächen. An den
künstlerischen Veranstaltungen im benachbarten Parma
nahm Paganini regen Anteil und erschien auch häufig in
der dortigen Gesellschaft. Namentlich in der Gro&herzogin
Marie Luise fand er eine hingebende Gönnerin. Nachdem
er zur Feier ihres Geburtstagsfestes ein glänzendes Hof-
konzert arrangiert und selbst durch einige Soli die ganze
Hofgesellschaft in Aufruhr gebracht hatte, ernannte ihn die
Fürstin zum Mitglied der „Commissione amministrativa di
Teatro Ducale". Seine Aufgabe sollte eine Reorganisie-
rung des Orchesters sein, und höchst schmeichelhaft fügte
sie ihrem Wunsch hinzu: „Tout ce que proposera Paganini
71
sera adopte". Als sichtbares Zeichen ihrer Huld schenkte
sie ihm einen kostbaren Ring und verlieh ihm wenige Tage
später das Diplom eines Cavaliere des Ordens vom heiligen
Georg. Besonders glanzvoll war der Empfang des Künst-
lers, als er seiner Vaterstadt Genua einen kürzeren Besuch
abstattete, und er fand seinen Höhepunkt in der feierlichen
Enthüllung einer Marmorbüste Paganinis. Eine in Ober-
italien um jene Zeit ausgebrochene Choleraepidemie be-
wog den Gefeierten, seine Wundergeige, die so lange
stumm geblieben, nochmals in einigen Städten erklingen zu
lassen, um mit dem Ertrag dieser Wohltätigkeitskonzerte
zur Linderung der Not beizusteuern.
Bei einer solchen Gelegenheit entstand plöblich das
Gerücht, Paganini sei selbst von der Seuche befallen und
liege im Sterben. Ja in Paris ward sogar die Nachricht
seines Todes verbreitet, und die Zeitungen brachten bereits
ausführliche Nekrologe. Er selbst strafte diese Meldungen
Lügen, indem er unerwartet in der französischen Metropole
auftauchte. Noch wandelte er zwar unter den Lebenden,
aber er war ein vom Tode Gezeichneter. Sein chronisches
Halsleiden war auch unter dem südlicheren Himmel Italiens
nicht gewichen, im Gegenteil! Kehlkopfschwindsucht hiej$
das furchtbare Gift, das rettungslos seinen Lebensnerv ver-
nichtete. Das Sprechen machte ihm unsägliche Mühe.
„Kaum vermochte man," erzählt Berlioz, „wenn man das
Ohr nah an seinen Mund hielt, ein paar Worte zu verstehen.
Wenn ich an Tagen, wo das Wetter ihm Lust dazu machte,
in Paris mit ihm spazieren ging, so hatte ich Buch und Blei-
stift bei mir. Paganini bezeichnete mit einigen Worten den
Gegenstand, über den er sich zu unterhallen wünschte; ich
liefe mich darüber aus, so gut ich konnte, und von Zeit zu
Zeit einen Bleistift ergreifend, unterbrach er mich durch
72
sehr originelle, häufig recht lakonische Befrachtungen.
Seiner geliebten Kunst konnte er übrigens auch jefet nicht
völlig entsagen. In seltenen Augenblicken des Wohlbefin-
dens ergriff er seine Geige, um, wie es der Zufall gab, Trios
oder Quartette von Beethoven, die er glühend liebte, mit
einigen Genossen, die zugleich die einzigen Zuhörer waren,
vorzutragen. Ein anderes Mal, wenn ihn das Violinspiel
zu sehr ermüdete, zog er eine allen unbekannte Sammlung
selbstverfa^ter Duette für Violine und Guitarre hervor,
übernahm selbst die Guitarrepartie und entlockte dem In-
strumente unerhörte Wirkungen.
Paganinis Aufenthalt in Paris war diesmal weniger
durch künstlerische als geschäftliche Gründe bedingt.
Einigen geschickten französischen Spekulanten war es
nämlich gelungen, den sonst so vorsichtigen Künstler in ein
Unternehmen zu verwickeln, das zunächst sehr harmlos und
gewinnbringend (was wohl für Paganini den Ausschlag ge-
geben hatte) aussah, sich aber bald als großer Schwindel
entpuppte. Es sollte in einem der vornehmsten Stadtteile
von Paris ein „etablissement musical et litteraire" gegrün-
det werden. Dieses Etablissement sollte, wie die Ankündi-
gung versprach, alle Genüsse in sich vereinigen, die dem
Publikum und namentlich den zahlreichen Fremden in Paris
auf dem Gebiet der Musik, des Tanzes, der schönen Künste,
der Conversation, Lektüre und eleganten Promenade über-
haupt geboten werden konnten, und ihnen gleichzeitig
prächtige Räume zur Erholung und gesellschaftlichen Zu-
sammenkünften zur Verfügung stellen. Um dieser, wie man
sieht, nicht gerade wenig verheizenden Neugründung ein
zugkräftiges Mäntelchen umzuhängen, hatte man es ge-
schickt verstanden, den Namen Paganinis für die Sache zu
gewinnen, und unter der stolzen Flagge Casino Paga-
73
n i n i wurde das Unternehmen im November 1837 möglichst
geräuschvoll und prunkhaft mit einem Festkonzert eröffnet.
Doch dieser ganze Kunstrummel sollte in der Tat nur nach
au&en den wahren Zweck dieser Institution, eine Spielhölle
großen Stils, verhüllen. Die Sache ging auch kurze Zeit
über ganz nach Wunsch und warf den Unternehmern
hübsche Summen ab, bis eines Tages infolge einer Durch-
stecherei die Polizei von den wahren Vorgängen, die sich
in diesem Kunsttempel abspielten, Wind bekam und den
Spielklub aushob. Jefet stand das Unternehmen vor einer
entscheidenden Krisis, es war, da die Kunsfveranstaltungen
allein natürlich die Kosten nicht einbrachten, nur noch
lebensfähig, wenn der Mann, der leichtsinnig, ohne den
wahren Sachverhalt zu ahnen, seinen guten Künstlernamen,
und als Hauptaktionär ein schönes Stückchen Geld zu der
Sache hergegeben halte, jebl persönlich auf der Bildfläche
erschien und durch seine Mitwirkung in den Casino-Kon-
zerten die Massen anzog. Da Paganini sich weigerte,
überdies gesundheitlich auch garnicht mehr dazu imstande
gewesen wäre, ging die Gesellschaft gerichtlich gegen ihn
vor und erreichte ein vorläufiges Gerichis-Urleil, nach dem
er bei einer Unterlassungsstrafe von 6000 Franken für
jeden Abend gezwungen wurde, zweimal wöchentlich im
Casino zu spielen. Der Künstler verwahrte sich energisch
dagegen und eilte unverzüglich selbst nach Paris, um seine
Sache an Ort und Stelle erfolgreich durchführen zu kön-
nen. Es kam nun zu langwierigen Prozessen, die nach
dem nun nicht mehr aufzuhaltenden Bankerott des Casinos
mit erneuter Heftigkeit einsefeten und damit endeten, da§
Paganini zu 20 000 Franken Schadenersafe verurteilt wurde.
Als er gegen das Urteil Revision einlegte, hafte er das
Pech, da| die höhere Gerichtsinstanz die Summe sogar
74
auf 50 000 Franken erhöhte und, da er inzwischen wieder
Frankreich verlassen hatte, seine in Marseille befindliche
kostbare Instrumentensammlung, bestehend aus elf Vio-
linen (darunter sieben Stradivarius und zwei Amati), einer
Viola und vier Violincelli (zwei Stradivarius und eine Guar-
nerius), einstweilen pfändete. Es blieb Paganini, der
weidlich auf die „ladri mascalgoni di Parigini" (Diebe und
Stra|enräuber in Paris) schimpfte, nichts übrig, als zu
zahlen.
Peinlicher als diese Einbuße an Geld war es, daß der
Name Paganini Jahre hindurch im Zusammenhang mit den
bei diesen Prozessen aufgedeckten schmufeigen Geldge-
schichten durch alle Zeitungen geschleift wurde, und daß
hierbei naturgemäß nie vom Künstler die Rede war,
sondern immer nur vom Geschäftsmann. Zum Über-
fluß gab es zur selben Zeit noch einen zweiten kleinen
Paganini-Skandal in Paris, bei dem auch das Geld das
Streitobjekt abgab. Der Künstler war, als er aus Parma
nach Paris geeilt war, bei einem Freunde, Douglas Loveday,
abgestiegen und hatte drei Monate lang dessen Gast-
freundschaft in Anspruch genommen. Hier traf er häufig
mit einem Bekannten des Hausherrn, der Arzt war, zusam-
men und nahm wiederholt dessen Dienste in Anspruch. Als
dieser vor der Abreise für seine Konsultationen eine Rech-
nung über 110 Frcs. übersandte, war Paganini sehr unge-
halten und beguemte sich erst nach mehrfacher Interven-
tion seines Gastgebers zur Zahlung. Er behauptete, Love-
day habe ihm, nur um seinem Freunde eine Einnahme zu
verschaffen, listig diesen Arzt aufgedrängt, der ganz un-
tauglich sei und sich unter dem Deckmantel einer harm-
losen Konversation an ihn herangemacht habe, um das
Gespräch dann als Konsultation zu zehn Franken zu be-
75
rechnen. Um sich für die ihm verursachten Unkosten zu
rächen, sandte Paganini wenige Tage, nachdem er sein
Haus verlassen und in das damals sehr beliebte Sana-
torium Neothermes übergesiedelt war, an Loveday folgen-
des Schreiben:
„Paris, 16. Juni 1838.
Ich sehe mich genötigt, Ihnen mein Erstaunen da-
rüber auszudrücken, wie schlecht Ihr Gedächtnis ist,
wenn es sich darum handelt, Ihre Schuld gegen mich ab-
zutragen. Diese Unterlassungssünde Ihrerseits zwingt
mich, Ihre Erinnerung wachzurufen an Dinge, die Sie
wohl schwerlich vergessen haben dürften. Ich übersende
daher meine kleine Forderung mit der Bitte, sie bald-
möglichst regeln zu wollen:
Für zwölf Stunden, die ich Ihrer Fräulein
Tochter gab, um ihr den musikalischen
Ausdruck und den Gehalt der Noten, die
sie in meiner Gegenwart spielte, klar zu
machen 2 400 Fr.
Für eigene Musikvorträge, wie ich sie bei
verschiedenen Gelegenheiten achtmal in
Ihrem Hause zum Besten gab .... 24000 Fr.
Insgesamt: 26 400 Fr.
Ich füge dabei dieser Rechnung n i ch t an all' die
Stunden, die ich m ü n d 1 i ch Ihrer Fräulein Tochter bei
Tisch gab, wodurch ich meinerseits alles bis auf den
lefeten Heller bezahlte, da ich ihr die viele Mühe zum
Geschenk machen will, die ich mir bei diesen Gelegen-
heiten gab, in dem Streben, ihr einen wirklichen Begriff
der musikalischen Kunst zu geben, wünschend, sie möge
ihn erfassen und daraus lernen. Ich will Sie auch mit
76
keinem Wort darauf hinweisen, da§ es nur g e r e ch t
ist, Leute für ihre Dienste und Bemühungen zu entschä-
digen, zumal Sie ja kürzlich bei der Angelegenheit des
Arztes nicht versäumten, mir über diesen Punkt Ihre
eigene Meinung kundzulun, nach der ich zur Zahlung
von 110 Franken verpflichtet war für — zum Glück für
meine Gesundheit nur vereinzelte — Ratschläge, die ich
in Ihrem Hause ganz nebenbei erhielt. Sie fühlen sicher,
mein Herr, da£ ein zu gewaltiger Unterschied besteht
zwischen diesen sogenannten Besuchen des Arztes und
meinen Stunden, ja noch mehr meinen Vorträgen, — um
nicht einzusehen, dafj ich im Verhältnis noch weit be-
scheidener in meinen Forderungen bin, als er es in den
seinigen war.
Ich ersuche Sie daher, sich dieser Schuld gegen mich
alsbald zu entledigen, und füge zur Vorsicht gleich bei,
da{3 ich andernfalls gewig nicht unterlassen werde, dem
Beispiel zu folgen, das mir andere gegeben haben, in
der Überzeugung, dag mir mindestens das gleiche Recht
zusteht. Ich grü&e Sie achtungsvollst und habe die Ehre
Nicolo Paganini."
Doch diesmal war er an den Unrechten gekommen.
Loveday stellte für seine dreimonatliche Gastfreundschaft
und die Klavierstunden, die seine Tochter täglich Paga-
ninis dreizehnjährigem Söhnchen erteilt, eine Gegenforde-
rung von 37 800 Franken und sehte Paganini durch Be-
kanntgabe seines Briefes dem Spott der Pariser aus.
Auch Paganinis öffentliche Erwiderung, daS das Ganze
nur ein Scherz gewesen sei, konnte den üblen Eindruck,
den auch diese Geldgeschichte bei der Mehrzahl der Leser
hervorgerufen hatte, nicht verwischen.
77
Um so überraschender kam für jedermann eine an-
dere Kunde, die wie ein Lauffeuer Paris durcheilte und
überall freudigen Widerhall fand, wenn die Urteile über
das Motiv zur Tat auch wesentlich auseinandergingen.
Nach dem rettungslosen Durchfall seines „Benvenuto
Cellini" an der gro|en Oper war Hector B e r 1 i o z zu-
sammengebrochen. Der aufreibende Kampf um den Erfolg,
der mit allen Künsten der Reklame immer wieder aufge-
nommene Sturm auf das Pariser Publikum war von neuem
gescheitert, und Berlioz war drauf und dran, die Flinte ins
Korn zu werfen, zumal seine Geldmittel völlig erschöpft
waren. Da geschah ein Wunder. Um ihn zu ermutigen,
haften seine Freunde zwei Konzerte arrangiert, in denen
er mehrere seiner Werke dirigieren sollte. Zum ersten war
er garnicht erschienen, am zweiten Abend jedoch fand er
sich im Orchester ein. Von den denkwürdigen Vorgängen
dieses Tages entwirft Janin folgendes anschauliche Bild:
„Diesmal war Berlioz an seinem gewohnten Posten und
führte das Orchester selbst an; doch man brauchte ihn nur
anzusehen, um sofort seine verzagte Mutlosigkeit zu er-
kennen. Das war nicht mehr jener kühne Himmelsstürmer,
der von seiner Estrade aus beim Getöse der Fanfaren die
Zukunft zu erobern willens war, sondern ein Besiegter.
Doch allmählich, beim Anhören der „Phantastigue", jenes
erschütternden Werkes, in der er all seine Freuden und
Schmerzen geborgen, kehrte ihm der Lebensmut zurück,
seine Augen füllten sich mit Tränen, sein Herz schlug
höher, und die Zuhörer, gleich ihm ergriffen, spornten seine
Kraft immer stärker an. Doch dies alles trat augenblick-
lich zurück vor einer überraschenden Erscheinung: in einer
Ecke des düsteren Saales sah er einen schwarzhaarigen,
allgemein als herzlos verschrieenen Mann, der zu weinen
78
schien. Wahrhaftig, er hatte dicke Tränen in den Augen,
sein eisiges, italienisches Lächeln war verschwunden; es
war in der Tat Paganini, der hier seinen Gefühlen freien
Lauf lie£- Dieser Paganini ist ein seltsamer Mensch, er
ist das unlösbarste Rätsel, das sich jemals vor einem Ver-
gnügungspublikum hat blicken lassen. Er hat eigentlich
nichts Menschliches an sich. Sein langes, knochiges und
unordentlich mit schwarzen Haaren umrahmtes Gesicht
kann kaum das Feuer bergen, das oft aus seinen mürri-
schen Blicken zuckt, denen kein Mensch standzuhalten
vermag. Man wei§, wenn man ihn sieht, wirklich nicht,
ob das nicht ein vom Tode Auferstandener ist, so sehr
gleicht er Rembrandts vom Tode erwecktem Lazarus. Die
Arme hängen lang zur Erde herab, und wenn man seine
beiden Knochenhände mit ihren stahlharten Sehnen sieht,
so kann man ahnen, durch welche aufreibenden Kämpfe
dieser Mann erst sich seine Geige zum Sklaven hat machen
können. Mir war Paganini immer unheimlich, ob er mit
seinem verlegenen, eisigen Lächeln das Publikum grü£le,
oder ob er in fantastischer Laune drei Saiten seiner Violine
zum Zerspringen brachte, oder ob er sich frei und stolz
seiner plöfelich erwachten Inspiration überlief, die uns ver-
stummen machte und entrückte. Ich sah ihn bei den ver-
schiedensten Gelegenheiten, so als er an einem herrlichen
Frühlingsabend „Moses' Gebet" sang, wie es nur die Hei-
lige Cäcilie in Mozarts Paradies singen könnte, ich sah
ihn in jenen furchtbaren Wintertagen, als er inmitten der
Cholera, ernster und unheimlicher als je, den Bogen in der
Hand, erschien, und sich ein beklemmendes Schweigen auf
eines jeden Brust legte bei seinem Anblick, der allen ein
Vorbote des Todes schien. Nichts hat je solchen Effekt
hervorgebracht, wie einzig das Erscheinen dieses schwar-
79
zen Phantoms aus Genieland. Er besafe dazu alle Eigen-
schaften eines Phantoms. Er tauchte plöfelich auf, eben-
soschnell war er verschwunden; ausgelassenste Freude
schlug bei ihm plöfelich in schmerzlichste Trauer um. Er
irrte von einem Ende Europas zum andern, und wie sein
Schatten folgte ihm ein Schwall mystischer Gerüchte nach.
Er war das Abbild des ewigen luden, wie ihn uns Lewis
dargestellt hat, mit einem leuchtenden Feuerkreuz zwischen
den schwarzen Augenbrauen. So zog er durch die Welt
und hob goldene Schäle, und die dichteste Menge gab ihm
bereitwilligst den Weg frei. Von den andern Sterblichen
war er durch eine unsichtbare Kluft getrennt, die niemand
zu überspringen gewagt. Diesen Menschen — diesen wan-
delnden Schatten entdeckte nun Berlioz in seinem Konzert,
wie er in tiefster Ergriffenheit den Schicksalen seines
„Harold" Beifall spendete. Als das Stück beendet, der
lefete Seufzer des Orchesters verhallt war, näherte sich
Paganini unerwartet Berlioz und lie& sich in Gegenwart
aller vor ihm auf die Kniee fallen. Sprechen kann er ja
nicht mehr, seine Stimme ist bereits erloschen, aber nicht
sein Enthusiasmus. Und dieser hat sich wohl nie elemen-
tarer geäu&ert. Und Berlioz? Er blickte verwirrt um sich,
als ob ihn ein lügenhaftes Spiel umgaukelte. Alles schwand
vor seinen Augen, er sah nur immer Paganini zu seinen
Fü&en — er war erschüttert! Zum erstenmal haben wir be-
griffen, daf; Paganini in der Tat ein Mensch wie andere
ist, da& ihm wirklich ein warmes Herz im Busen schlägt,
da£ seine Augen weinen, seine Seele fühlen kann, und
dafe also an dem Talent dieses Sonderlings nichts über-
natürlich ist als eben sein Talent selbst. Von dieser Stunde
an war Berlioz gerettet. Die Hoffnung kehrte ihm wieder
und damit das Selbstvertrauen in seinen Genius. Wie ein
80
Triumphator betrat er seine Schwelle, die er vor wenig
Stunden als Verzweifelter verlassen!"
Und hier wartete seiner ein noch größeres Wunder.
Am andern Morgen überbrachte ihm der kleine Achille
einen Brief seines Vaters. Berlioz öffnete und las: „Teurer
Freund! Nach Beethovens Tod konnte nur Berlioz ihn
wieder erstehen lassen, und ich, der ich Zeuge Eurer herr-
lichen Werke, die eines Genies wie des Eurigen würdig
sind, gewesen, halte es für meine Pflicht, Euch als Ehren-
gabe 20 000 Franken anzubieten mit der Bitte, sie nicht
abzuweisen." Er glaubte zu träumen. Doch nein, da
stand es wirklich. 20 000 Franken! Noch gestern hatte er
nicht gewagt, daran zu denken, wovon er seinen Lebens-
unterhalt bestreiten sollte. Nur journalistische Frohnarbeit
um des Brotes willen stand ihm bevor, sein Genius mu&te
zur Untätigkeit verdammt bleiben. Und heute? Jefet war er
reich, die Lebenssorge gebannt, und er konnte — er
durfte schaffen! In tiefster Ergriffenheit dankte er sei-
nem Retter: „O würdiger und großer Künstler, wie soll ich
meinen Dank in Worte fassen!! Ich bin nicht reich, aber
glauben Sie mir, die Anerkennung durch ein Genie wie
das Eurige ist mir tausendmal teurer als die königliche
Gro|mut Ihres Geschenkes. Die Worte fehlen mir, ich
werde zu Ihnen eilen, sobald ich wieder das Bett ver-
lassen darf, das ich heute noch hüten mufe."
Sein erster Ausgang galt natürlich Paganini. „Ich
traf ihn allein in einem groBen Saal der Neothermes. Du
weifet, da£ er seit ungefähr Jahresfrist vollständig die
Stimme verloren hat und dafe man ihn ohne die Hilfe
seines Sohnes kaum verstehen kann. Als er mich sah,
stürzten ihm Tränen in die Augen, und ich hielt sie nur
krampfhaft zurück. Ja, er hat geweint, dieser wilde Men-
6 Kapp, Paganini. ö I
schenfresser, dieser Frauenmörder, dieser freigelassene
Galeerensträfling, und wie man ihn sonst noch zu nennen
beliebt, er vergoß hei|e Tränen, als er mich umarmte:
„Sprechen Sie nicht davon," sagte er, „ich verdiene keinen
Dank. Es war die aufrichtigste Freude und tiefste Genug-
tuung meines ganzen Lebens. Sie haben mich ergriffen,
wie ich es nie geahnt, Sie haben die gewaltige Kunst Beet-
hovens fortgeführt." Er trocknete sich die Augen, schlug
mit einem seltsamen Auflachen auf den Tisch und begann
eifrig zu sprechen. Doch ich konnte ihn nicht mehr ver-
stehen. Da rief er seinen Sohn zu Hilfe und mit Unter-
stübung des kleinen Achille hörte ich ihn sagen: „Ach ich
bin glücklich, ich bin toll vor Freude, wenn ich denke, da£
dieses ganze Geschmei|, das gegen Sie schreibt und
schimpft, jelst nicht mehr so kühn wie vorher sein wird.
Denn man kann nicht sagen, da& ich nichts versiehe und
man weil, da& ich nicht leicht zu begeistern bin." „Ganz
Paris spricht nur von diesem Vorfall," erzählt Berlioz in
dem Brief an seine Schwester weiter, „denn der arme Mann
war seines Geizes wegen ebenso berühmt wie seines Ta-
lents wegen. Jeder sagte mir: „Das ist ein Wunder! Das
ist der unerhörteste Triumph, den die Kunst jemals davon-
getragen, es ist fast unglaublich!" — Viele wollen es auch
nicht glauben. Sie können eben einen Künstler wie ihn
nicht begreifen. Paganini besiht eine gewaltige Gering-
schäfeung für die materiellen Bedürfnisse und Alltagsge-
nüsse des Lebens und bedauert infolgedessen jede auch
noch so kleine Ausgabe, die er dafür machen mu&; aber
in Kunstsachen ist er edler und gro&denkender wie jeder
andere. Davon gab er jefet den Beweis."
Die Pariser waren grö&tenteils nicht so leicht zu be-
kehren, wie der beglückte Berlioz: die Gerüchte, da& die-
82
ser ganze Edelmut nur ein gut inszenierter Theatercoup sei,
wollten nicht verstummen. Die Einen wollten wissen, da&
gerade Janin, der sich jefet im Lob des vor wenigen Jahren
durch seine gehässigen Presseangriffe in Paris fast unmög-
lich gemachten Paganini gar nicht genug tun konnte, ihn
zu diesem Geschenk für seinen Busenfreund Berlioz ge-
zwungen habe, indem er ihm drohte, ihn nach den Casino-
und Loveday-Skandalen jefet in Paris für alle Zeiten abzu-
tun, wenn er nicht durch ein solches Sühneopfer die öffent-
liche Meinung für sich zurückzugewinnen trachte. Andere
wiederum behaupteten, daß; reiche Gönner Berlioz' das
Geld deponiert und nur Paganini vorgeschoben hätten,
um das künstlerische Ansehen des Komponisten Berlioz
durch eine solch aufsehenerregende öffentliche Partei-
nahme eines allgemein anerkannten Fachmannes beim
großen Publikum zu festigen. Wie dem auch sei, es war
eine gute Tat, die kostbare Frucht getragen hat. Berlioz
schuf in der ihm durch das Geschenk ermöglichten Arbeits-
ruhe seine gro&e dramatische Symphonie „Romeo und
Julie", und widmete das Werk seinem Wohltäter Paganini.
Dem sich an diesen Vorfall anknüpfenden Gerede trat er
Zeit seines Lebens energisch entgegen und konnte das auch
mit gutem Gewissen, da e r , selbst wenn es auf Wahrheit
beruhte, davon wohl schwerlich unterrichtet gewesen wäre.
Die Paganini-Legenden andererseits waren wieder um eine
zugkräftige Nummer vermehrt. Was der arme Mann auch
sein Leben lang beginnen mochte, sofort bemächtigte sich
das Gerücht seiner Tat und trug die Kunde davon in mehr
oder minder verzerrter Frafee in alle Winde. Das nufelose
Beginnen, sich dagegen zur Wehr zu sehen, eine Arbeit, an
der selbst Herkules versagt hätte, hatte er längst aufge-
geben.
6* 83
Auch diesmal ließ er sich die Pariser ruhig über des
Wunders Lösung weiter die Köpfe zerbrechen, und begab
sich dem Rat der Ärzte folgend nach dem Süden, in der
Hoffnung, hier Linderung von seinen immer quälender
werdenden Leiden zu finden. Längere Zeit verweilte er in
Marseille, besuchte mehrere Schwefelbäder, griff immer zu
neuen Arzneien und Geheimmitteln, doch alles vergebens!
Der Tod saß ihm im Nacken. Es gab kein Entrinnen mehr.
Die Unruhe trieb ihn von Ort zu Ort, er kehrte nach Genua
zurück, hoffte dann wieder in Villa Gajone die Rettung zu
finden, und landete schließlich in Nizza, auf dessen mildes
Klima seine lefete Hoffnung sich gründete. Wohin er auch
irrte, immer folgte dicht hinter ihm der Unerbittliche, der
seinen Tribut einzukassieren kam, dessen dürre, leben-
erstarrende Krallenhand sich immer unentrinnbarer nach
ihm ausstreckte. Seine Leiden wurden mit jedem Tag uner-
träglicher. „Ich fühle mich hier noch leidender," klagt er
aus Nizza seiner Schwester, die ihm einen neuen Balsam
gesandt hat, „aber trofedem habe ich beschlossen, einst-
weilen hier zu bleiben. Später will ich nach Toskana
gehen, um dort unter dem azurblauen Himmel meine lebte
Stunde zu erwarten und gern will ich sterben, darf ich zu-
vor noch die Luft eines Dante und Petrarca atmen." Ein
neuer schwerer Anfall zwang ihn, dauernd das Bett zu
hüten. Er litt unsagbar. Die Stimme war jefet völlig ver-
nichtet, auch seinem Sohn konnte er nur mit zittriger Hand
seine Wünsche auf kleine Zettel krifeeln, das Schlucken
war so erschwert, daß er sich oft stundenlang quälte, den
kleinsten Bissen herunterzuwürgen. Endlich nahte ihm der
Erlöser. Von heftigen Brustkrämpfen ermattet, war Paga-
nini eingeschlummert. Plöfelich, wie aus einer Fiebervision
aufgeschreckt, richtete er sich empor, Angstschweiß perlte
84
von seiner Stirn, sein irrend suchendes Auge blieb auf
seiner geliebten Geige haften, die stets neben seinem Bette
hing, erleichtert atmete er auf, ein freudiges Lächeln ver-
klärte sein Gesicht, er versuchte den Arm zu heben, noch
einmal den treuen Genossen seines Lebens zu berühren, da
— ein schriller Klang, ein schreckhaftes Röcheln — eine
Saite war gesprungen. Paganini war tot.
Selbst der Majestät dieser Stunde gegenüber ver-
stummte das Gerede der Welt nicht. Geheimnisvoll und
sagenumrauscht wie sein Leben, blieb auch sein Sterben.
Und als der arme Kranke, der, wie alle Schwindsüchtigen,
die Nähe des Todes sich nicht eingestehen wollte, endlich
von seinem Leiden erlöst ward, ohne die Tröstungen der
Kirche zuvor empfangen zu haben, da reckte sich plöfelich
jener hämische Doppelgänger, den törichter Aberglaube,
Freude am Klatsch, Dummheit oder Bosheit der Menge,
Zeit seines Lebens Paganini zugesellt, zu so riesenhafter
Grö&e empor, da£ der Bischof von Nizza sich veranlagt
sah, diesem offenkundigen Sohn der Hölle ein Begräbnis
in geweihter Erde zu verweigern. Jeder Einspruch der
Freunde des Toten war vergebens, und auch das Gericht
bestätigte die Verfügung des Kirchenfürsten. Der Leich-
nam wurde daher einbalsamiert und im Sterbehaus aufge-
bahrt. Nun wallfahrteten die Leute aus ganz Oberitalien
zum Sarg des vergötterten Künstlers, das Außergewöhn-
liche des Ereignisses zeugte in der an sich schon über-
holen Phantasie des Volkes die wildesten Hirngespinste,
und die Erregung in der Stadt wuchs infolge der verbrei-
85
teten und geglaubten Gerüchte derart an, da& die Behörde
die Schließung des Sarges erzwang. In einem Gewölbe
des „Lazaret de Villefranche" harrte nun der Tote seiner
legten Ruhestätte. Inzwischen waren Achille und Freunde
seines Vaters unablässig bemüht, das unmögliche Verbot
des Bischofs zu beseitigen. Der Papst ordnete schließlich
eine genaue Untersuchung darüber an, wie sichPaganini der
Kirche gegenüber verhalten habe, ob er der katholischen
Gemeinde würdig zugezählt werden könne, und willigte in
eine vorläufige Beisefeung in dessen Heimatstadt Genua.
Drei Jahre nach dem Tode — solang hatten sich die Ver-
handlungen noch hingezogen — wurde endlich der Leich-
Besifeung Polevra bestattet. In der Kirche des Ritterordens
nam zu Schiff nach Genua überführt und auf Paganinis
vom heiligen Georg zu Parma, dem Paganini angehört
hatte, wurde zum Gedächtnis des Verstorbenen eine wür-
dige Leichenfeier abgehalten. Durch mehrere beträchtliche
Stiftungen zu kirchlichen Zwecken erlangte schließlich
Achille die Genehmigung des Bischofs von Parma, die
Leiche seines Vaters in die Heimat einholen und auf dem
der Villa Gajone benachbarten Dorfkirchhof in geweihter
Erde beisefeen zu dürfen. Doch auch hiermit hatten die
Irrfahrten dieses Unglücklichen, der selbst im Tod nicht
Ruhe finden durfte, noch nicht ihr Ende erreicht. Dreißig
Jahre später, nachdem inzwischen dieser häßliche Streit
längst verklungen, wurde das Grab des gefeierten Toten,
zu dem alljährlich Verehrer seiner Kunst wallfahrteten, von
der abgelegenen und schwer auffindbaren Stätte nach dem
großen allgemeinen Friedhof zu Parma verlegt und mit
einem prächtigen Grabdenkmal und Paganinis Büste ge-
schmückt. Als jedoch nach zwanzig Jahren (1895) die Stadt
Parma ihren Toten einen neuen Begräbnisplaß erschließen
86
mufjle, störte man noch einmal den Frieden von Paganinis
Gruft und räumte ihm hier ein Ehrengrab ein. Jefet endlich,
ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode, war dieser un-
stäte Erdenwanderer zur legten Ruhe eingegangen.
Quiescat in pacel
87
VII.
Biographische Tabelle
1784 18. Februar
1790
1792
1793
1797
1799 November
1800-05
1805 14. September
1807 15. August
1808 Sommer
Nicolo Paganini in Genua geboren.
P. erlernt das Geigenspiel bei seinem
Vater, Servetto, Costa.
P. komponiert die erste Sonate. (Ver-
loren.)
Sein erstes öffentliches Auftreten im
Grand Theatre in Genua.
Schüler von Rolla, Ghiretti und Paer
in Parma.
Tournee durch die Städte der Lom-
bardei mit seinem Vater.
Konzert in L u c c a am St. Martinstag.
Künstlerfahrten und Lebensgenüsse
auf eigene Faust. (?)
Konzert in L u c c a. Anstellung als
Kammervirtuose und Kapellmeister
am Hof der Fürstin Marie Elise
Bacciochi.
Erste Vorführung eines Konzertstückes
(„Napoleon") auf einer Saite.
Konzerte in Livorno, Turin u. a.
1809 Oktober
1810/11
1812
1813
Frühjahr
29. Oktober
1814
24. März
1815
1816
7. März
August
Oktober
1817
Herbst
1818
April
Dezember
1819
Sommer
1820
März
Dezember
1821
Sommer
1821/22 Winter
1822
März/April
1823
Januar
1824
März
14. u. 21. Mai
12. Juni
Übersiedlung nach Florenz, da
Marie Elise zur Herzogin von Toskana
ernannt.
Konzerte in der Lombardei und Ro-
magna.
Florenz (?)
Bruch mit der Fürstin, Flucht nach
Mailand. Komponiert „LeStreghe".
Erstes Auftreten in der Scala, dem
noch elf weitere Konzerte folgen.
Konzert in Mailand mit seiner Schüle-
rin Catarina Carcagno.
Tournee durch Oberitalien (Ancona).
Wettstreit mit Lafont in Mailand.
Parma und Ferrara.
Venedig; Begegnung mit Spohr.
Rom. Verkehr mit Rossini.
Piacenza. Freundschaft mit Lipinski.
Carignano, Turin, Florenz.
Neapel. (Schwere Erkrankung.)
Konzerte in Mailand. Leitet Konzerte
der Musikvereinigung „Gli Orfei".
Rom; dirigiert Rossinis „Mathilde di
Sabran".
Neapel und Sizilien.
Parma.
Rom, Venedig, Piacenza, Mailand.
Turin. Tournee durch Oberitalien.
Venedig. Bekanntschaft mit A n t o -
ni a B i an ch i.
Konzerte in Genua.
Mailand.
89
1824 30. Juni u. 7. Juli Genua.
Herbst Mailand, Venedig.
1825 Januar Triest.
1825 15. April Neapel, dann Sizilien.
23. Juli Geburl von A c h i 1 1 e Paganini in
Palermo.
1826 Sommer Wiederbeginn der Konzerte: Triest,
Venedig, Mailand.
1827 Frühjahr Rom (5 Konzerte).
25. April Papst Leo XII. verleiht Paganini den
Sporenorden.
Herbst Florenz. Erkrankung, beginnt seine
Kur mit Elixier de „Le Roi".
Bologna.
Ankunft in Wien.
Erstes Konzert.
Öffentliche Erklärung gegen das Ge-
fängnis-Gerücht.
Ernennung zum k. k. Kammervirtuosen.
Benefizkonzert für die Bianchi im
Kärntnertortheater.
Verleihung der Salvatormedaille.
20. und Abschiedskonzert in Wien.
Auszahlung der Bianchi nach der
Trennung.
Konzert in Karlsbad. — Badekur. —
20. Dezember 6 Konzerte in Prag. — Schwere Er-
krankung.
1829 23. Januar Konzert in Dresden.
12. Februar Leipzig — Konzert kommt nicht zu-
stande.
1827/28
Winter
1828
16. März
29. März
10. April
23. Mai
17. Juni
10. Juli
24. Juli
28. Juli
19. August
u
,4., 9., 13., 16
90
1829 4. März
13. März
6. April
29. April
13. Mai
23. Mai
19. Juli
24. u. 28. Juli
August/Sepl.
9., 12., 21. Okt.
14. Okiober
17.
26.
31.
November
9., 12. Novbr.
17.-26. „
28./30. „
7. Dezember
18. Dezember
Dezember bis
Ende April 1830
Erstes Konzert in Berlin.
Zweites Konzert in Berlin.
Wohltätigkeitskonzert.
Wohltäiigkeitskonzert fürStadtDanzig.
Zehntes u. Abschiedskonzert in Berlin.
Ernennung zum „Kammermusikus".
Erstes Konzert in Warschau.
Zehntes Konzert in Warschau und
Abschiedsbankett.
Konzerte in Breslau.
Frankfurt a. Main (6 Konzerte). Von
hier aus Konzerte in Darmstadt, Mainz,
Mannheim.
Konzert in Leipzig.
„ Halle.
„ Magdeburg, anschließend
Halberstadt
„ Dessau.
„ Weimar.
Konzerte in Erfurt, Gotha, Rudolstadt,
Coburg, Bamberg, Regensburg.
Nürnberg.
München (3 Konzerte) und bei Hof in
Tegernsee.
Augsburg.
Stuttgart.
Konzert in Frankfurt a. M. (Museums-
gesellschafts-Ehrenmitglied.)
Aufenthalt in Frankfurt (Erkrankung
Achilles. — Guhr).
91
1830*)
1831
12. Mai
Coblenz.
14. „
Bonn.
16.
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Cöln.
19.
,
Düsseldorf.
20., 22.
*
Elberfeld.
25.
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Cassel.
28.
»
Görlingen.
30.
,
Cassel.
3., 5., 6. Juni
Hannover.
8. „
Celle.
10.-23. „
Hamburg (Konzerte am 12., 16., 19.).
25.-30. „
Bremen (Konzerte am 25., 28.).
Juli
Braunschweig (Verleihung des Baron-
Titels). Frankfurt a. Main.
Juli/August
Badekur in Ems.
24. August
Ems.
26. „
Wiesbaden.
8. November
Frankfurt a. Main.
Herbst und
Ende 1830
Baden-Baden (Erholungsaufenthalt).
14.-19. Febr.
Stra|burg i. E.
24. Feb
mar
Ankunft in P a r i s (Hotel des Princes,
9. März
13. „
rue Richelieu).
Einnahme
1 . Konzert im Opernhaus 1 9 080 Frcs.
2 15 771
Übertrag 34 851 Frcs.
*) Die bisher unbekannten genauen Angaben über die Konzert-
reisen der Jahre 1830 — 32 entstammen den von Paganini eigenhändig
geführten Kalenderbüchern, die sich in seinem Nachlaß befinden. Von
1Ö33, einem Jahr, über das die Quellen überhaupt sehr spärlich fliegen,
fehlt das Buch leider.
92
Übertrag 34 851 Frcs.
1831
20.
März
3.
Konzert imOpernhaus
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23.
27.
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Wohltätigkeitskonzert
für die
Armen
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11
Abschie
dskonzert
11502
>f
Gesamteinnahme
der 11 Konzerte in Paris 165 052 Frcs.
28. April P. verlädt Paris (Dankbrief an
Habenek).
Anfang Mai Konzerte in Boulogne s/m. und
Calais.
28. Mai Geplantes erstes Konzert in Lon-
don scheitert an den Billettpreisen.
Einnahme
3. Juni 1. Konzert in London (Theatre Royal) 792 Pfd.
10. „
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Übertrag 8 372 Pfd.
93
Übertrag 8 372 Pfd.
1831 22. Juli 10. Konzert in London (Thealre Royal) 395 „
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243
tt
1832
Gesamteinnahme aus
den 15 Londoner Konzerten 10 208 L.
(ca. 260 000 Frcs.)
Ende Juli Konzert in Norwich.
6. August Konzert in Cheltenhan.
30. „ Konzert in Dublin.
3. September Konzert in Dublin. Tournee durch
Irland (23 Konzerte).
10. Dezember Konzert in Bristol.
Tournee durch die englischen Provin-
zen (49 Konzerte).
Einnahme
5. März Konzert in Winchester 160 Pfund.
6. „ Konzert in Southampton 126
8. „ Abreise nach Frankreich.
Insgesamt in z/i Jahren auf englischem
Boden 132 Konzerte gegeben.
Einnahme netto*)
25. März Konzert in Paris (Theätre Italien) 4 484 Frcs.
20. April „ „ „ (Opera) für
Cholerakranke 9 800 „
"Übertrag 1 4 284 Frcs.
*) D. h. 9/s der Gesamteinnahmen.
94
Übertrag 14 284 Frcs.
27. April \
(onzerf in Paris (Opera)
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18. „
„ Boulogne s/m
3 000
19
Frühjahr Gesamteinnahmen in den
10 Konzerten in Paris/Boulogne 57 910
Frcs.
Einnahme
6. Juli 1 . Konzert in London (Theätre Royal) 352 Pfd.
10. „
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17. „
Abs
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onzert
107
ir
Sommer Gesamteinnahme von
12 Konzerten in London 2 419 L.
(ca. 60 000 Frcs.)
95
1832
21. August
Vertrag
mit der Sängerin
Constanza
Pietralia
für den Herbst.
(Honorar
50 Napoleons.)
23.
Konzert
in Canterbury-
27.
„ Brighton.
30./31. „
„ Southampton.
4. September
„ Winchester.
7.
3. „
„ Southampton.
10./11. „
„ Portsmouth.
12./13. „
„ Chichester.
24.
Abreise
von London nach Dover.
27.
Ankuntt
in Paris.
Einnahme netto
13. Oktober
1. Konzert in Rouen
5 547 Frcs.
15.
2. „
„ Rouen
6 078 „
17.
3.
„ Rouen
3 400 „
18.
»>
„ Euven
1 429 „
20.
1. „
„ Havre
2 548 „
22.
2.
„ Havre
1 890 „
23.
Rückkehr nach Paris (Rue Honore 237).
20. Dezember Umzug in das Hotel di Malta.
1833 Februar/März Konzerte in Paris.
Ende März Paganini weigert sich, in dem Benefiz
für Mi& Smithson zu spielen.
Mai/Juli Konzerte in London und den eng-
lischen Provinzen.
6. Mai Konzert für die „Societe Musicale" in
London.
8. Juli Konzert für die „politischen Flücht-
linge" in London.
Herbst/Winter In Paris.
96
1834 20. Februar Abreise nach Belgien (Amiens, Lille,
Valenciennes).
15. März Mißerfolg in Brüssel.
April/Juni England (6. Mai in Liverpool).
Ende Juni Boulogne-sur-mer (Enlführungsge-
schichle der Mi& Watson).
3. Juli Offener Brief an die Presse.
10. „ Zweiter Verteidigungsversuch in der
Presse.
8. September Rückkehr nach Paris.
15. „ Erster Angriff Janins im „Journal des
Debats".
22. „ Zweiter Angriff Janins: „Paganini et
les Inondes de Sainf-Etienne".
24. „ Antwort Paganinis.
25. „ Abreise nach Genua.
Oktober Übersiedlung nach Villa Gajone bei
Parma.
14. November Konzert für die Armen in Piacenza.
12. Dezember Hofkonzert in Parma.
1835 16. Mai Genua verleiht ihm die gro&e goldene
Medaille.
28. Juli Enthüllung seiner Büste in Genua.
25. Dezember Ernennung zum Intendanten des her-
zoglichen Theaters in Parma.
1836 4. Januar Verleihung des Diploms zum Cavaliere
des Ordens vom Heiligen Georg.
15. März Ehrenmitglied der S. Cecilia in Rom.
17. Dezember Konzert in Nizza.
1837 27. April Niederschrift seines Testaments.
9. Juni Konzert in Turin.
Juli Eintreffen in Paris.
7 Kapp, Paganini. 97
1837
25. November
1838
15. März
16. Juni
16. Dezember
18.
1839
Januar
August
Oktober
Dezember
1840
27. Mai
1. Juni
1843
August
1845
Mai
1876
1896
August
Eröffnung des Casino Paganini.
Verurteilung Paganinis zu Gunsten der
Casino-Gesellschaft.
Brief an Loveday.
Paganini im Berlioz-Konzert.
Schenkung von 20 000 Franken an
Berlioz.
Marseille.
Schwefelbäder in Vernet-les-Bains.
Genua— Gajone.
Nizza.
Tod in Nizza.
Testamentseröffnung (Achille ist Uni-
versalerbe).
Überführung der Leiche nach P o -
levra, einem Landgut Paganinis bei
Genua.
Beisefeung auf der Besüjung Gajone
bei Parma.
Überführung auf den Friedhof von
Parma.
Überführung auf den neuen Friedhof
von Parma (Grabdenkmal).
98
BERICHTE
UND BETRACHTUNGEN
Gerüchte über Paganini
Aus der Flut phantastischer, größtenteils natürlich ganz
unsinniger Gerüchte, die überall, wohin Paganini
seinen Fuß seßte, unaustilgbar hervorsprossen, heben sich
namentlich drei ab, die mit solcher Hartnäckigkeit auf-
traten, daß sich der Künstler gezwungen sah, selbst öffent-
lich dazu Stellung zu nehmen. Eines davon können wir
heutzutage allerdings nur noch mit ungläubigem Lächeln
als Zeitkuriosum registrieren, und es erscheint uns moder-
nen Menschen kaum faßbar, daß Paganini genötigt war,
das Gerede: er stamme gar nicht von Men-
schen, sondern sei ein Satanssproß, durch
ein Zeugnis seiner leibhaftigen Mutter zu widerlegen. Doch
dies war tatsächlich der Fall! Als während seines Aufent-
halts in Wien die Tollheit der abergläubischen Menge aufs
Höchste gestiegen war, ließ Paganini als Beweis für das
Vorhandensein seiner irdischen Mutter ein Schreiben, das
er gerade von ihr aus Genua erhalten hatte, veröffent-
lichen:
„Teuerster Sohn! Endlich, sieben Monate, nachdem
ich meinen lefeten Brief an Dich nach Mailand abgesandt,
wird mir die Beruhigung, von Dir durch Vermittlung des
Herrn Agnino Nachricht, datiert vom 9. dieses Monats,
zu erhalten. Zu meiner größten Freude ersehe ich da-
101
raus, daß es mit Deiner Gesundheit gut geht; noch freu-
diger überrascht hat mich die Mitteilung, daß Du nach
Deiner Londoner und Pariser Reise wieder nach Genua
zurückkehren willst, um mich zu umarmen. Ich ver-
spreche Dir, alltäglich zu Gott bitten zu wollen, daß er
uns beide gesund erhalten möge, damit unser Wunsch
sich erfüllen kann. — Der Traum ist Wahrheit geworden,
und was der Himmel mir vorausgesagt hat, ist einge-
troffen. Dein Name fliegt von Mund zu Mund und die
Kunst hat Dir mit Gottes Beistand ein sorgenfreies Le-
ben ermöglicht. Geliebt und geachtet von Deinen Lands-
leuten, pflege in meinen und den Armen Deiner Freunde
endlich der Ruhe, die Deine Gesundheit gebieterisch
fordert. — Dein Bild, das Deinem Briefe beilag, machte
mir große Freude, die näheren Einzelheiten Deiner Tri-
umphe las ich bereits hier in den Zeitungen, und Du
wirst begreifen, wie glücklich solche Nachrichten eine
Mutter machen müssen. — Mein teurer Sohn, mein sehn-
lichster Wunsch ist stets, recht oft von Dir Nachrichten
zu erhalten, diese Hoffnung erhält mich am Leben und gibt
mir Gewißheit, Dich eines Tages wieder an mein Herz
drücken zu dürfen. Uns allen geht es gut, und im Na-
men Deiner Verwandten danke ich Dir für die über-
sandte Summe. Tue alles, was in Deinen Kräften steht,
um Deinem Namen Unsterblichkeit zu erringen. Hüte
Dich vor dem gesundheitsschädlichen Klima der Groß-
städte und denke stets daran, daß Du eine Mutter hast,
die Dich von Herzen liebt, die nur Deine Gesundheit und
Dein Glück erfleht und ohne Unterlaß den lieben Gott
darum anruft. Umarme Deine liebenswürdige Beglei-
terin in meinem Namen und küsse den kleinen Achille
von mir. Liebe mich, so wie Dich herzlich liebt Deine
102
Dir unabänderlich treu zugetane Mutter Teresa Paganini.
- Genua, 21. Juli 1828."
Das Verhältnis des Künstlers zu seiner Mutter war
zeitlebens ein herzliches. Solange noch der Vater am
Leben war, herrschte zwischen Sohn und Elternhaus aller-
dings offene Fehde, da der Alte, wütend, da& Nicolo sei-
nem Zwange entschlüpft, ihn ständig mit Geldforderungen
verfolgte, und dieser gegen den hartherzigen Peiniger
seiner Jugend einen instinktiven, unauslöschlichen Ha| hegte.
Nach des Vaters Tod jedoch stand der Sohn der Mutter
treulich zur Seite und unterstüfete sie bereitwillig und reich-
lich mit allem Nötigen. Zu dem ersehnten Wiedersehen,
von dem in dem oben veröffentlichen Brief die Rede ist,
sollte es nicht mehr kommen, da Paganini wegen der un-
erhörten Erfolge seine Heimkehr nach Italien immer aufs
Neue verschob und die Mutter während seines dritten eng-
lischen Aufenthaltes im Hause ihrer Tochter Nicoletta, bei
der sie die legten Jahre verbrachte, starb. Auf die Kunde
ihres Todes schreibt Paganini an seine Schwester aus
Manchester am 15. Januar 1832: „Ich habe bittere Tränen
vergossen über den Verlust unserer geliebten Mutter und
weine noch immer. Aber trösten wir uns mit der Hoff-
nung, sie dank ihrer Gebete zum Heiland im Paradies
wiederzusehen. Was ihre zu Euren Gunsten testamenta-
risch ausgedrückten Wünsche betrifft, so werde ich sie
achten in Anbetracht der guten Pflege, die sie bei Euch
genofj. Beziehe also die Pension, die sie innehatte, und
was ich künftighin für die Fortschritte Deines Sohnes,
meines Neffen, tun kann, soll geschehen. Inzwischen sei
guten Mutes und gib Deinem Manne gute Ratschläge."
Dieser Mann war ein Taugenichts, der alles Geld ver-
spielte, sodafe Paganini wiederholt der Schwester aus der
103
Not helfen mu&te. Auch seine zweite Schwester Dominica
erhielt von ihm zu mehreren Malen kleinere Darlehen. In
seinem Testament setzte Paganini den Schwestern Legate
von 75 000 und 50 000 Franken aus, deren Nufenie&ung nach
ihrem Tode auf ihre Kinder und Kindeskinder übergehen
sollte. Zum Universalerben seiner Habe und seines Ver-
mögens, das auf etwa 21j2 Millionen geschäht war, erklärte
er dagegen seinen als legitim anerkannten Sohn Achille,
während er dessen Mutter den lächerlich kleinen Betrag
von 1200 Franken als jährliche Pension bestimmte. Seine
Lieblingsgeige, eine Joseph Guarneri (del Gesu) aus dem
Jahre 1741, vermachte er seiner Vaterstadt Genua mit der
Bestimmung, sie zu seinem ewigen Gedächtnis aufzube-
wahren, da er nicht wünschte, da& nach ihm je ein anderer
darauf spiele. Wohl aus diesem Grunde fügte er auch
seiner Stiftung den zu der Geige gehörigen Bogen nicht
bei. Diesen hat die Stadt Genua erst viele Jahrzehnte
später bei der öffentlichen Versteigerung von Paganinis
Nachlaß für 800 Franken angekauft.
Anordnungen dieser und ähnlicher Art galten mit
Recht als kleinlich und gaben häufig Anlafj zu Erörterun-
gen über Paganinis Geiz und Eigennufe. Und hier-
mit wären wir bei dem zweiten der gegen ihn geschleuder-
ten Verdikte angelangt. Dem Künstlertum Paganinis fehlte
fraglos jene höchste ideale Weihe, für die Franz Liszt, hul-
digend der Erkenntnis: „Genie oblige", später so kraftvoll
eintrat. Das „um der Kunst willen" blieb dem Italiener ein
fremder Begriff, er kannte nur den persönlichen Triumph,
den Erfolg bei der Masse, den klingenden Gewinn. Pa-
ganini ist der Urtypus des Nur-Virtuosen, dem die Vir-
tuosität nicht Mittel, sondern Selbstzweck ist, des wan-
dernden Stars, der mit allen Künsten einer meisterhaft be-
104
triebenen Reklame die Menge anlockte, sie durch sein
fabelhaftes Können und seine sagenumwobene Erschei-
nung hypnotisierte und in kürzester Zeit unerhörte Reich-
tümer gewann. Zu wohltatigen Zwecken spielte er, wie
wir sahen, nur sehr selten, und selbst bei diesen wenigen
Gelegenheiten verfolgte er meist einen egoistischen Ne-
benzweck. Die Not anderer kümmerte ihn kaum, und
wenn sein eigener Vorteil oder Lebensgenuß in Frage
stand, war er von rücksichtslosester Strenge und Harther-
zigkeit. Er war in allem ein Sonderling, der troh der Flut
der sich um ihn drängenden Enthusiasten im Grunde ein-
sam durchs Leben schritt und kaum einen wahrhaften
Freund besaß. Der einzige Mensch, an dem er aufrich-
tigen, innerlichen Anteil nahm, ja für den er eine blind
vergötternde Zuneigung hegte, war sein Sohn Achille.
Ihn hatte er stets um sich und bis zu seinem Tode —
Achille hatte kaum sein fünfzehntes Lebensjahr vollendet —
trennte er sich nur zweimal auf wenige Tage von ihm. Ein-
mal in Frankfurt a. M., als Achille schwer erkrankt war und
den Anstrengungen einer Konzertreise noch nicht ausgeseßt
werden sollte, ein anderes Mal bei einer kürzeren Tournee
durch die englische Provinz. Ein Brief des Vaters aus
diesen Tagen beleuchtet am anschaulichsten das herzliche
Verhältnis, das zwischen beiden bestand. „Diese wenigen
Tage," schreibt er aus Liverpool vom 6. Mai 1834, „die ich
von Dir fern bin, scheinen mir zehn Jahre zu sein — der
Himmel weiß, welche Qualen ich litt, da ich Dich verlassen
mußte! Da ich aber Deine zarte Konstitution kenne, habe
ich auf das Glück, Dich bei dieser unseligen Reise um mich
zu haben, verzichtet und Dich in London zurückgelassen,
umsomehr, da Du Dich in so guter Gesellschaft befindest,
wie der Schwägerin von Watson und ihrem Sohn Wilhelm.
105
... Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht Deiner gedenke;
ich spreche dann zu Dir und küsse Dich in Gedanken, doch
Sonntag Abend werde ich endlich wieder die Freude
haben, Dich wirklich umarmen zu dürfen. Ich hoffe, daß
Deine Führung bis dahin musterhaft ist, und daß Du auch
aus dem Besuch der Schule Vorteil ziehen mögest. Es
sehnt sich nach dem glücklichen Augenblick, Dich in
glühendster Liebe wieder an seine Brust drücken zu kön-
nen, Dein Papa Paganini." Achille war musikalisch reich
begabt; doch spielte er die Violine nur zur Unterhaltung.
Nie hat er sich der Kunst ernstlich zugewandt. Auch er
war, was eigentlich stubig machen muß, nicht in das „Ge-
heimnis" seines Vaters eingeweiht.
Wenn Paganini, wie er selbst wiederholt angedeutet
hat, wirklich im Besiß eines technischen Geheimnisses ge-
wesen wäre, das jedem Violinspieler ganz andere Mög-
lichkeilen auf seinem Instrument erschließen und ihn zur
Bewältigung aller technischen Schwierigkeiten in der
Hälfte der Zeit befähigen sollte, und dies unenthüllt mit
sich ins Grab genommen hätte, nur um für alle Zeiten un-
erreicht dazustehen, so wäre dies eine Tat häßlichster
Selbstsucht. Daß er andererseits zu Lebzeiten die meisten
seiner Kompositionen ängstlich geheim hielt, und troß
glänzender Angebote sich nicht zur Veröffentlichung ent-
schließen konnte, war lediglich ein eines Künstlers aller-
dings unwürdiger Geschäftskniff, der verhüten sollte, daß
andere außer ihm ähnliche Kunststücke auf der Geige voll-
führen könnten, und daß die Spannung der Hörer durch
vorherige Kenntnis der Stücke etwa herabgemindert und
dadurch seine Konzerteinnahmen geschädigt würden.
Je größeren Gewinn Paganini seine Virtuosenfahrten
eintrugen, desto schroffer kam seine Freude am Besiß,
106
seine selbst in kleinlichen Dingen übertriebene Sparsam-
keit zum Durchbruch. Da er selbst für Eleganz, Luxus
und Behaglichkeiten des Lebens gar keinen Sinn hatte, so
war ihm jede für den täglichen Unterhalt erforderliche
Ausgabe ein Ärgernis, und den Künstler um wenige Sous
feilschen zu sehen, war durchaus nichts Ungewöhnliches.
Mit Hoteliers, Gastgebern, Lieferanten und Bedienten kam
es daher nicht selten zu Zwistigkeiten, die oft sogar erst
vor Gericht einen Ausgleich fanden. Fast immer war, wie
verschiedene Dokumente seines Nachlasses bezeugen, e r
dabei der Leidtragende, und er mu&te sich unter vernehm-
lichen Flüchen über die „Ausbeutung eines wehrlosen Aus-
länders" zum Zahlen bequemen. Fraglos neigte Paganini
seiner Naturanlage nach zum Geiz, doch mochten manche
der vielen unliebsamen Vorfälle, die sich während seiner
abenteuerlichen Reisen durch Europa abspielten, in dem
fremdländischen Wesen, den ganz anders gearteten An-
sprüchen und Lebensgewohnheiten wurzeln und der All-
gemeinheit dadurch in falschem, schlimmerem Lichte er-
schienen sein. Auch darf man nie vergessen, wenn man
die schroffe, oft brutale Art mancher seiner Handlungen
tadelt, da& Paganini dem italienischen Proletariat ent-
stammte, auch nie eine richtige Herzens- oder Geistes-
bildung genossen hat, kurz, in allem den Emporkömm-
ling aus eigener Kraft verrät, der darauf stolz war.
Am wenigsten glücklich war Paganini mit seinen wie-
derholten öffentlichen Erklärungen gegen das dritte, ihn
persönlich am unangenehmsten berührende Gerücht seiner
Gefangenschaft. Konnte zwar auch niemand hierfür
bestimmte Tatsachen vorbringen, so knüpfte das Gerede
doch immer von neuem an einen Umstand an, der aller-
dings manchem verdächtig erscheinen muBte, und den auf-
107
zuhellen einzig Paganini imstande gewesen wäre. Er zog
es aber vor, sieh darüber in Schweigen zu hüllen oder
falsche Angaben zu verbreiten, soda| er selbst es war,
der dadurch nur noch all den verschiedenen Kombina-
tionen Vorschub leistete. Wenn man die Lebensgeschichte
Paganinis verfolgt, mufc es sofort auffallen, da& über zwei
verschiedenen Perioden seiner Jugendjahre ein rätselhaf-
tes Dunkel lastet; es sind die Jahre 1800—05, d. h. die
Zeit vor der Anstellung in Lucca, und die Jahre 1811/12,
d. h. die Zeit vor dem Bruch mit dem Hof von Florenz. Für
eineGefangenschaftPaganinis kommt natürlich nur die erste
dieser beiden Lücken in seinem Leben in Betracht. Wo er
diese sechs Jahre, die mit dem Sprengen der väterlichen
Bande und der ungezügelten Hingabe an die Freuden des
Lebens und der Liebe beginnen und mit seinem Erscheinen
am Hof zu Lucca enden, verbracht hat, ist völlig unauf-
geklärt. Als Paganini, nachdem er schon 1828 in Wien
ein allgemein gehaltenes Dementi der Gefängnisgeschichte
veröffentlicht hatte, sich während seines Pariser Aufent-
haltes 1831 in einem tauf Seite 55—59 dieses Buches in
vollem Wortlaut wiedergegebenen) offenen Brief an Fetis
unter Aufzählung näherer Gegenbeweise erneut gegen
dieses Gerücht verwahrt, geht er unauffällig-schlau über
diese ominösen sechs Jahre hinweg, indem er seine An-
stellung in Lucca, die in Wahrheit vom 14. September 1805
bis zum Frühjahr 1813, also knapp acht Jahre, währte,
sich über s e ch z e h n Jahre erstrecken lä|t, sodaS man
aus seinen Angaben leicht folgern kann, es könne für eine
Gefangenschaft gar keine Zeit übrig geblieben sein.
Mochte er auf diese Weise das gro&e Publikum vielleicht
getäuscht haben, einen Kenner seiner Lebensschicksale
konnte er dadurch nicht überzeugen. Ein solcher meldete
108
sich denn auch einige Tage nach der Veröffentlichung von
Paganinis Brief in der Revue musicale zum Worte. Es
war der aus Richard Wagners Pariser Notjahren bekannt
gewordene Musikforscher und Bibliothekar G. E. An-
ders. In einem offenen Brief an Paganini vom 3. Mai
1831 in der Revue weist er zunächst nach, da& die von die-
sem angegebenen Daten der Wirklichkeit nicht entspre-
chen, und da& bei richtigen Angaben in Paganinis Dar-
stellung eine Lücke klaffe. Er habe den Künstler schon
wiederholt mündlich ersucht, ihm den Schleier, der über
diesen Jahren lagere, zu lüften, doch habe dieser nie dazu
Zeit gefunden. Er fordert ihn daher jefet öffentlich auf,
dies zu tun. „Wünschen Sie," hei&l der Schluß der sehr
geschickt und überzeugend abgefallen Interpellation, „daß
diese Gerüchte verstummen, und daß jeder anständige
Mensch dies Gerede von Ihrer Gefangenschaft als elende
Verleumdung verabscheue, so wählen Sie das leichteste
und wirksamste Mittel: erhellen Sie das Dunkel dieser
Jahre und entziehen Sie dadurch dem Geschwäfe jeden
Boden!" Paganini zog es vor, auf diese sehr bestimmte
öffentliche Anfrage, deren Nichtbeachtung eigentlich nur ein-
deutig ausgelegt werden konnte, die Antwort schuldig zu
bleiben! Man wird daher die Annahme nicht von der Hand
weisen dürfen, da§ dem natürlich später mit allerhand
übertriebenen Einzelheiten ausgeschmückten Märchen von
Paganinis Gefangenschaft ein tatsächlicher Vorfall zu-
grunde liegt, den der Künstler in Dunkel zu hüllen bestrebt
war. Näheres hierüber lä|t sich heutzutage bei der Un-
sicherheit der nur nach sehr langwierigen Nachforschun-
gen schwach sickernden italienischen Quellen kaum mehr
nachweisen.
109
Paganini und Berlioz
Eine der interessantesten und zugleich umstrittensten
Episoden in Paganinis Leben ist seine Begegnung mit
Hektor Berlioz und das vielbesprochene Geld-Geschenk
von 20 000 Franken. Die Freunde des jungen französi-
schen Brausekopfes liebten es von je, den in Paris Wun-
der wirkenden Namen des gefeierten Virtuosen für ihre
Zwecke durch geschickte Reklamekunststückchen zu ver-
werten. So hatte schon nach dem ersten, mit großem
Trara in Szene geseilten Konzert des aus Italien zurück-
gekehrten Berlioz (Dezember 1832) sein Intimus d'Ortigue
den staunenden Parisern verkündet: „Nach Schluß der
Aufführung durcheilte ein sichtlich ergriffener Mensch die
Gänge des Conservatoire, stürzte in das Künstler-
zimmer und trug nach Berlioz, den er nicht kannte. Er
umarmte ihn und sagte mit erhobener Stimme: ,Herr, Sie
beginnen da, wo die anderen aufgehört haben!' Dieser
Mann war Paganini." Einige Jahre später wurde dieses
Zitat noch gesteigert, indem statt „die anderen" „Beet-
hoven" genannt wurde. Da sich in den schriftlichen Äuße-
rungen des sonst so mitteilsamen Berlioz aus jenen Tagen
nirgends eine Erwähnung dieses immerhin für ihn auler-
gewöhnlichen Vorfalls findet, darf man ihn wohl ins Reich
der Fabel verweisen.
110
Nicht besser steht es mit der, diesmal allerdings auch
von Berlioz selbst überlieferten Propaganda für sein sym-
phonisches Werk „Harold". In einer ihrer ersten Nummern
meldet die neubegründete, Berlioz nahestehende Zeit-
schrift „Gazette musicale": „Paganini, dessen Gesundheit
sich von Tag zu Tag bessert, hat soeben von Hektor Ber-
lioz eine neue Komposition in der Art der „Symphonie
Fantastique" erbeten, die der berühmte Virtuose auf seiner
englischen Tournee aufführen will. Dieses Werk soll be-
titelt sein: ,Die lebten Augenblicke der Maria Stuart, eine
dramatische Phantasie für Orchester, Chor und Bratschen-
solo/ Paganini wird zum erstenmal in der Öffentlichkeit
die Bratschenpartie ausführen." Diese Notiz ging durch
alle Zeitungen. Berlioz hat später in seinen Memoiren diese
Geschichte noch dramatisch ausgeschmückt, ohne sie da-
durch glaubhafter zu machen. Paganini habe ihn besucht
und dabei geäußert: „Ich besihe eine wundervolle Bratsche
von Stradivarius, aber ich kenne bis heute keine Musik
dafür. Ihnen traue ich einzig zu, mir ein Solo für mein
Instrument zu schreiben." Später habe ihn der Künstler
dann wiederholt aufgesucht und ungeduldig das inzwi-
schen Komponierte durchgesehen. — Man kann sich des
Gefühls nicht erwehren, da& bei Berlioz hier der Wunsch
der Vater des Gedankens war. Es ist wohl möglich, da£
er sein Werk im Hinblick auf Paganini begann, und sich
in kühnen Träumen wiegte, dieser werde das Solo über-
nehmen und ihm dadurch zum Erfolg verhelfen; von
Paganini aber ist die Anregung bestimmt n i ch t ausge-
gangen. Die ganze Zeitungsgeschichte war nur ein Re-
klamemanöver, ein vorsichtiges Sondieren des Terrains.
Wenn Paganini, der auch auf der Violine nur eigene
Kompositionen spielte, wirklich, was überdies sehr zwei-
111
felhaft erscheinen mu|, den Wunsch gehegt haben sollte,
sich vor der Öffentlichkeit auch als Bratschenspieler hören
zu lassen, was wäre da naheliegender gewesen, als da&
er selbst sich das gewünschte Solo geschrieben hätte?
Berlioz, dem die Technik des Instruments gar nicht so
vertraut sein konnte, wäre kaum imstande gewesen, das
von Paganini gewünschte Effektstück mit all den von ihm
benötigten technischen Finessen zu schreiben, jedenfalls
nicht so, wie der Virtuose selbst. Die ganze Sache klingt
daher wenig glaubhaft. Da§ Berlioz die vorläufig durch
die Zeitungsnachricht eingefädelte Angelegenheit später
nicht wieder aufgriff und den Versuch unterlie|, Paganini
für sein Vorhaben zu gewinnen, lag an der inzwischen ein-
getretenen Wandlung der Verhältnisse. Als Paganini von
seiner Tournee durch Belgien und England nach Paris zu-
rückkehrte, lag zwar Berlioz' Werk, das jefet „Harold" be-
nannt wurde, beendet vor, aber die Stellung des Künstlers
in Paris war durch den wegen der Entführungsgeschichte
der Mi{3 Watson ausgebrochenen öffentlichen Skandal er-
schüttert, und seine Mitwirkung bei der „Harold-Auffüh-
rung, die überdies wohl nie von Berlioz erreicht worden
wäre, hätte dem Komponisten kaum Nufeen bringen kön-
nen. Als jefet Berlioz' Busenfreund, Janin, der Stimme der
öffentlichen Meinung Rechnung tragend, gegen den zuvor
so gern als Reklameschild für ihre Richtung benufeten Vir-
tuosen vom Leder zog und ihn durch seine gehässigen
Feuilletons bewog, Paris den Rücken zu kehren, verhielt
sich Berlioz zunächst passiv und vermied es, in seinen
Zeitungsberichten auf den „Fall Paganini" näher einzu-
gehen; als der Künstler aber nach Italien abgereist war,
trat er auch öffentlich auf die Seite seines Freundes Janin.
Vier Jahre später kam dann unerwartet die Huldi-
112
gung Paganinis im Konzertsaal (sein Kniefall vor Berlioz)
und die Schenkung von 20 000 Franken. Wir haben schon
im ersten Teil dieses Buches die verschiedenen Kommen-
tare verzeichnet, die dieser Schritt in der Öffentlichkeit er-
fuhr, und es bleibt uns hier nur noch übrig, diese auf ihre
Glaubwürdigkeit hin zu prüfen. Eines steht bei allen Les-
arten fest: daß Berlioz die Summe von 20 000 Franken
durch das Bankhaus Rothschild, wo sie tags zuvor auf Pa-
ganinis Namen deponiert worden war, erhalten hat, und
daß Paganini offiziell als Spender galt und auftrat. Einem
Freunde Berlioz' gegenüber gab er die Erklärung ab:
„Ich tat dies um Berlioz' und um meinetwillen. Für Berlioz,
da ich in ihm ein Genie erblickte, dessen Kraft und Mut in
dem verzweiflungsvollen Ringen eines Tages erlöschen
konnten und den es gegen eifersüchtige Mittelmäßigkeit
oder teilnahmslose Dummheit zu unterstüben galt; ich
sagte mir: ,Hier tut Hilfe not!' Für mich, denn später wird
man auch mir Gerechtigkeit widerfahren lassen, und wenn
man dann meine Verdienste auf musikalischem Gebiete
aufzählen wird, so wird es nicht das geringste sein, als
einer der ersten ein Genie erkannt und der Bewunderung
der Mitwelt empfohlen zu haben." Die öffentliche Meinung,
die Paganini einer solchen Tat nicht für fähig hielt, sah in
dem aufsehenerregenden Ereignis eine zuvor abgekartete
Sache. Entweder habe Janin des Künstlers Notlage der
Öffentlichkeit gegenüber ausgenüßt und ihm unter An-
drohung einer Zeitungsheise die Summe zugunsten seines
Freundes erpreßt — diese Anschauung vertrat später
Franz Liszt — oder der Besißer des Journal des Debats,
Bertin, habe seinem Mitarbeiter Berlioz, der, wie ein
offenes Geheimnis war, den Opern-Partituren seiner Toch-
ter nicht ganz fern stand, diesen Betrag geschenkt, um
8 Kapp, Paganini, ' ' J
aber der Öffentlichkeit gegenüber die Sache wirkungs-
voller und für das Ansehen des Künstlers beim Publikum
nufebringender zu gestalten, eine musikalische Autorität
wie Paganini vorgeschoben — solches erzählte später
Rossini. Beide Darstellungen sind glaubhaft und haben
eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich. Welche von
beiden oder ob überhaupt eine zutrifft, wird wohl nie ein-
wandfrei klargelegt werden, da über derartige Ab-
machungen natürlich keine schriftlichen Beweisstücke vor-
handen sind und die Eingeweihten strenges Stillschweigen
bewahrt haben. Auch in Paganinis Nachlaß findet sich
nichts, was hier einen Fingerzeig geben könnte, es sei
denn gerade diese Tatsache selbst. Denn es mufj immer-
hin auffällig erscheinen, da& in dem berüchtigten „roten
Buch", das sonst gerade in Geldangelegenheiten genaue
Aufzeichnungen, oft sogar über ganz unbedeutende Sum-
men enthält, eine so beträchtliche Ausgabe wie jene 20 000
Franken vollkommen u n erwähnt geblieben ist. Als Ver-
dachtsmoment kann man den Umstand fraglos gelten
lassen, wenngleich sich darauf keine entscheidenden Fol-
gerungen stüfeen lassen.
Berlioz selbst jedenfalls, dem diese unerwartete Hilfe
wie ein liimmelsgeschenk in höchster Notlage zuteil ge-
worden, bewahrte Paganini bis zu seinem Tode aufrichtige
Dankbarkeit. Noch in einem Feuilleton, das er gerade bei
Eintreffen der Nachricht von des Künstlers Hinscheiden für
die „Debats" aufzeichnete, klingt diese deutlich an. Er
schreibt (Journal des Debats, 7. Juni 1840, in der Gesamt-
ausgabe von Berlioz' Schriften nicht enthalten, hier nach
dem Original überseht) : „Ich bitte um die größte Nachsicht
des Lesers, denn mir fehlt heute jede Möglichkeit, einen
klaren Gedanken zu fassen und freudigen Herzens zu
114
plaudern, Wer die gestern aus Nizza eingetroffene Trauer-
botschaft gelesen hat, wird mich begreifen; und alle, die
verstehen können, welche Ergebenheit und unaussprech-
liche Zuneigung in einem Künstlerherzen Bewunderung und
grenzenlose Dankbarkeit auslösen können, werden er-
staunt sein, daB ich überhaupt heute fähig bin, meine
Zwangsarbeit selbst mangelhaft zu leisten. Wenn man
dem Gerücht, das sich schon mehrfach erfreulicherweise
grundlos verbreitete, diesmal Glauben schenken mu§, so
ist einer dieser Titanen der Musikgeschichte dahingesun-
ken, die nur in gro&en Zeitabständen das Szepter im Reich
ihrer Kunst führen und abtreten, ohne einen Nachfolger
zu hinterlassen, ja selbst das Geheimnis ihrer Macht mit
sich entführen, eines jener Genies, die denken, fühlen und
handeln wie nie ein Mensch vor ihnen, einer jener Künstler,
deren Erdenleben wilde Leidenschaften aufwühlt und die
farbenreiche Skala der menschlichen Gefühls- und Emp-
findungswelt zum Ertönen bringt, ein Wesen, das man ha|t
oder anbetet, vergöttert oder durch die niedersten Ver-
leumdungen mordet, das man aber im Innersten, heimlich
oder offenkundig, überall und zu allen Zeiten bewundert,
mit einem Wort: Paganini ist zu Nizza gestorben."
8* 115
Berichte von Zeitgenossen
Um das Bild dieses seltsamen Mannes in Einzelheiten
noch schärfer umrissen hervortreten zu lassen und die
Wirkung seiner Erscheinung anzudeuten, die wir Nachge-
borene ja leider nicht mehr erleben, sondern nur noch aus
den Schilderungen von Zeitgenossen nachzufühlen im-
stande sind, mögen aufjer den schon früher zitierten von
Spohr, Heine, Börne, hier noch einige Urteile Plab
finden, die erkennen lassen, da& auch die Grö|ten seiner
Zeit sich Paganinis Zauber nicht zu entziehen vermochten.
Zuvor sei noch einer sehr interessanten, heutzutage kaum
mehr auftreibbaren Studie Erwähnung getan, die ein bekann-
ter Pariser Physiologe, Dr. B e n n a t i i , bei des Künstlers
Erscheinen in Paris 1831 der dortigen Akademie als
„Notice physiologique" eingereicht hat. Er sucht darin
das Phänomen Paganini, das er als eine Art Naturwunder
anspricht, auf wissenschaftlichem Wege zu erklären. „Ich
will nicht seine Gesichtszüge analysieren," beginnt Dr.
Bennatti, „ich will auch nicht sprechen von den bei ihm stark
ausgeprägten Beulen auf der Stirn, die die musikalische Be-
gabung sofort andeuten, ich will nur von seiner körperlichen
Beschaffenheit als Ganzes ausgehen, die dazu angetan,
man kann sagen, geradezu prädestiniert ist, ihn den er-
reichten, erstaunlichen Grad von Meisterschaft auf seinem
116
Instrument erklimmen zu lassen. Hierbei werde ich dann
hoffentlich die Richtigkeit der von mir aufgestellten Theorie
belegen können, da| die Vollkommenheit des berühmten
Geigers weniger das Ergebnis seines unsinnigen Dbens
ist, wie man behauptet, als der eigenartigen Beschaffen-
heit seines Körpers. Zweifellos bedurfte es zahlreicher,
mühsamer Versuche, um diese neue und unbegreifliche
Kunstfertigkeit zu erringen, in der ihm auch nicht an-
nähernd einer gleichkommt; aber sein Genie war schon
ohnedies früher vorhanden. Bei Paganini mußte sich,
um das entstehen zu lassen, was er heute ist, vollkommene
musikalische Intelligenz mit Organen von größler Sensi-
bilität verbinden. Sein Talent hätte ihn einen erlesenen
Komponisten, einen sehr verdienten Musiker werden
lassen können, aber ohne sein erstaunliches rhythmisches
Gefühl und die Beschaffenheit seines Körpers, seiner
Schultern, Arme und Hände, hätte er niemals dieser un-
vergleichliche Virtuose werden können, den wir heute in
ihm bewundern.
Paganini ist blaß, schlank und von mittlerer Größe.
Er zählt erst 47 Jahre, aber seine Magerkeit und das Fehlen
der Zähne, das seinen Mund einfallen und sein Kinn schär-
fer hervortreten läßt, verleiht ihm ein weit älteres Aus-
sehen. Sein übermäßig großer Kopf, der auf einem langen,
dünnen Hals sißt, steht auf den ersten Blick in argem Miß-
verhältnis zu seinen dürren Gliedern. Eine hohe, breite,
eckige Stirn, eine sehr charakteristische Adlernase, vol-
lendet geschwungene Augenbrauen, ein geistvoller, bos-
haft zuckender Mund, der an den Voltaires ein wenig ge-
mahnt, große, stark abstehende Ohren, lange, schwarze
Haare, die unordentlich auf die Schultern herabhängen,
und zu der blassen Gesichtsfarbe in scharfem Kontrast
117
stehen, verleihen Paganini ein ungewöhnliches Aussehen,
das in gewissem Grade bereits die Originalität seines
Genies wiederspiegelt. Man hat zu Unrecht behauptet,
da§ der Ausdruck physischen Schmerzes den Zügen Pa-
ganinis etwas Verlegenes, Wehmütiges, eingeprägt hat,
hervorgerufen durch üble Lebenserfahrungen. Ich gestehe,
daß mir mein Umgang mit Paganini niemals ein derartiges
Bild von ihm erweckt hat; ich fand ihn immer heiter, geist-
reich, ausgelassen im Kreis von Freunden oder in kind-
lichen Spielen mit seinem niedlichen, kleinen Achille. Und
ich kann mit mehr Berechtigung über Paganini urteilen als
irgend sonst jemand, da ich seit mehr als zehn Jahren zu
seinen Vertrauten zähle und tausendfach in der Lage war,
ihn zu beobachten, zunächst in Italien, vor allem aber in
Wien, wo ich ihn monatelang ärztlich behandelte; nichts
Physiologisches aus seinem Leben ist mir fremd. Ich bin
überzeugt, daß es nur einem Freunde gelingen konnte,
sowohl in seinen gesunden Tagen, wie während seiner
früheren Krankheiten, die zur Beurteilung seiner körper-
lichen Konstitution erforderlichen Einzelheiten in Erfah-
rung zu bringen. Kein anderer wäre vor allem zur Un-
tersuchung seiner Organe, der Einrichtungen seines Kör-
pers und seiner Gliedmaßen vorgedrungen, und es hätte
ihm somit jede Grundlage gefehlt für den Versuch, sich von
dem Phänomen, das der erstaunliche Mechanismus seines
Spiels darstellt, Rechenschaft abzulegen. Doch ehe ich
von diesem Mechanismus selbst spreche, in dem meiner
Ansicht nach zum großen Teil das Geheimnis beruht,
dessen sich Paganini rühmt, will ich diese wichtigeren Fra-
gen berühren.
Paganini war nicht schwindsüchtig, wie man lange ge-
fürchtet hat. Er ist so mager, nicht weil er tuberkulös ist,
118
sondern seiner Naturanlage nach. Die linke Schulter ist
höher als die andere, was, wenn er aufgerichtet steht und die
Arme hängen lä&t, die rechte Seite viel länger erscheinen
lä&t. Man kann an ihm die Dehnbarkeit der kapseiförmi-
gen Sehnenstränge der beiden Schultern beobachten, das
Nachlassen der Muskelbänder, die das Handgelenk mit
dem Vorderarm, die Handwurzel mit der Mittelhand und
die Glieder unter einander verbinden, wodurch ihm das
Beugen eines Gelenks nach allen Richtungen ermöglicht
wird . . . Die Hand ist nicht grö&er als eine normale; aber
durch die Dehnbarkeit, die all ihren Teilen eigen ist,
verdoppelt sie ihre Spannungsmöglichkeit. So kann er
z. B., ohne die Lage der Hand zu verändern, die vorderen
Glieder der Finger der linken Hand, die die Saiten berührt,
seitlich umbiegen, senkrecht zur natürlichen Gelenkbewe-
gung, und zwar mit spielender Leichtigkeit, Sicherheit und
Schnelligkeit. Die Kunst Paganinis beruht im Grunde auf
den ihm von Natur verliehenen Körpergaben, die er durch
unermüdliches üben förderte und ausbaute. — Sein
Kleinhirn ist von abnormer Grö&e. Der Gehörsinn ist bei
ihm erstaunlich entwickelt: er hört selbst im Flüsterton Ge-
sprochenes auf gro&e Entfernung, und die Empfindlichkeit
seines Trommelfells ist so fein, da& er tatsächilch Schmerz
empfindet, wenn in seiner Nähe oder gar seitlich von ihm
laut gesprochen wird. Er ist daher gezwungen, seinem
Partner in der Unterhaltung möglichst gerade gegenüber
zu stehen. Die Einwirkung ist noch um vieles stärker beim
linken Ohr, das beim Spiel der Geige am nächsten ist.
Seine Ohren sind in der Tat zur Aufnahme der Schall-
wellen vortrefflich gebaut; die Muschel ist weit und tief,
die Vorsprünge und Kanten sind scharf herausgearbeitet.
Man kann unmöglich ein in allen Teilen besser pro-
119
portioniertes und schärfer ausgebildetes Ohr antreffen.
Paganinis Feinheit des Gehörs übertrifft jede Vor-
stellung. Mitten in dem betäubenden Lärm der Schlag-
insfrumente eines vollbesefeten Orchesters genügt ihm
zum Stimmen seiner Geige ein leises Berühren mit dem
Finger, und er bemerkt unter gleichen Umständen
mit derselben Sicherheit das Verslimmtsein eines der we-
niger geräuschvollen Insfrumente, und zwar auf eine un-
glaubliche Entfernung. Des Oftern hat er in verblüffender
Weise gezeigt, w i e musikalisch er ist, indem er auf einer
verstimmten Geige richtig spielte.
Die Musik durchdringt Paganini; wir wissen von ihm,
dafj im Alter von fünf Jahren das Läuten der Glocken bei
ihm zeitweise eine freudige Erregung, zeitweise eine selt-
same Melancholie auslöste, er konnte vor allem in der
Kirche die Klänge der Orgel nicht hören, ohne bis zu
Tränen gerührt zu sein. Er mag noch so leidend oder elend
sein, der erste Bogenstrich wirkt wie ein elektrischer Funke,
der ihm neues Leben verleiht, all seine Nerven schwingen
mit den Saiten seiner Geige, und sein Verstand vermag
nur noch die Regungen seiner Seele in Musik zum Er-
klingen zu bringen; er und seine Geige sind dann Eins!
Er lebt nur noch durch seine Violine, in ihr ruht seine Seele,
von hier aus spricht sie zu uns, von hier aus herrscht sie
uneingeschränkt, und dann zwingt sie den Körper Paga-
ninis, im Bann einer himmelstürmenden Kraftanspannung,
zur Entfaltung all jener Zaubertöne, die in ihm verborgen
schlummern."
120
Franz Schubert und Bauernfeld (Wien, 1828):
„Nach dem achten Konzert," erzählt Bauernfeld, „hatte
er schon über 20 000 Gulden verdient. Nur ein Konzert
muBte er verlegen, weil im Tiergarten zu Schönbrunn zum
erstenmal eine Giraffe zu sehen war, was ganz Wien auf
die Beine brachte. Denn eine Giraffe ging den Wienern
doch noch über Paganini. Die fünf Gulden, die dieser
Konzert-Korsar verlangte, waren mir unerschwinglich; da|
ihn S ch u b e r t hören mu&le, verstand sich von selbst,
aber er wollte ihn durchaus nicht wieder hören ohne mich;
er ward ernstlich böse, als ich mich weigerte, die Karte von
ihm anzunehmen. „Dummes Zeug," rief er aus, „ich hab
ihn schon einmal gehört und mich geärgert, da& du nicht
dabei warst! Ich sage dir, so ein Kerl kommt nicht wieder!
Und ich hab jefet Geld wie Häckerling; komm also." Da-
mit zog er mich fort. — Wir hörten den infernalisch-himm-
lischen Geiger und waren nicht minder entzückt von seinem
wunderbaren Adagio, als höchlich erstaunt über seine son-
stigen Teufelskünsie, auch nicht wenig humoristisch erbaut
durch die unglaublichen Krabfü&e der dämonischen Ge-
stalt, die einer an Drähten gezogenen, mageren, schwarzen
Puppe glich."
Meyerbeer (Berlin, 1829):
,Wo unser Denken aufhört, da fängt Paganini an!"
Holte i (Berlin, 1829):
„Du regst der Seele Tiefen, rufst ein Sehnen
Aus stillem Busen an das Licht hervor;
121
Wir glauben dir, wir bringen unsre Tränen,
Da trifft ein Mitlaut das bewegte Ohr; —
Du spielst mit uns wie mit den bunten Tönen,
Du ziehst uns an, du stoßest uns zurüde,
Und deine Kunst will uns nicht mehr versöhnen,
Aus deinen Klängen spricht kein heitres Glück.
Gewalt'ge Klagen deines eignen Lebens
Vernehmen wir aus dieser Meisterschaft:
Du stehst am Ziele jedes ird'schen Strebens,
Doch ohne Freude scheint die Riesenkraft."
Goethe-Zelter (Berlin— Weimar, 1829).
Zelter an Goethe, 1. Mai:
„Es ist außerordentlich, was der Mann leistet und da-
bei muß bemerkt werden: daß die Wirkung seines Spieles
ganz allgemein erwünscht und andern Virtuosen auf sei-
nem Instrument ganz unbegreiflich ist. Sein Wesen ist
also mehr als Musik, ohne höhere Musik zu sein . . .
In jedem Falle aber ist er ein vollkommener Meister seines
Instruments in h ö ch s t e r Potenz, insofern was ihm auch
nach bestem Willen nicht gelingt, wie eine kecke Variation
herauskommt."
Goethe (nachdem er Paganini in Weimar gehört)
an Zelter am 13. November:
„Was die Aufmerksamkeil an diesem Virtuosen so in
Beschlag nimmt, mag eine Vermischung sein des Grillen-
haften mit der Sehnsucht nach Ungebundenheit. Es ist
eine Manier aber ohne Manier; denn es führt wie ein
122
Faden, der immer dünner wird, ins Nichts. Es leckert nach
Musik, wie eine nachgemachte Auster gepfeffert und ge-
säuert verschluckt wird."
Robert Schumann (Frankfurt a. Main, 1830):
„Als ich Paganini zuerst hören sollte, meinte ich, er
würde mit einem nie dagewesenen Tone anfangen. Dann
begann er und so dünn, so klein! Wie er nun locker, kaum
sichtbar seine Magnetketten in die Massen wirft, so
schwankten diese herüber und hinüber. Nun wurden die
Ringe wunderbarer, verschlungener; die Menschen dräng-
ten sich enger; nun schnürte er immer fester an, bis sie
nach und nach wie zu einem einzigen zusammenschmol-
zen, dem Meister sich gleichwiegend gegenüberzustellen,
als eines vom andern zu empfangen."
„Paganini ist der Wendepunkt der Virtuosität."
Franz Liszt (Paris, 1840):
Nekrolog auf Paganini.
(In der „Gazette musicale" widmete Liszt dem Dahin-
geschiedenen einen Nachruf, der als Zeugnis echten und
hohen Künstlertums unvergänglich bleiben wird. Er selbst
sollte später dieser Erbe Paganinis, dieser „Künstler der Zu-
kunft" werden, und das großherzige „Genie oblige" ward
zur Devise seines Lebens.)
„Paganinis Lebensflamme ist erloschen; mit ihm
schwand eines jener Prachtgebilde, wie sie die Natur uns
nur zu schenken scheint, um sie eiligst wieder zurückzufor-
123
dem — eine Wundererscheinung, wie sie das Reich der
Kunst nur einmal, dieses einzige Mal gesehen.
Die unerreichbare, nicht zu überflügelnde Größe sei-
nes Genies schreckt selbst die ihm Nachstrebenden. Ihm
wird keiner folgen, seinem Ruhm kein anderer ebenbürtig
zur Seite gestellt werden können. Sein Name wird nie
im Zusammenhang mit anderen genannt werden. Denn
welches Künstlers Ruhm ist von solch schattenlosem
Sonnenglanz bestrahlt, wer ist nach dem begeisterten,
ungeteilten Urteil der Welt Herrscher im Reiche der Kunst
auf einsamer Höhe, gleich ihm?
Als Paganini, vierzig Jahre alt, nachdem er seinem
Talent die denkbar größte Vollkommenheit abgerungen
hatte, vor die Öffentlichkeit trat, da staunte ihn die Welt
wie eine übernatürliche Erscheinung an. Das Aufsehen,
das er erregte, war so außerordentlich, der Zauber, den
er auf die Phantasie seiner Hörer ausübte, so gewaltig,
daß diese sich nicht mit einer natürlichen Erklärung zu-
frieden geben wollte. Alte Hexen- und Spukgeschichten
des Mittelalters tauchten vor ihr auf, man suchte das
Wunderbare seines Spiels aus seiner Vergangenheit zu
erklären, das Unerhörte seines Genies auf übernatürliche
Weise zu begreifen, ja man munkelte, daß er seine Seele
dem Bösen verschrieben, und daß jene vierte Saite, der
er so zauberische Weisen entlockte, der Darm seines Wei-
bes sei, das er eigenhändig erwürgt habe.
Er durchreiste ganz Europa. Überall streute die durch
sein Spiel herbeigelockte Menge begeistert Gold auf sei-
nen Weg. Anderen bedeutenden Instrumentalkünstlern
glaubte man seitdem das größte Lob dadurch spenden
zu können, daß man ihnen Paganinis Namen beilegte. Es
gab jeßt Paganinis des Klaviers, des Kontrabasses, der
124
Guitarre. Die Violinisien gaben sich die undenklichste
Mühe, ihm sein Geheimnis abzulauschen. Im Schwei&e
ihres Angesichts arbeiteten sie an den Schwierigkeiten
herum, die er spielend geschaffen, ohne dadurch, da das
Publikum für sie nur ein mitleidiges Lächeln übrig hatte,
bekannt zu werden und aus ihrem untergeordneten Rang
aufzusteigen. So genofe Paganinis Ehrgeiz, falls er über-
haupt welchen besa|, das seltene Glück, in unerreichten
Höhen wandeln zu dürfen, ohne durch Ungerechtigkeit
oder Gleichgültigkeit beunruhigt zu werden. Nicht einmal
das Hinabsteigen seines Gestirns zum Rand des Grabes
ward verdunkelt von dem lästigen Schatten eines Erben
seines Ruhmes.
Doch wer, der nicht selbst Zeuge davon war, wird es
glauben, dafe dieses Talent, dem die Welt so verschwen-
derisch spendete, was sie oft der Gröfje versagt: Ruhm
und Reichtum, da& dieser Mann, dem soviel Begeisterung
entgegenjauchzte, sich nicht traulich zu Menschen ge-
sellte? Niemand ahnte, was in seinem Herzen vorging;
sein reichbegnadetes Leben verklärte nie das eines ande-
ren, keine Gemeinschaft des Geistes oder des Herzens
verband ihn mit seinen Erdenbrüdern: fremd blieb er jeder
Neigung, fremd jeder Leidenschaft, fremd selbst seinem
eigenen Genius; denn was ist der Genius anderes, als die
der Menschenseele ihren Gott offenbarende Priestermacht?
Paganinis Gott aber ist nie ein anderer gewesen, als stets
sein eigenes düster trauriges Ich!
Nur zaghaft und mit Widerstreben spreche ich diese
harten Worte aus. Denn ich weil, ob man Tote tadelt
oder Lebende lobt, immer mu| man schlechten Dankes
gewärtig sein. Stets folgt unter dem Vorwand, die Hei-
125
ligkeit der Gruft respektieren zu müssen, bei dem Urteil
über einen Menschen auf die Lüge der Verkeßerung un-
mittelbar der Trug der Apotheose, und man führt dann
regelmäßig einige Taten der Wohltätigkeit an, um dadurch
alle Anschuldigungen zu entkräften. Doch was sind ver-
einzelte Fälle gegen das Zeugnis eines ganzen Lebens?
Es ist für den Menschen ebenso schwer nur Böses zu tun,
wie nur Gutes. Ich werfe daher die Frage auf, wobei ich
das Wort Egoismus hier nicht in seiner eigentlichen, son-
dern in einer umfassenderen Bedeutung gebrauche und
es mehr auf den Künstler wie den Menschen beziehe: ist
es unbegründet, den Ausganspunkt, wie den Endzweck
Paganinis in kaltem Egoismus zu ersehen?
Wie dem auch sei — Friede seinem Andenken! Er
war groß. Jede Größe trägt ihre eigene Schuldentlastung
in sich selbst. Wissen wir denn, um welchen Preis der
Mensch seine Größe erkauft? Wird die Lücke, die Paga-
ninis Tod gerissen, bald sich wieder schließen? Sind die
Haupt- und Nebenmotive, denen er seine Herrscherstel-
lung, die ich ihm freudig zuerkenne, verdankte, derartig,
daß sie sich wiederholen können? Wird die von ihm er-
oberte künstlerische Königswürde in andere Hände über-
gehen? Wird es noch einen zweiten Künstlerkönig geben?
Ich sage es ohne Zögern, kein zweiter Paganini wird
uns erstehen. Das wunderbare Zusammentreffen eines
gewaltigen Talentes mit den zu einer glänzenden Apo-
theose geeigneten äußeren Umständen wird in der Kunst-
geschichte ein Einzelfall bleiben. Wenn ein Künstler es
jeßt wie Paganini versuchen wollte, mit absichtlich umge-
worfener Hülle von etwas Geheimnisvollem die Geister
in Erstaunen zu verseßen, so würde er keine Überraschung
126
mehr erzielen, und die Erinnerung an Paganini würde ihn,
selbst wenn er ein unschätzbares Talent besäße, zum Char-
latan und Plagiator stempeln. Überdies verlangt das
Publikum jeßt von einem „Lieblingskünstler" etwas ganz
anderes, und nur auf einem dem Paganinis entgegenge-
sefeten Wege würde dieser ähnlichen Ruhm und Macht er-
ringen können.
Der Künstler, welcher sich die Kraft zutraut, nach Pa-
ganinis Erbe zu streben, darf sich nur eine Aufgabe
stellen: die Kunst nicht als beguemes Mittel für eigen-
nüfeige Zwecke und unfruchtbare Berühmtheit aufzufassen,
sondern als eine heilige Macht, welche die Menschen um-
faßt; das eigene Leben zu jener hohen Würde heranzu-
bilden, die dem Talent als Ideal vorschwebt; den Künst-
lern das Verständnis zu erschließen für das, was sie sollen
und können; die öffentliche Meinung zu beherrschen durch
das Übergewicht, welches ein edles, hochsinniges Leben
verleiht und in den Herzen der Mens chen die
dem Guten so nahverwandte Begeisterung
für das Schöne zu entzünden und zu nähren!
Diese Aufgabe ist zwar schwer, doch nicht unlösbar.
Jedem Streben steht ein breiter Weg offen, und jeder, der
seine Kunst dem heiligen Dienst einer Überzeugung, einer
Erkenntnis weiht, darf eines teilnahmsvollen Verständ-
nisses sicher sein.
Wir alle ahnen eine Umgestaltung unserer sozialen
Verhältnisse. Ohne die Bedeutung des Künstlers hierfür
übertreiben und ohne, wie so häufig, seine Mission mit
großtönenden Worten verkünden zu wollen, glauben wir
doch die feste Überzeugung hegen zu dürfen, daß auch
ihm von der Vorsehung eine Bestimmung als Mitarbeiter
an dem neuen, edlen Werk zuerkannt wurde.
127
Möge der Künstler der Zukunft froh und freudig auf
eine eitle, egoistische Rolle verzichten, die hoffentlich in
Paganini ihren legten glanzvollen Repräsentanten beses-
sen hat; möge er sein Ziel i n und nicht a u | e r sich
sefeen und ihm Virtuosität Mittel, nie Zweck sein. Stets
möge er eingedenk sein, da&, obwohl es hei&t: „Noblesse
oblige", in weit höherem Grad als der Adel:
„Genie oblige!"
128
DER KUNSTLER
Der Virtuose
Paganini bedeutet den Gipfel des Virtuosentums, zu-
gleich aber auch seinen Wendepunkt. Mit genialem
Scharfblick griff er die technischen Errungenschaften seiner
Vorgänger, deren tastende Versuche, neue Wege zu wan-
deln, wieder auf und schuf sich auf dieser Grundlage einen
eigenen Stil, eine ganz neue Technik. Zwar waren gewiij
einzelne der von Antonio Lolli oder dessen allerdings in
übelste Charlatanerie ausartenden Nachfolgern erfundenen
Kunststückchen, die einst die Welt in Staunen verseht hat-
ten, nicht zu verachten, was aber Paganini nun bot, stellte
doch alles Vorangegangene tief in den Schatten; diesem
Riesen gegenüber mu| alles andere zwergenhaft erschei-
nen. Dank des selten glücklichen Zusammentreffens einer
anormalen Begabung mit einer zu deren Verwertung ge-
radezu prädestinierten körperlichen Konstitution gelang es
diesem SproB aus Genieland, in kühnem Ansturm gleich
den Gipfel zu erklimmen. Paganini hat die Entwicklungs-
möglichkeiten der Violintechnik restlos erschöpft und sei-
nem Instrument die lebten Geheimnisse entlockt. Seinen
Nachfolgern blieb bis zum heutigen Tag auf technischem
Gebiet nichts mehr zu entdecken übrig. Dies ist die unver-
gängliche Tat des Virtuosen Paganini.
9* 131
Doch diese allein hätte nicht genügt, Europa jahrelang
in fanatische Erregung zu versefeen. Die Wirkung dieses
Zauberers auf die Massen wurzelt außer in der faszinieren-
den und verblüffenden Art seines Spiels in dem seltsamen
Rahmen seiner Persönlichkeit. Das Unheimliche seiner
schon von Natur phantastisch-tragikomischen Erscheinung
war durch raffinierte Reklame und geschickte Ausnüfeung
der für ihn besonders günstigen Zeitverhältnisse noch ge-
steigert, und das Publikum zahlte die teuren Eintrittspreise
zu seinen Konzerten wahrhaftig nicht nur, um sein uner-
hörtes Geigenspiel zu hören, sondern um dieses sagenum-
wobene Wellwunder leibhaftig vor sich zu sehen. Die
menschliche Neugierde war der unwiderstehlichste Werber
für seine Konzerte, und Paganini verstand es vortrefflich, sie
immer aufs Neue anzureizen. So wirkte alles zusammen,
um diesem Künstler einen zuvor ungeahnten und auch nie-
mals sich wiederholenden Triumphzug durch die Welt zu
ermöglichen. Das Virtuosentum stand hier im Zenith. Über-
boten konnte Paganini als Virtuose niemals werden, ja
kaum jemals erreicht, da ein glückliches Zusammentreffen
so vieler günstiger Vorbedingungen, wie bei ihm, schwerlich
wiederkehren dürfte; das Virtuosentum war daher mit Pa-
ganini auch an einem entscheidenden Wendepunkt ange-
langt. Auf seiner Fährte, deren künstlerischer Schwer-
punkt im rein Technischen ruhte, konnten nur schwächliche
Nachahmer gedeihen, die, da ihnen ihres Vorbilds Genie
und Persönlichkeit mangelte, entweder beim Publikum
keinen Anklang fanden oder zu leeren Possenreißern her-
absanken. Nur auf einer ganz anderen Grundlage konnte
nach Paganini ein Virtuose ähnliche Triumphe erringen:
Dies gelang ein Jahrzehnt später Franz Liszt, dem Be-
gründer des modernen, veredelten Virtuosentums, zu dem
132
der Anstoß jedoch, wie wir bereits früher dargelegt haben,
auch indirekt Paganini zu danken ist.
Doch der Einfluß Paganinis in der Welt der Geige war
ein zwiefacher. Neben seinen unvergänglichen Verdiensten
um die Vollendung der Technik steht als Schattenseite das
verderbliche Vorbild, die gefährliche Lockung, die seine
beispiellose Ruhmesbahn einer Unmenge junger Geiger
bietet. Die gro&e Schar der unkünstlerischen, nufelosen
„Nur-Techniker" fällt Paganini zur Last, ohne da& man ihn
natürlich dafür verantwortlich machen darf. „Zahlreiche
junge Künstler," sagt Joseph J o a ch i m im Hinblick auf
Paganini, „wiegen sich, verlockt durch dessen unerhörte Er-
folge, in der Hoffnung, zu ähnlicher Berühmtheit gelangen
zu können, wenn sie nur seine verführerische Technik nach-
ahmen. Ehe sie eine gesunde, ernste Basis für die unent-
behrlichen Erfordernisse eines guten Spiels gelegt haben,
beginnen sie mit wahrer Wollust rein technische Studien,
vernachlässigen die Reinheit und Schönheit des Tones und
der Intonation und gehen des großen Stils im allgemeinen
verlustig. Sie verlieren dabei die Aufmerksamkeit für die
Haupt- und Grundregeln ihrer Kunst, und die traurigen Fol-
gen davon machen sich noch in unseren Tagen bei einer
großen Anzahl Geigern fühlbar. Was bei Paganini nur ein
Mittel war, sein Ziel zu erreichen, wird bei jenen die Haupt-
sache und dadurch eine Grimasse, eine Karikatur."
Da Paganini seinen Plan, eine Violinschule aufzuzeich-
nen, leider nicht ausgeführt und keinen einzigen Schüler
(denn der unbedeutende Sivori ist als solcher kaum zu
zählen) hinterlassen hat, so sind wir, zumal von seinen Kom-
positionen nur ein kleiner Bruchteil bekannt ist, in der
Hauptsache auf Beobachtungen von Augenzeugen ange-
wiesen, wenn wir ein Bild seiner Spielweise rekonstruieren
133
und das von ihm gewonnene Neuland der Violintechnik
rekognoszieren wollen.
Eine sehr anschauliche Vorstellung von Paganinis
Kunstfertigkeit gewinnt man aus der eingehenden Be-
sprechung, die der Pariser Musikkritiker F. J. Felis nach
des Künstlers erstem Auftreten am Strand der Seine in
seiner Zeitschrift „Revue musicale" (1831, Nr. 6] gegeben
hat: „Paganini lieg sich zunächst mit seinem ersten Konzert
hören, das für das Orchester in Es, für die Sologeige aber
in D gesefel ist, wobei das Instrument dann einen halben Ton
höher gestimmt wird. Hierdurch erzielt Paganini glanz-
vollere Töne und kann technische Schwierigkeiten überwin-
den, die ihm in der wirklichen Es-dur-Tonarl unüberwind-
lich wären, da ihm Leersaifen jefet Möglichkeiten bieten,
deren er sonst beraubt gewesen wäre. Wenn man ihn so
dastehen sieht, das Schwergewicht ganz auf einer Hüfte,
wenn man die Haltung seines rechten Armes und seiner
Hand ganz am Frosch des Bogens erblickt, so meint man
unwillkürlich, daß die Bogenführung recht linkisch ausfallen
und der rechte Arm ganz steif sein müsse, aber bald er-
kennt man, dafj Arm und Bogen sich mit gleichmäßiger
Geschmeidigkeit bewegen, und daß das, was man zuerst
für ein Gebrechen hielt, auf sorgfältigsten Studien alles
dessen beruht, was zur Hervorbringung der vom Künstler
angestrebten Effekte am förderlichsten ist. Der Bogen
schien von normaler Länge, doch war der Rücken infolge
einer etwas stärkeren Spannung, als der üblichen, etwas
weniger eingebogen. Wahrscheinlich beabsichtigt der
Künstler dadurch das Zurückprallen des Bogens beim
Staccato leichter zu machen, da er ihn in ganz anderer
Weise als die übrigen Geiger auf die Saiten peitscht und
wirft. — Seine Hände sind groß, dürr und sehnig, und all
134
seine Finger besifeen infolge rastlosen Trainierens eine Ge-
lenkigkeit und Geschicklichkeit, von der man sich keinen
Begriff machen kann. Der linke Daumen klappt sich nach
Belieben bis in die Handfläche um, falls dies zur Hervor-
bringung einiger Effekte beim Übergreifen notwendig ist.
Infolge dieser Gelenkigkeit scheint Paganini diesen Finger
auch über dem Griffbrett der Geige zusammenkrampfen zu
können, um ihn beim Zupfen der vierten Saite zu benufeen.
Der Ton, den er dem Instrument entlockt, ist im allgemeinen
schön und rein, ohne besonders gro& zu sein, mit Aus-
nahme von wenigen Effektstellen, an denen er ersichtlich
seine ganze Kraft zur Erzielung einer ungewöhnlichen Wir-
kung zusammenrafft. Doch was diese Seite seines Talents
besonders auszeichnet, ist die Mannigfaltigkeit des Ton-
klangs, die er aus den Saiten hervorzaubert durch Mittel,
die seine Entdeckung sind, oder die vielmehr, nachdem sie
andere bereits aufgefunden hatten, wieder vernachlässigt
worden waren, da man ihre Tragweite nicht erkannt hatte.
So spielen die Flageolettöne, die man immer viel mehr als
einen kuriosen, minderwertigen Effekt, wie als ein wirkliches
Hilfsmittel für den Geiger ansah, in Paganinis Spiel eine
wichtige Rolle. Und zwar bedient er sich ihrer nicht nur an
vereinzelten Effektstellen, sondern als künstlerisches Mit-
tel, Intervalle zu ermöglichen, die selbst eine noch so gro&e
wohlausgebildete Hand nicht zu spannen vermöchte. Da-
bei findet er diese Nebentöne nicht etwa nur an bestimm-
ten Stellen jeder Saite, sondern in allen Lagen und mit
einer Schnelligkeit, die ans Wunderbare grenzt, wenn man
bedenkt, dafe bei allen derartigen Veränderungen der
Handhaltung ein Finger sich mit ganz besonderer Kraft auf
die Saiten aufdrücken mulj, um dort die Funktion des Gei-
gensattels zu übernehmen, ohne indes die Gelenkigkeit der
135
anderen Finger zu beeinträchtigen. Aber das ist noch nicht
alles: vor Paganini lie£ sich kein Mensch träumen, dafj es
möglich wäre, au&er den einfachen Flageolettönen auch
solche in Doppelgriffen der Terz, Quinte, Sexte auszuführen
und da| man schließlich sogar natürliche mit Flageolettönen
in Oktavengängen zusammenklingen lassen kann. All diese
Wunderdinge führt Paganini in allen Lagen seines Instru-
ments mit verblüffender Leichtigkeit aus, und sie sind ihm
so vertraut geworden, da£ sie für ihn nur noch Effektmittel
bedeuten, die er ständig zur Hand hat. -— Ein ganz neuer
eigenartiger Effekt bei ihm ist das zitternde Vibrato der
Saite, das er im Gesang verwertet. Dieser ähnelt deutlich
dem der menschlichen Stimme, namentlich auf den drei
lefeten Saiten; leider ist damit häufig bei ihm eine rut-
schende Bewegung der Hand verbunden, vergleichbar dem
Ziehen der Töne beim menschlichen Gesang, das man mit
Recht an der Methode einiger Sänger tadelt und als ge-
schmacklos empfindet. — Das Zupfen der Saiten wurde in
Paganinis Spiel häufig angewandt, und er besa| darin eine
wunderbare Geschicklichkeit.
Noch ein Wort über das Technische bei diesem unver-
gleichlichen Künstler. Was er auf der Geige ausführt, hat
so wenig Beziehungen zu dem, was man im allgemeinen auf
diesem Instrument leistet, da& er nur durch eine ganz be-
sondere Methode dahin gelangt sein kann, auch sein Fin-
gersab ähnelt in nichts dem üblichen Schulgebrauch. Häufig
greift er mit einem Finger in die Rechte eines anderen ein,
noch häufiger bedient er sich ein und desselben Fingers für
mehrere Noten, fast nie beendet er seine Triller, und er
führt sie, was anderen Geigern unbekannt ist, in vielen
Lagen mit dem kleinen Finger aus. —
Die Doppelgriffgänge im Glöckchenrondo und die An-
136
Wendung des Springbogens sind etwas vollkommen Neues
und haben nichts mehr von der gebräuchlichen Form eines
Violinkonzerts. Zweierlei ist dabei an Paganinis Ausführung
dieser Dinge besonders zu beachten: die ungetrübte Rein-
heit der Doppelgriffe — dieser Klippe selbst der geschick-
testen Geiger — auch bei in rasender Geschwindigkeit aus-
geführten Stücken, und die fabelhafte Sicherheit, mit der
der Bogen immer senkrecht auf die Saiten fällt, wie gro&
auch die Intervalle sein mögen. In diesem einzigen win-
zigen Bruchteil von Paganinis Kunst steckt die übungszeit
eines ganzen Lebens.
Die Violine ist in Paganinis Händen nicht mehr das
Instrument Tartinis oder Viottis; sie ist etwas vollständig
anderes, mit einem neuen Ziel. Eine für die Wunder dieses
einzigartigen Spiels besonders günstige Körperbeschaffen-
heit genügt nicht zur Erlangung und Erklärung solcher
Resultate: dazu gehörten in gleichem Mag ununterbrochene,
angestrengte gründliche Studien, ein zum Entdecken der
Geheimnisse des Instrumentes fähiger Instinkt und diese
unerschütterliche Willenskraft, die einzig jedes Hindernis
siegreich überwinden kann."
Noch ausführlicher als Felis in diesen interessanten
Schilderungen geht der Kapellmeister Karl Guhr in
Frankfurt a. Main dem Phänomen Paganini zu Leibe und
sucht, begünstigt durch den mehrere Monate währenden
dortigen Aufenthalt des Künstlers (1829), durch sorgfältige
Studien und Beobachtungen die Wunder seines Spiels zu
erkunden und das Neue, Unerhörte, worin sich Paganini
von allen Meistern der Violine absondert, zu erforschen.
Wie unermüdlich und gewissenhaft Guhr dabei zu Werke
ging, beweist die Tatsache, da& es ihm sogar möglich
wurde, zwei Paganinische Kompositionen nach dem Ge-
137
dächinis aufzuzeichnen. Als Frucht dieser Bemühungen ver-
öffentlichte er 1831 eine längere mit zahlreichen Notenbei-
spielen versehene Abhandlung: „über Paganinis
Kunst, die Violine zu spiele n." *) Ihre wesent-
lichsten Resultate seien hier kurz zusammengefaßt:
Paganini benufete möglichst dünne Saiten (hierdurch
erklärt sich auch sein verhältnismäßig kleiner Ton), da dies
für sein Flageolefspiel, das Pizzicato der linken Hand und
das von ihm angewandte Höherstimmen der Saiten um einen
halben Ton, ja das G zuweilen um eine kleine Terz, erfor-
derlich war. Von den anderen Meistern der Geige unter-
scheidet er sich hauptsächlich durch: 1. die besondere Stim-
mung seines Instruments, 2. die eigentümliche Bogenführung,
3. das Pizzicato der linken Hand in Verbindung mit dem
Spiel mit dem Bogen, 4. häufige Anwendung des Flageolefs
in einfachen wie Doppeltönen, 5. das Spiel auf einer Saite,
6. Nachahmung des Zusammenspiels mehrerer Instrumente.
Häufig ereignete es sich, daß Violinspieler, die während
eines Konzertes Paganinis Geige untersuchten, kopfschüt-
telnd das „verstimmte" Instrument zurückgaben. Doch es
war nicht verstimmt, sondern nur eigenartig gestimmt. Pa-
ganini griff hier auf eine Methode der Stimmung zu-
rück, die schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
der Salzburgische Kapellmeister Franz Heinrich Biber zur
Erzielung eigenartiger Klangwirkungen versucht haben soll.
Die eigentümliche Stimmung ermöglichte es ihm, Passagen
und Akkordfolgen, die in der Tonart, in der die Komposi-
tion gesell war, unmöglich ausführbar gewesen wären,
*) Diese auch heutigentags für jeden Geiger noch interessante
Schrift ist im Verlag 5. Schott's Soehne erschienen, der sie mir zusammen
mit seinen übrigen zahlreichen Paganini-Publikationen für meine Arbeit
freundlichst zur Verfügung stellte.
138
mit Leichtigkeit zu spielen. So war z. B. bei den Stücken
für die G-Saite diese stets in B statt G gestimmt, wodurch
die Schwierigkeiten der Applikatur sich wesentlich verrin-
gerten. Die Lösung des vielerörterten „Geheimnisses", das
Paganini gehütet haben soll, dürfte wohl am ehesten hier
zu suchen sein. Bei Werken mit Orchester waren die Sai-
ten seiner Geige stets einen halben Ton höher gestimmt,
als die seiner Begleiter, dadurch war es ihm möglich, in den
glänzenderen und für die Flageolettöne günstigeren Ton-
arten A und D-dur zu spielen, während das Orchester ihn
in den weniger hellen Tonarten B und Es-dur begleitete.
Ob Paganini während eines Stückes durch einen einzigen
Ruck des Wirbels die Saiten zuweilen umgestimmt hat, wie
viele berichten, ist nicht einwandfrei nachgewiesen. Der
Gefahr, daß die heraufgestimmten Saiten sehr bald von
selbst in der Stimmung nachließen, begegnet er durch sorg-
fältiges Einstimmen der Saiten für den gewünschten Ton,
ehe er sie in Gebrauch nahm.
Paganinis Bogenführung hatte bei der Wieder-
gabe von Passagen etwas eigentümlich Werfendes und
Springendes. Die Gesefee vom Auf- und Herabstreichen
umkehrend, trug er Auftakte mit dem Niederstrich, Nieder-
schläge mit dem Aufstrich vor. Der rechte Arm liegt ganz
fest am Körper und bewegt sich beinahe niemals. Freien
Spielraum hat nur das sehr gekrümmte Handgelenk, das sich
äußerst leicht bewegt und mit der größten Schnelligkeit die
elastischen Bewegungen des Bogens leitet. Nur bei stark
herausgerissenen Akkorden, wobei der Unterteil des Bo-
gens nahe am Frosch gebraucht wird, hebt er die Hand
und den Vorderarm etwas höher und den Ellbogen vom
Körper ab. Im „Perpetuum mobile" spielte er ganze Par-
tien mit einem Bogenstrich, das staccato auf- und abwärts
139
in unglaublicher Vollendung. Dabei wurde meist nicht
jede Note durch einen eigenen Druck oder Sto| der Arm-
muskeln hervorgehoben, vielmehr hüpfte der einmal auf die
Saite geworfene Bogen bei stetiger Fortführung des Armes,
gewisserma|en vermöge seiner eigenen oder der Saite
Elastizität auf und nieder, wie ein über den Wasserspiegel
geschleudertes Steinchen.
Ebenso kunstvoll erwies sich Paganinis A p p 1 i k a -
t u r der linken Hand. . Hier bildete er das in der früheren
italienischen Schule häufig angewendete, später vernach-
lässigte Pizzicato in Verbindung mit dem Bogenspiel zu
höchster Vollendung aus. Seine au|erordentlich geschmei-
dige Hand ermöglichte es ihm z. B., mit den drei Vorder-
fingern der Linken den Ba& zu kneipen (hierbei bewährte
sich vor allem die Wahl dünner, leichter in Schwingung zu
versehender Saiten), während die beiden anderen auf den
oberen Saiten eine Melodie spielten. Durch eigenartiges
Aufsehen der Finger auf Saite und Griffbrett und zeit-
weiliges Liegenlassen bei Cantabilestellen gab er dem
Ton etwas wehmütig Klagendes.
Im Flageoletspiel leistete er Ungeahntes und
baute es in einfachen und Doppelflageolettönen, Doppel-
trillern, chromatischen Gängen u. s. w. bis zur Grenze des
Unmöglichen aus, wobei die unbedingte Reinheit der Into-
nation und die Staunen erregende Sicherheit der Aus-
führung den hier leicht peinlichen Eindruck des Gekünstel-
ten gar nicht aufkommen lie&en.
Das Spiel auf der G-Saite vereinfachte sich,
wie schon erwähnt, durch Heraufstimmen auf B oder gar H.
Überhaupt war bei dieser in erster Linie reinen Effekt-
leistung vieles auf die Verblüffung des Hörers angelegt
und in Wirklichkeit lange nicht so gefährlich, wie es sich
140
anliefe. Auf die Menge verfehlten diese Kompositionen, die
meist mit einem Rezitativ beginnen, dann ein Thema brin-
gen und mit Variationen endigen, nie ihre Wirkung, und
diese Spezialität des Spielens auf einer Saite hat dem
Künstler zuerst Wellruf verschafft.
Was den Virtuosen Paganini stets über alle Vorgänger
und Nachahmer hinaushob und auch weniger künstlerische
Seiten seines Spiels verklärte und genußreich machte, war
der geniale Hauch, der über allem lag, was er begann, und
jeden, selbst den vorurteilsvoll Widerstrebendsten, in seinen
Bann zwang. —
Es dürfte reizvoll sein, vorstehenden, auf Schilderungen
von Zeitgenossen Paganinis gestuften Betrachtungen das
Urteil eines heutigen Meisters der Geige gegenüberzustel-
len, der als Autorität gerade auf technischem Gebiet hierfür
als der berufenste erscheinen dürfte. Herr Professor
Ottokar Sevcik war so liebenswürdig, mir seine An-
sicht über die Bedeutung Paganinis in nachfolgendem
Schreiben zur Verfügung zu stellen:
„Es liegt außerhalb meiner Kräfte, über Paganinis
Kunsterscheinung mich schöner, interessanter und poeti-
scher zu äußern, als es mein Freund Paul Stoeving in seinem
Werk „Von der Violine" getan hat. Man liest dort, daß
auch vor Paganini schon alles im Keime dagewesen ist, und
daß der Vater aller Geigenvirtuosen — „die erste Skizze,
welche die Natur von Paganini machte" — ein gewisser
Antonio Lolli aus Bergamo war, der zwar nicht ein Haydn-
sches Quartett im Takt zu Ende zu führen vermochte, aber
mit seinen verrückten Oktaven-, Terzen-, Sexten- und
141
Dezimen-Läufen und -Trillern Sensation machte und jung
und alt in allen Teilen Europas berauschte.
Man liest dort ferner, dafe Paganini sich um die Er-
weiterung der Violintechnik hauptsächlich durch folgende
Beiträge verdient machte: „eine ausgedehnte Anwendung
des Staccato a ricochet (geworfenes Staccato), der ein-
fachen und Doppel-FIageolettöne, Pizzicato für die linke
Hand, untermischt mit col arco; sowie Bravourkunststücke
auf einer Saite, ungewöhnliche Spannungen und neue
Effekte in Terzen-, Sexten-, Oktaven-, Dezimen- und ver-
minderte Septimenakkord-Passagen."
Paganini wirkte auf die Zuhörer faszinierend und ver-
stand es, sie durch manchen Trick in höchste Spannung zu
versefeen. Ein solcher war, da& er einige der Programm-
Nummern mitUmstimmung der Saiten spielte, andere wieder
in der Normal-Stimmung. Seine meisten Kompositionen sind
nämlich, schon um die natürlichen Flageolettöne und das
Pizzicato am besten anweden zu können, in den Tonarten
G, D, A geschrieben. Bei der harmonischen Einfachheit
der Kompositionen hätte aber das Immerwiederkehren der-
selben Tonarten, derselben Akkorde und Klangwirkungen
selbst auf den Hörer der damaligen Zeit monoton wirken
müssen. Genial wie Paganini war, wu&te er auch hier Ab-
hilfe zu schaffen. Er schrieb z. B. zu einem Violinstück, das
in D komponiert war, die Orchesterbegleitung in Es. Wenn
er das Werk dann vortrug, so brauchte er seine Violine nur
um einen halben Ton höher zu stimmen, um seinen Part
auch in Es spielen zu können. So spielte er sein „I. Kon-
zert" und „Le Streghe" in Es (anstatt in D), „Le Carnaval
de Venise" und „I Palpiti" in B (statt in A) und die „Moses-
Variationen" in Es-moll (statt in C-moll). Durch das Höher-
stimmen der Geige bei einzelnen Stücken eines Konzert-
142
abends bewirkte er verschiedene Klangfarben des Instru-
ments, Mannigfaltigkeit der Tonarten und schärferes Kon-
trastieren der Programmnummern.
Paganinis beste Werke sind seine genialen 24 Ca-
pricen, welche die Essenz der Paganinischen Technik ent-
halten und den Geigern aller Zeiten eine harte Nu£ zu
knacken geben werden. Von klassischem Werte ist sein
„Molo perpetuo" (op. 11) und ebenfalls von Bedeutung
sind seine beiden Violinkonzerte. Die Musik hat freilich
später andere Wege eingeschlagen und auch unsere Vio-
lintechnik mußte sich den modernen Anforderungen an-
passen. Wie würde Paganini — wenn man ihm den Vio-
linpart eines unserer modernsten Violinkonzerte vorgelegt
hätte — staunen, daß aus dem Samen, den er gesäet, so
abnormale Früchte entsprießen, und wie würde er uns Gei-
ger bedauern, Geiger, die vor der Notwendigkeit stehen
— Tonleitern in Ganztönen zu studieren.
Aus dem Facsimile zum X. Konzert Paganinis in Lon-
don 1832*) ist zu erörtern, daß Paganini noch ein drittes
Konzert „Gran Concerto in due parte" geschrieben hat,
das verloren gegangen zu sein scheint.
Mit dem Wunsche, daß Sie das Glück haben, auch
dieses verlorene Konzert aufzufinden, zeichne als
Ihr ergebener
Ot. Sevcik."
*) Siehe die Wiedergabe des von Professor Sevcik gütigst zur Ver-
fügung gestellten Blattes auf S. 20 des Bilderteils.
14')
Der Komponist
Noch ehe der Name Paganini außerhalb der italieni-
schen Grenzpfähle einen Klang hatte, ehe man von
ihm als Geiger etwas wu&te, erregte ein Notenheft „Ven-
tiguattro caprici per violino solo, dedicaii agli artisti da
Nicolo Paganini" überall größtes Aufsehen. Niemand
wollte glauben, daß es einen Geiger auf Erden gäbe, der
derartiges auf seinem Instrumente auszuführen imstande
sei, ja, man war geneigt, das Ganze für eine Mystifikation
zu halten. Und erst die Berichte von Augen- und Ohren-
zeugen, die in Italien den Verfasser dieses Werkes das für
unmöglich Gehaltene mit spielender Leichtigkeit hatten
ausführen sehen, liefen die Zweifler verstummen, die sich
aber erst als überführt bekannten, nachdem Paganini selbst
auf der Bildfläche erschienen war.
In der Tat brachten diese 24 Capricen für damalige
Zeit Unerhörtes, enthalten sie doch bereits den Extrakt
von Paganinis technischen Zaubersäfeen. Sie sind sein
erstes und zugleich bestes Werk, das bis heutigen Tages
noch als Bibel aller Geiger Geltung hat. Strofet es auch
von technischen Schwierigkeiten und bravourösem Raffi-
nement, so weht uns daraus doch der lebendige Hauch
eines echten, reichen Komponisten entgegen. Dies be-
zeugt schon der Umstand, da& dieses opus 1 — ganz ab-
144
gesehen von Franz L i s z t , den wohl das Technische
zunächst angelockt haben mag — stets andere Meister
gereizt hat, ihre Kraft an seinem Inhalt zu befeuern. So
haben Männer wie Robert Schumann und Johan-
nes Brahms Themen daraus eigener Bearbeitung für
würdig befunden. Ersterer schrieb 1832 seine „Studien
für das Pianoforte nach Capricen Paganinis" (op. 3) und
ein Jahr später „Eludes de Concert d'apres des Caprices
de P." (op. 10), durch die er, wie er selbst sagt, im Gegen-
safe zu Franz Liszts inzwischen erschienenen, hauptsächlich
das Virtuosische berücksichtigenden Bravourstudien, mehr
die poetische Seite jener Komposition zur Anschauung ge-
bracht wissen wollte. Er ist dabei von dem „schönen,
zarten" Thema des zweiten Stückes während der Arbeit
so begeistert, da| er es für hinreichend erachtete, „Paga-
nini eine erste Stelle unter den neueren italienischen Kom-
ponisten zu sichern". Und Brahms, der seinem op. 35 das
Thema von Paganinis vierundzwanzigster Caprice zu-
grundelegt und auch in der Variationenführung wiederholt
dessen Einfluß erliegt (man vergleiche Variation 1 und 13
mit Paganinis zweiter Caprice, die achte Variation des
zweiten Heftes mit der ersten Caprice) urteilt über des
Genuesers Erstlingswerk, da£ es „eine eben so starke Be-
gabung zur Komposition im allgemeinen, wie für die Vio-
line im besonderen erkennen lasse."
In den späteren Werken Paganinis wird der Kompo-
nist, dessen Genie zwar überall, bald hier, bald da, in Ein-
zelheiten hindurchblifet, immer stärker von dem Virtuosen,
dem technische Tausendkünsteleien wertvoller erscheinen,
in den Hintergrund gedrängt. Da& sie trofedem, wenn e r
sie zum Vortrag brachte, auch als Komposition nachhal-
tigeren Anklang fanden, ist das Verdienst seines faszi-
10 Kapp, Paganini. 145
nierenden Spieles, das über sie ein Feuer verbreitete, das
in den Notenköpfen an sich nicht steckt. Der Zahn der Zeit
und die Wandlungen des musikalischen Geschmacks haben
in ihre Reihen manche Lücke gerissen. Von größerer Be-
deutung erscheinen heute noch Paganinis beide Violin-
konzerte mit Orchester; das „Allegro de Concert" des
ersten und die „Campanella" des zweiten — die übrigens
in Liszts Bearbeitung eine beliebte Glanznummer unserer
Pianisten geworden ist — werden auch heute noch häufig
im Konzertsaal vorgetragen. Auch die Orchesterbehand-
lung dieser Stücke ist schwungvoll und glänzend, ohne
lärmend zu werden. Einzelne Instrumente, wie z. B. die
grofee Trommel, verwendet Paganini mit ungewöhnlichem
Geschick und erzielt dadurch manch glücklichen Effekt. Der
geniale Blick für das, was wirkt, ist überhaupt eines der
Hauptmerkmale auch des Komponisten Paganini. So
lä|t er z. B. in seinen berühmten Moses-Variationen (nach
einem Thema Rossinis) die begleitende grofje Trommel
nicht einfach wie der Originalkomponist die starken Takt-
teile markieren, sondern unter Beachtung des melodischen
Nachdrucks zuweilen auch auf dem schwachen Taktteil ein-
greifen, was die Wirkung sehr steigert. Als man ihn wegen
des Werkes beglückwünschte, jemand aber hinzufügte,
Rossini hätte ihm da allerdings auch ein sehr schönes
Thema geliefert, antwortete er stolz: „Gleichviel, meinen
Trommelschlag hat er doch nicht gefunden!"
Die wahre Bedeutung Paganinis, seine kunstgeschicht-
liche Mission liegt nicht in den Kompositionen, die er hin-
terlassen hat, sondern in den Anregungen, die er durch
seine Werke gegeben, in der künstlerischen Revolution, die
sein Erscheinen überhaupt hervorgerufen hat. Er ist nicht
nur der Begründer und Vollender einer ganz neuen Violin-
146
kunst, sondern von ihm ging, wie wir schon früher ausge-
führt haben, jener zündende Funke aus, der in der Brust
des jungen Titanen Liszt Flammen schlug und zur Um-
wälzung der Welt des Klaviers geführt hat. Selbst ein hell-
leuchtender Komet, dessen Glanz allerdings mit seinem
Scheiden erlosch, ward Paganini ein Wecker neuen Le-
bens im Reiche der Kunst, die eigenen Früchte seines
Genius mochten verblassen, ihr Samen aber blieb zeu-
gungsfähig in alle Zukunft.
*
Zu Lebzeiten Paganinis erschienen überhaupt nur
fünf Werke von ihm im Druck, nämlich: op. 1: „24 Ca-
p r i c c i"; op. 2: Sechs Sonaten für Violine und
Guitarre (dedicati al signor delle Piane); op. 3:
Sechs Sonaten für Violine und Guitarre
(dedicati alla Ragazza Eleonora); op. 4: Drei Quar-
tette für Violine, Viola, Guitarre und Vio-
loncello (dedicati alle amatrici; op. 5: Drei Quar-
tette (wie op. 4). Die Echtheit dieser legieren leugnete
Paganini ab. Aufeer diesen segelten zahlreiche unechte
Konzertstücke unter des Künstlers Flagge, die irgend ein
geschickter Spekulant, um die Begeisterung des Publi-
kums auszunü&en, auf den Markt brachte. — Nach Paga-
ninis Tode erschienen dann bei Schönenberger in Paris
und bei Schott in Mainz als „Oeuvres posihumes"
die Werke op. 6 bis op. 14. Der ganze übrige, sehr um-
fangreiche Nachlaß blieb, abgesehen von wenigen kleine-
ren ohne opus-Zahl aufgetauchten Stückchen, bis heute
unveröffentlicht. Dessen Schicksale und Inhalt werden uns
später noch beschäftigen. Hier folge nun ein Überblick
über s ä m 1 1 i ch e von Paganini noch vorhandenen
Werke, beginnend mit den im Druck vorliegenden.
10* 1 47
Gedruckte Werke Paganinis
Op. 1 Vierundzwanzig Capricen für die
Violine allein (siehe oben).
Op. 2 u. 3 Je sechs Sonaten für Violine und Guitarre.
Mit „Sonaten" haben diese unbedeutenden
Musikstücke in Variationenform nichts zu tun.
Die Armut an Erfindung kontrastiert seltsam mit
den Capricen.
Op. 4 u. 5 Je drei Quartette für Violine, Bratsche,
Guitarre und Cello. Jedes besteht aus vier
Sähen, bieten keinerlei Interesse.
Op. 6 Erstes Konzert (Es-dur) für Violine und
Orchester.
In der äu&eren Form folgt dieses 1811 kompo-
nierte, schwungvolle Stück noch ganz der her-
kömmlichen Weise, bietet aber in Einzelheiten
(Flageolet, Spiel auf einer Saite u. a.) schon
sehr viel früher Ungekanntes. Gleich der Schluß
des A 1 1 e g r o brachte durch die raffinierte Ver-
einigung von Flageolet und Pizzicato die Be-
sucher von Paganinis Konzerten, die sich der-
artiges gar nicht zu erklären vermochten, au&er
, Fassung. Das Adagio ist ein Zwiegespräch
zwischen einer Saite und den drei übrigen, das
148
ein Gebet eines Gefangenen zur Vorsehung
um Befreiung ausdrücken soll. Paganini wurde
hierzu durch den italienischen Schauspieler
Demarini angeregt. Ein feuriges Rondo mit
einem pikanten Thema beschließt das Werk.
Hierin ri& Paganini durch Flageolei-Doppel-
griffe, die an dieser Stelle zum überhaupt ersten-
mal auftreten, und ein eigenartiges Staccato-
spiel mit Springbogen die Hörer zum Taumel hin.
Op. 7 Zweites Konzert (H-moll) für Violine
und Orchester.
Der erste Sab ist ein technischer Hexensabbath,
in dem das ganze Feuerwerk seiner Kunstfertig-
keiten, gipfelnd in seinem berühmten Doppel-
triller in Terzen, losgelassen wird, es bleibt
eine reine Bravourleistung. Das Adagio ist
in schroffstem Gegensafe dazu von schlichtester
Einfachheit, ein gefühlvolles Cantabile. Den
Schlug bildet das weltberühmte Glöckchen-
rondo. (Liszts „Campanella".)
Op. 8 LeStreghe. (Hexenvariaiionen.)
Sehr schwierige Bravourvariationen über ein
Thema aus dem SüBmayerschen Ballet „Le
Nozze di Benevento". (Über die Entstehung
des Werkes siehe S. 15 dieses Buches.)
Op. 9 Variationen über „Heil dir im
S i e g er kr anz".
Mit diesen sehr effektvollen, mit Schwierigkei-
ten geradezu überladenen Variationen, in denen
namentlich sein Pizzicato und seine Bogen-
führung brillierten, brachte Paganini in Berlin
1829 dem König Friedrich Wilhelm III. eine be-
sondere Huldigung dar.
149
Op. 10 Variationen über „Carneval von
V en e d i g".
Zwanzig nicht immer sehr geschmackvolle, oft
die Grenze des Marktschreierischen streifende
Variationen über das Volkslied „O Mamma".
Op. 11 Moto perpetuo. Konzertallegro für Violine
und Orchester.
Eine unübertreffliche Bogensiudie, die neben
jedem der zahllosen moti perpefui mit Ehren be-
stehen kann.
Op. 12 Nonpiumesta. Thema mit Variationen.
Das Thema ist Rossinis Oper Ceneren-
t o 1 a entnommen. Die Variationen sind tech-
nisch sehr interessant, so ist die dritte ganz in
Oktavengängen, die vierte ein Echospiel zwi-
schen Volltönen und Flageolet.
Op. 13 Di tanti palpiti. Thema mit Variationen.
In dieser Fantasie über die Arie aus Rossinis
„Tancred" wurde die G-Saite in der zweiten
Variation aufs tiefe B umgestimmt und die dritte
bringt in Terzengängen und Kombinationen von
natürlichen und Flageolettönen neue Effekte.
Op. 14 Etüde in 60 Variationen über das Lied
„Barucaba" für Violine und Guitarre.
Paganini wollte hier unter Zugrundelegung
eines genuesischen Volksliedes über die ver-
schiedenen technischen Kunstfertigkeiten seines
Spiels je eine Variation schreiben. Es ist eines
seiner lebten Werke, im Februar 1835 in Genua
aufgezeichnet und seinem Freunde Germi ge-
widmet.
150
Werke ohne Opus-Zahl
Variations de Bravoure sur un fheme de
„Mois e".
Variationen auf der G-Saite über ein Thema aus
Rossinis „Moses".
Nel cor piu non mi sento.
Introduktion und Variationen über eine Arie aus der
Oper „La Molinara" von Paesiello, das unter Paga-
ninis beste Stücke zählt.
Duo merveille.
Unbedeutendes Gesangsstückchen mit Pizzicato
der linken Hand.
Trois airs varies.
Kleine leichtere Stücke für die G-Saite nach Art
der Moses-Variationen.
Les Charmes de Padoue.
Larghetto et Presto en 6/4 unbedeutende
Sonate en la majeur, [ kleinere Gelegenheils-
Caprice d'adieu ä son Stückchen,
am i Eli a s o n. (1831.)
151
Der ungedruckte musikalische Nachlaß
Paganinis Sohn und Enkel widersefeten sich der Ver-
öffentlichung dieser Stücke trofe zahlreicher Bitten von
Musikfreunden. Sie beabsichtigten den ganzen Nachlaß an
einen Sammler zu verkaufen und fürchteten, dadurch den
Preis zu sehr zu drücken. Doch trofe eifrigster Bemühun-
gen wollte sich kein Liebhaber für diese Schabe finden.
Vergeblich wurden sie der Geburtsstadt des Künstlers, die
schon seine Geige besaß, angeboten. Der geforderte Preis
von 100 000 Lire erschien den Stadivätern zu hoch. Es
wurde eine Kommission ernannt, die in der Villa Gajone
den Nachlaß Paganinis einer sorgfältigen Prüfung unter-
ziehen sollte. Deren Urteil lautete, soweit die musikalischen
Stücke in Frage kamen: Von den 86 unedierten Manuskrip-
ten haben nur 3 wirklichen Wert, 7 sind weniger bedeutend,
4 mittelmäßig, 19 von ganz geringem Wert und der Rest
gänzlich bedeutungslos! Hierauf lehnte die Stadt Genua
den Ankauf des Nachlasses ab. Derselbe kam schließlich im
Februar 1910 in Florenz zur öffentlichen Versteigerung.
Während die persönlichen Reliquien sich in alle Winde zer-
streuten, wurde der handschriftliche Nachlaß en bloc vom
Kunstantiquariat Jos. Baer in Frankfurt a. Main erworben,
während der gesamte musikalische Nachlaß für 17 500 Fr. (!)
von dem Antiquariat Leo S. Olschki in Florenz erstanden
152
wurde, von wo er schließlich in das Musikhistorische Museum
inCöln überging. In Olschkis Kunstzeitschrift „Bibliofilia" er-
schien damals eine eingehende Beschreibung des ganzen
Materials, der wir uns mit folgender Aufstellung im wesent-
lichen anschlie&en.
I. Kompositionen für Violine und Orchester
Pot-Pourri.
Die Aufschrift Mr. Habenek deutet auf Paganinis Pa-
riser Aufenthalt. Das Stück besteht aus: Introduzione;
Maestoso; Andantino (mit Variationen); Finale, Allegro.
Sonata Militär e.
Introduzione — Moderato — Maestoso — Andante
con Variazioni — Finale.
St. Patricks day.
(Die Solo-Stimme fehlt.)
Sonata sulla preghiera de Pietro l'Ere-
m i t o (oder Mose in Egitto).
(Die Solo-Stimme fehlt.)
Sonata amorosa e galante.
Das 12 Manuskriptseiten umfassende Werk ist in
London entstanden und besteht aus zwei Säfeen: Alle-
gro giusto und Adagio cantabile. Sehr effektvoll.
Sonatina e Polacchetta con variazioni.
Graziöses, mittelschweres Stück aus der Pariser Zeit.
Als Begleitinstrumente sind angegeben 2 Violinen,
2 Clarinetten, Cello und Bafe und für die canzonetta
Bratsche.
Maestosa Suonata sentimentale.
Eines der besten Werke Paganinis, das mit seinen
Variationen über Haydns österreichische Volkshymne
ein Gegenstück zu op. 9 (Heil dir im Siegerkranz) bil-
153
det. Es besteht aus Introduzione — Allegro agitato —
Inno (Tema con variazioni). 38 Seiten Partitur.
Polacca con variazioni.
Kurzes Adagio, dem die Polacca mit 4 Variationen
folgt. Effeklsfück.
Suonata con cingue variazioni.
Konzertstück, bestehend aus Adagio — Thema mit
5 Variationen — Presto. Sehr schwer.
La Primavera.
Introduzione — Larghetto cantabile — Variazione —
Recitativo — Tema con variazioni.
Napoleon.
Wie das „rote Buch" dartut, hie& diese an tech-
nischen Schwierigkeiten überladene Sonate für die
G-Saile ursprünglich „Prima Sonata con Va-
riazioni per la 4a cord a". (Über die Ent-
stehung des Werkes in Lucca siehe Seite 12 dieses
Buches.) Introduzione — Andantino giocoso — 3 Va-
riazioni — Finale.
Maria Luisa. Sonata con variazioni für die G-Saite.
Mit Begleitung von 2 Violinen, viola cello, Ba§, 2 Oboen
und 2 Hörnern.
Suonata Varsavia.
Allegro vivo — Sostenuto Recitativo — Allegro —
Tema Polacco (Andantino mit 7 Variationen) — Einale
(Presto).
Tarantella.
Brillante Fantasie über diesen neapolitanischen Tanz.
Balletto campestre.
Als Untertitel fügte Paganini dem Manuskript hinzu:
„Variationen über ein komisches Thema". Introduzione
— Andante maestoso — Tema — 49 bizarre Varia-
154
tionen — Finale, überladen mit allen erdenklichen
technischen Finessen.
Sonata per la gran Viola.
Introduzione — Larghetio mit Recitativ der Viola
solo — Presto — Andante sostenuto e cantabile —
Tema con variazioni — stretta finale. — Entstanden
London, April 1834.
La Tempesta. (Der Seesturm.)
Nur die Solo-Stellen sind von Paganini, das Übrige
von Panny. — Preludio di turbine — Primo Tempo —
Principio di tempesta — Preghiera — Allarme mari-
timo — Gran tempesta — Allarme massimo — Calma
— Finale con variazioni.
Le Couvent de S. Bernhard (Pendule).
Tonmalerei. Sonnette — Andante Sonnolento —
Larghetto (Pendule) — Minuetto — L'aurora — Mae-
stoso con variazioni — Rondo.
Sonata appassionata.
Introduzione — Larghetto appassionata — Allegro
vivace — Variazioni — Finale.
II. Kompositionen für Violine solo
Cantabile (in C-dur).
Leichtes Stückchen im Stil Bellinis mit Klavier-
begleitung.
Cantabile e Valfe.
Mit Guitarrenbegleitung, Camillo Sivori gewidmet.
Sonata a Violino solo.
Adagio — Allegro, aus der Kapellmeisterzeit von
Lucca, Marie Elise gewidmet.
Paganini ä M. Henry.
Larghetto — Allegro moderato — Piu morso. (Ohne
näheren Titel.)
155
Tre Rilornelli per Violino e Basso.
Jedes Ritornell besteht aus einem einzigen Safe
(Allegro).
Tre Duetti per Violino e Violoncello.
Im Manuskript als opus 1 bezeichnet und „gli Ama-
iori" gewidmet.
*
Nicht im NachlaS befinden sich die (jedoch gleichfalls
erhaltenen, aber vor der Auktion bereits in Privatbesib
übergegangenen) wichtigen Manuskripte:
III. Konzert in E (Violinstimme 15 Seiten, Partitur 128 Seiten).
IV. „ „C( „ 12 „ ).
V A( 15 )
III. Kompositionen für Guitarre solo
Gran Sonata per Chitarra.
Allegro risoluto — Romance piu tosto largo — An-
dantino variato, scherzando.
Minuetto per Chitarra dedicato alla Signorina
Dida.
Chitarra Marziale.
Composizioni varie per Chitarra.
M i n u e 1 1 i alla gentillisima Signora Emilia.
G h i r i b i z z i (Grillen).
Sonata per Chitarra.
M i n u e 1 1 i per la Signora Marina.
Minuetto alla Signora Dida.
Due Minuetti per Chitarra, Viola e Violino.
Tre Minuetti ed un Walfe per Chitarra.
Sinfonia Lodovisia per Chitarra.
Außerdem noch zahlreiche kleinere, unbedeutende Mi-
nuetti u. s. w.
156
IV. Duette für Violine und Guitarre
Sechs Duette. Jedes aus zwei Säfeen bestehend.
Sonata concertata dedicata alla signora Emilia
di Negro.
Canzonetta.
Duetto amoros o.
Tonmalerei, enthaltend folgende Säfee: Principio —
Preghiera — Acconsentito — Timidezza — Conten-
tezza — Lite — Pace — Leguali d'amore — Notizia
della partenza. (!)
Centone di sonate per Violino e Chitarra.
V. Terzette für Bogeninstrumente und Guitarre
Terzetto per Violino, Violoncello e Chi-
tarra (C-dur). London, 4. August 1833.
Allegro con brio — Minuetto — Andante — Rondo.
Due Terzetti per due Violini e Chitarra (in
Fis und As).
Terzetto concertante per Viola, Chitarra
e Violoncello.
Allegro — Adagio — Walfe a Rondo.
Seren ata per Viola, Violoncello e Chitarra
dedicata a Madamigella Dominica Paganini da suo
Fratello Niccolö.
VI. Quartette für Bogeninstrumente und Guitarre
Quartetto II per Violino, Viola, Chitarra e Violoncello.
[Germi gewidmet.)
Allegro moderato (G-dur) — Minuetto (G-dur) —
Larghetto (A~dur) — Polacca (G-dur).
157
Ouarteito XV in der Guitarrenstimme, Variationen über
„God save the King".
Quarietli IX, X, XII, XIII, XIV dedicati al suo amico il
sig. avvocato Luigi Germi. Jedes viersäfeig.
Quarieiio VII dedicato a Sua Excellenza la Signora
Marchesa Calierina Raggi.
Ouarteito VIII dedicato a S. E. il Signor Marchese
Filippo Carega.
VII. Verschiedenes
Tr e Q u arietti per dueViolini, Viola e Vio-
loncello dedicati a S. M. il Re di Sardegna e Duca
di Genova.
Ghiribizzo vocale. Einzige Gesangskomposition
Paganinis.
158
Bibliographie
I. Bücher
(chronologisch nach dem Erscheinungsjahr.)
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Harrys: P. in seinem Reisewagen u. s. w. Braun-
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Violinist N. P. Paris 1830.
J. M. Schottky: P.'s Leben und Treiben. Prag 1830.
(Neudruck 1909.)
C. Julius Schüfe: Leben, Charakter und Kunst des
Ritters N. P. Illmenau 1830.
L. V i n e t a : N. P. Leben und Charakter (nach Schoflky).
Hamburg 1830.
G. E. A n d e r s : N. P. sa vie, sa personne et quelgues mot
sur son secret. Paris 1831.
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J. M. Fayolle: P. et Beriot u. s. w. Paris 1831.
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OttavioBoschetti: AI celebratissimo Barone Ca-
valiere N. P. Parma 1835.
G. Nicolai: Arabesken für Musikfreunde von N. P.
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E. O r 1 1 e p p : Gro&es Instrumental- und Vokalkonzert.
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1851. (317 S.)
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Mercure musical 1907 No. 12 und 1908 No. 1.
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11 Kapp, Paganini. 161
Namenregister
Anders, G. E. 109.
B a e r , Jos. Antiquariat 152.
Bauernfeld, Ed. v. 121.
Bennatti, Dr. 116—120.
Berlin 38-41.
B e r 1 i o z , Hektor 44. 64.
72/73. 77-83. 110-115.
B i a n c h i , Anlonia 25 - 30.
104.
ß o e r n e , Ludwig 53.
Br ah m s , Joh. 145
Brüssel 65.
C h o p i n , Fr. 64
Ciandelli, G. 24. 41.
Costa, G. 2.
D o n i z e 1 1 i , G. 47.
Ferrara 24/25.
Fetis, E. J. 55. 134-37.
Florenz 12-14
Frankfurt a/M. 48. 137.
Friedrich Wilhelm III.
von Preußen 40/41. 149.
Genua 1/2. 26. 72. 86.
G er m i , L. 150.
G i r e 1 1 i 4.
Goethe, J. W. v. 122/23
Guhr, Carl 48. 137-41.
Hamburg 48.
rlaydn, Jos. 33. 153.
Heine, H. 48-51.
Hoffmann, E. T. A. 31.
Holtei, Fr. 121/22.
Janin, J. 68/69. 78-80, 112.
Joachim, J. 133.
Kreuzer, R. 16.
Lafont, Ch. 19/20.
Laporte (Impressario) 61.
Li p i n sk i , J. 22.
11*
163
Liszt, Franz 54/55. 64. 104.
113. 123-28. 133/33. 145.
147. 149.
Lolli, A. 131. 141.
London 61. 82.
Loveday,D. 75-77. 83.
Lucca 4. 8/9 ff.
Lyser, P. 48.
Mailand 15/16. 19.
M a r i e M 1 i s e , Herzogin v.
Toskana 8-11. 12-14.
Marie Luise, Gro&her-
zogin v. Parma 71/72.
Marie Pauline Borg-
hese 12.
M e y e r b e e r , G. 38. 39.
121.
Napoleon I. 8.
Neapel 23/24.
d'Orligue, J. 110.
Paer, F. 4.
P a g a n i n i , Antonio (Va-
ter) 2/3. 101.
— Theresa (Mutter) 2.
101-03.
- A c h i 1 1 e (Sohn) 26. 27.
29. 46/47. 77. 81. 82.
86. 105/06. 152.
P a 1 1 e r i n i (Tänzerin) 24/25.
Panny 37. 155.
Parma 3/4. 71. 86.
Paris 45. 52-61. 63-65.
68/69. 73-75.
P i a c e n z a 72.
R e 1 1 s f a b , L. 39/40.
Rom 23.
R o 1 1 a , A. 3/4.
Rossini, G. 22/23. 114.
146. 150. 151.
Schubert, Franz, 121.
Schumann, Rob. 123.
145.
S c h o 1 1 k y , J. 38.
Sevcik, O. 141-43.
Si vor i , C. 133. 155.
Spohr, L 20/21.
S p o n t i n i , G. 29.
Sioe ving, P. 141.
Sü&maYer, Fz. 15. 149.
Venedig 20/21. 25.
W a t s o n , MU3 66/67.
Wien 30-37.
Zelter 122.
164
Verzeichnis der Abbildungen
Seife
Paganini, Lithographie von Fr. Hahn (Titelbild)
Paganinis Geburtshaus in Genua 1
Ein Konzert Paganinis, Gemälde von Gatti (1804) . . 1
Paganini, Zeichnung von Jean Ingres (1819) .... 2
Paganini, Gemälde von Isola 3
Paganini, Bleistiftzeichnung eines unbekannten Künst-
lers 3
Paganini, Porträt eines unbekannten Malers .... 4
Gioacchino Rossini, Stich von A. H. Payne .... 4
Paganini, Lithographie von Kriehuber (1828) .... 5
Paganini, Gemälde von I. H. Jacob 6
Paganini, Zeichnung von J. P. Lyser 7
Paganini mit einem Freund, einem Mädchen nach-
steigend 8
Karikatur auf die Wiener Konzerte, Zeichnung von
J. P. Lyser 9
Karikatur auf die Berliner Konzerte, Lithographie von
Ad. Schrödter (1829) 9
Seite aus einem Brief konzeptbuch vom Jahre 1829 . . 10
Paganini, Zeichnung von F. Krüger (1829) 11
Paganini, Zeichnung nach dem Leben von A. Krug
(1829/30) 11
165
Seite
Programm eines Konzerts in Breslau am 28. Juli 1829 12
Paganini, Lithographie von Karl Begas (1830) ... 12
Paganini in Weimar 13
Ritter Nicolo Paganini, der erste Violinspieler seiner
Zeit, auf dem National-Theater in Nürnberg, den
9. Nov. 1829 14
Paganini, Lithographie von G. Nehrlich 15
Krönung Paganinis nach einem Konzert in München,
November 1829 16
Paganini auf der Konzertprobe in Stuttgart am 7. De-
zember 1829 16
Paganini, Gemälde von J. B. Siber (1830) 17
„Le violon de Cremone", Aguarell von Porterlet . . 18
Paganini im Gefängnis, Lithographie von Louis Bou-
langer, Paris (1832) 18
Paganini, Bleistiftzeichnung von Naudet (1831) ... 19
Franz Liszt, Zeichnung von Jean Ingres 19
„The Modern Orpheus", englische Karikatur unbe-
kannter Hand 20
Zwei Londoner Programme 20
Paganini, Gemälde von G. Patten (1832) 21
Paganini, Lithographie eines unbekannten englischen
Künstlers 22
Karikatur unbekannter Hand auf Paganinis Londoner
Auftreten 23
Brief Paganinis an seinen Sohn Achille vom 6. Mai
1834 24
Brief Paganinis an Berlioz und dessen Danksagung
für die ihm gespendeten 20 000 Franken .... 25
Hector Berlioz, Lithograpie von Prinzhofer .... 26
Paganini, Statuette von J. P. Dantan (1837) .... 27
166
Seite
Paganini, Gemälde von Eugene Delacroix 27
Paganini, Lithographie von Leon Noel 28
Paganini, Silhouette von Albert Edouard 29
Das „Casino Paganini" in Paris 29
Zettel von Paganinis Sterbelager 30
Paganinis lebte Worte, von seinem Sohn Achille be-
glaubigt 31
Sterbehaus in Nizza 32
Grabdenkmal in Parma 32
Paganinis Violine 33
Paganinis rechte Hand 33
Das berühmte „Rote Buch" 34
Zwei Textseiten aus dem Roten Buch 35
Violinstimme aus „Le streghe" 36
Unveröffentlichte Guitarrenstimme zum „Movimento
perpetuo", der als op. 1 1 veröffentlichten Sonate
für Violine und Orchester 37
Titelblatt einer Sonate für Guitarre und Violine . . 38
Titelblatt des noch unveröffentlichten „Cantabile e
Valb" für Violine und Guitarre 39
Aus dem unveröffentlichten „Maestosa Suonata senti-
mentale" für Violine und Orchester 40
Aus der unveröffentlichten „Suonata Varsavia" ... 40
167
Paganinis Geburtshaus in Genua
Ein Konzert Paganinis
Gemälde von Gatti, 1804
Zeichnung von Jean Ingres
1819
Gemälde von Isola
im Städtischen Museum zu Genua
Bleistiftzeichnung eines unbekannten Künstlers
Porträt eines unbekannten Malers
Gioacchino Rossini
Stich von A. H. Payne
Lithographie von Kriehuber
Wien, 1828
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Gemälde von J. H. Jacob
Lithographie von L. Rados
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Zeichnung von J. P. Lyser
Paganini mit einem Freund, einem Mädchen nachsteigend
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Karikatur auf die Wiener Konzerte
Zeichnung von J. P. Lyser
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Karikatur auf die Berliner Konzerte
Lithographie von Ad. Schrödter, Berlin, 1829
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Seite aus einem Briefkonzeptbuch Paganinis vom Jahre 1829
(aus dem unveröffentlichten Nachlaß)
II
Zeichnung von F. Krüger
Berlin, 1829
Stich von C. F. Weber
Zeichnung nach dem Leben
von A. Krug
1829/30
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I ) ©omfpnit ren SVttbprtn in C (ffti'trr Sdp.)
J) ©rpfrp1 lEpnctrt für bir IBiplinr, tpmppiutt unb rptd/trdd.tn ppn 9titp!p ■Td.idnini.
3) änbanfr &fr cnmfrnir
4) Sfbdjip unb Spnbp (mit bim (Jlprfitin) tomppmrt nnb (WJrttajn ppn Stippl» fananinL
3 » f i t t r Z b t i [.
1} Scherzo bir cnmfrnn ppn 3?rtrbprrn.
?) Bandtfaim iibrr raS 3btmJ bis föfbftS. aus brr Cprt fttlti ppn Staffini, rpmppnirt unb auf
*rr G-5dittrrrd.ttPda.tn ppn SRir p I o $aa,ani'ni.
4) fietrr 5af bir Änmrbpnir
3) SSdridtipntn iibit bo» Jbtnu: .,nui cor piu non rni scnio," pbni Jliipmbajniinini bt( Crdxfttr»,
furtir ificlmi oUnir grifft unb prtJ,tttdd,tn rpn Eitrlc Tda,anui[.
Cinlürartni ■< ! SlNl in btn cddl, unb in I Mtblt in ga/ Jut bdb Ifbpt. fmb in btn Sund unb •Hurlt
bdliblunarn bft fjtrttn Prurtart unb i\rn'ltt unb um Ginddna.f |u babrn.
Anfang ? U&r. 8ntc 9 UOr. Bit Garn Wirt) um 5 Ut>r gföffn«.
Programm eines Konzerts in Breslau
am 28. Juli 1829
Lithographie von Karl Begas
Aus der Erinnerung gezeichnet, 1830
13
Pa <5*a.iiini, in Weimar.
Pa^anini in Weimar
14
TUlteT Xicolo PacfaTvmi
der er-ste "Violinspieler semer Zeit
m Rational Theater in j\um6ery Jen Q J,r,v t8QQ-
15
Lithographie von G. Nehrlich
i6
Krönung Paganinis nach einem Konzert in München
November 1829
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Paganini auf der Konzertprobe in Stuttgart am 7. Dezember 1829
17
Gemälde (nach der Natur) von J. B. Siber
Lithographie von M. Hütz, Frankfurt, 1830
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,Le violon de Cr£mone"
Aquarell von Poterlet
Paganini im Gefängnis
Lithographie von Louis Boulanger, Paris, 1832
Bleistiftzeichnung von Xaudet
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Franz Liszt
Zeichnung von Jean Ingres
„The Modern Orpheus"
Opera House, June 3C1, 1831
Englische Karikatur unbekannter Hand
szäwöiT"
ZlSLVm & poslti^eljr bis 3LAST
CONCERT
TH1S BVKNIrVG.
Friday, Jtaljr 27, 1832,
rAVOCSITE PIECES:
-r-riiMA .»r - - /in-.,..;..
I O »TINA. s«i Plfrrii \LiA. ' Tbn« afcatt " rT.~~*~U
■LaJaWVD ALLKUlO <M <ra «ms Coaaw , ia B Hb*».
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Zwei Londoner Programme
zum sechsten Konzert am 27. Juli 1832 zum zehnten Konzert am 14. August iS
Gemälde von G. Patten
London, 1832
Lithographie eines unbekannten englischen Künstlers
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Karikatur unbekannter Hand auf Paganinis Londoner Auftreten
(aus Joseph Joachims Nachlaß)
24
Brief Paganinis an seinen Sohn Achille vom 6. Mai 1834
(aus dem unveröffentlichten Nachlaß)
25
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Brief Paganinis an Berlioz und dessen Danksagun|
für die ihm gespendeten 20000 Franken
26
Hector Berlioz
Lithographie von Prinzhofer
27
Statuette von J. P. Dan tan
Paris, 1837
Gemälde von Eugene Delacroix
28
Lithographie von L6on Noel
29
Silhouette von Albert Edouard
Das „Casino Paganini" in Paris
Lithographie von G. Laviron, 1837
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Zettel von Paganinis Sterbelager
(aus dem unveröffentlichten Nachlai3)
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Pa^aninis letzte Worte
von seinem Sohn Achille beglaubigt
32
Sterbehaus in Nizza
Grabdenkmal in Parma
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Paganinis Violine, aufbewahrt im
Städtischen Museum in Genua
Paganinis rechte Hand
34
Das berühmte „Rote Buch"
(aus dem unveröffentlichten Nachlaß)
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Violinstimme aus „Le streghe"
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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
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